"Das erste Schiff mit ukrainischem Getreide verlässt den Hafen von Odessa", schreiben De Tijd und das GrenzEcho auf Seite eins. Le Soir dämpft aber schon die Erwartungen: "Ein Schiff, das noch nicht das Problem löst", schreibt das Blatt.
Zum ersten Mal seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ist wieder Getreide in der ukrainischen Hafenstadt Odessa verschifft worden. Russland und die Ukraine hatten vor zehn Tagen ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet. Das alles ist aber erstmal nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Erstmal wird es Zeit brauchen, bis die globale Lebensmittelkrise wieder abebbt. Und L'Avenir sieht schon ein neues Problem: "In der Ukraine wurde das Getreide losgeeist, aber es droht eine Dürre", schreibt die Zeitung. Denn in Europa und den USA sind wegen der anhaltenden Trockenheit die Ernten bedroht.
Die Getreidelieferung ändert nur wenig
Aber doch gibt es endlich mal gute Neuigkeiten aus der Ukraine, meint De Standaard in seinem Leitartikel. Wenn alles gut geht, dann können schon bald weitere Getreideschiffe Odessa in Richtung der Länder verlassen, die mit Lebensmittelengpässen konfrontiert sind. Das Putin-Regime wird sich jetzt ohne Zweifel als Retter der Welt aufspielen. Wir dürfen uns jedenfalls wieder auf eine geballte Ladung Lügen aus dem Kreml einstellen. Die dienen allerdings nur dazu, zu verschleiern, dass Russland eigentlich gar nicht anders konnte als das ukrainische Getreide freizugeben. Befreundete Diktatoren aus Syrien, dem Sudan, Mali oder der Zentralafrikanischen Republik waren nämlich gar nicht glücklich darüber, dass sie plötzlich kein Getreide mehr bekamen. Und Russland will doch schließlich weiter ungestört Gold und Diamanten aus diesen Ländern schmuggeln. Auch das Märchen, wonach die Getreidelieferungen jetzt die globale Hunger-Gefahr schmälern, ist Augenwischerei. Die hohen Preise sind schließlich auch die Folge der hohen Treibstoffkosten, die ihrerseits wieder eine Folge des Krieges in der Ukraine sind. Und wer glaubt, dass das Getreideabkommen nur der Anfang ist und dass am Ende ein Waffenstillstand winkt, der wird sich ebenfalls irren. Putin will nicht reden, er will die Ukraine in die Knie zwingen.
Apropos Ukraine-Krieg: "Belgien hat Vermögenswerte aus Russland im Wert von rund 50 Milliarden Euro eingefroren", so die Aufmachergeschichte von L'Echo und De Tijd. Das ist viel mehr als bislang bekannt.
Ein ganzes Dutzend Probleme
De Morgen ärgert sich über Meldungen, wonach die EU-Sanktionen immer wieder unterlaufen werden. Manchmal ist es die EU selbst, die ihre eigenen Strafmaßnahmen abschwächt. Zur Begründung hieß es aus Brüssel, man wolle die weltweite Energie- und Lebensmittelkrise nicht noch anheizen. Das Signal ist aber fatal, denn der Kreml deutet das als Zeichen der Schwäche. Schon jetzt wird immer deutlicher, dass Eigeninteressen für einige Länder schwerer wiegen als die gemeinsam geballte Faust gegen Putin. Am Ende könnte das Kalkül des russischen Präsidenten doch aufgehen: Wenn es ungemütlich wird, dann gilt im Westen die Maxime "Jeder für sich".
Und das dicke Ende kommt ja wahrscheinlich noch: "Energiekrise: Wir müssen uns auf das Schlimmste einstellen", das sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Seite eins von La Libre Belgique. Das zweite Halbjahr könnte noch viel grässlicher werden, orakelt das Blatt in seinem Leitartikel. Mehr und mehr zeichnet sich ab, dass Moskau die Energiekrise auf die Spitze treiben könnte. In einer solchen Situation braucht das Land eigentlich eine Regierung, die die Auswirkungen da abfedert, wo es am nötigsten ist. Angesichts des aktuellen Zustandes der Vivaldi-Koalition mag man da aber seine Zweifel haben.
Wir haben nicht nur ein Problem, sondern gleich ein ganzes Dutzend, warnt das GrenzEcho. Erstmal natürlich ein Energieproblem. Und der Krieg in der Ukraine trägt da nicht allein die Schuld. Die Energiewende führt ohnehin zu Energieknappheit. Ob man es sich leisten konnte, gleichzeitig aus der Atomenergie auszusteigen? Jetzt zeigt sich, nein. Das nächste Problem ist der Fachkräfte- und Materialmangel, der eine nachhaltigere Dämmung beziehungsweise Beheizung von Immobilien verlangsamt. Als ob das der Probleme nicht genug wären, muss Gas auch in der industriellen Produktion ersetzt werden: durch Wasserstoff. Dessen Herstellung verlangt aber Unmengen ... Strom. Den wir nicht zu produzieren in der Lage sind. Kurz und knapp: Ja, wir haben ein massives Energieproblem. Es kleinzureden, wäre ökonomischer und ökologischer Selbstmord.
Wasserknappheit: Passivität der Behörden
Ein Energieproblem – und ein Wasserproblem. Das gilt insbesondere für Flandern. Gerade liegt ja der zweittrockenste Juli aller Zeiten hinter uns.
Und doch gibt niemand die Order aus, den Wasserverbrauch einzuschränken, wundert sich Het Nieuwsblad. Es ist einfach nur traurig, dass von der kleinsten bis zur größten Ebene nirgendwo Verantwortung übernommen wird. Weil offensichtlich niemand mehr riskieren will, die Bürger zu verärgern. Vielen von uns fällt es tatsächlich immer schwerer, individuelle Einschränkungen im Namen des Allgemeinwohls zu akzeptieren. Als Entschuldigung für die Passivität der Behörden wird denn auch häufig die mangelnde Akzeptanz angeführt. Nun, im Moment kann man feststellen, dass die Bürger sich von sich aus mäßigen, schlicht und einfach um Kosten zu sparen. Selten hat das Akzeptanz-Argument hohler geklungen.
Gazet van Antwerpen sieht das ähnlich. Abgesehen von 2021 hat doch jeder in den letzten Jahren sehen können, wie systematisch die Trockenheitsperioden aufeinander folgen. In jedem Dürre-Jahr zaubern die zuständigen Minister dann irgendeinen Aktionsplan aus dem Hut. Unterm Strich weiß aber jeder, dass das immer nur Tropfen auf den heißen Stein sind. Im Klartext: Die Folgen des Klimawandels sind da! Wir sehen und spüren sie jeden Tag. Und da sollte es doch selbst für die größten Zauderer und Hasenfüße unter den Politikern eigentlich nicht mehr so schwer sein, eine breite Akzeptanz für ein sorgsames Wassermanagement herzustellen.
Roger Pint