"Ein Nationalfeiertag in Krisenzeiten", titelt La Libre Belgique. "Ein 21. Juli, wie er im Buche steht", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. Beide Schlagzeilen fassen den gestrigen Tag wohl gut zusammen. Auf der einen Seite herrscht Besorgnis angesichts der unruhigen Weltlage. Auf der anderen Seite war aber vielen Belgiern zum Feiern zumute, nachdem die Festlichkeiten ja in den vergangenen zwei Jahren pandemiebedingt nur eingeschränkt stattfinden konnten.
Einige Blätter analysieren vor allem die Garderobe: "Mathilde feiert in Natan, Elisabeth in einer Kreation von Victoria Beckham", weiß etwa Het Laatste Nieuws. "Prinzessin Delphine wurde in Antwerpen eingekleidet", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins. Ihr Outfit wurde ausnahmslos von Designern aus der Scheldestadt entworfen. "Nicht Delphine, sondern Claire stiehlt die Show", glaubt seinerseits Het Nieuwsblad. Der Grund: Die Frau von Prinz Laurent war nach drei Jahren Abwesenheit diesmal wieder dabei.
Innerbelgische Spannungen nicht vergessen
Am Tag nach dem Fest sollte man aber noch einmal in sich gehen, mahnt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Immer lauter werden die Unkenrufe aus dem Norden des Landes, die beklagen, dass Belgien nicht mehr funktioniert. Jüngstes Beispiel sei die Rentenreform, die diesen Namen eigentlich gar nicht verdiene. Aber ist das wirklich eine belgische Krankheit? Man kann schließlich nicht wirklich behaupten, dass die flämische Regierung bestehend aus N-VA, OpenVLD und CD&V, ein Musterbeispiel an Effizienz wäre. Und es wäre auch viel zu kurz gedacht, wenn man seine Analyse darauf beschränkt, Flandern als durchwegs rechts und die Wallonie als durchwegs links zu betrachten. Nein, es sind wohl eher die Separatismus-Gesänge, die N-VA und Vlaams Belang in Dauerschleife anstimmen, die offensichtlich langsam, aber sicher ein allgemeines Grundgefühl erzeugen. Vorsicht, dass daraus keine selbsterfüllende Prophezeiung wird. Davon abgesehen sollte sich aber die PS dessen bewusst werden, wie groß in Flandern der Reformwille ist.
Super-Mario und die Narren
Viele Blätter blicken aber auch mit Sorge auf Italien. Ministerpräsident Mario Draghi hat zum zweiten Mal innerhalb einer Woche seinen Rücktritt eingereicht. Jetzt kommt es zu Neuwahlen. "Super-Mario stürzt im schlimmsten Moment für Italien und Europa", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Italien in der Krise, ein Schock für Europa", so die Schlagzeile von L'Echo.
"Super-Mario und die Narren", giftet schonungslos Le Soir in seinem Leitartikel. Das, was das politische Personal da in den letzten Tagen in Rom zum Besten gegeben hat, das ist einem Nicht-Italiener nicht zu erklären. Wenn jedes Mal, wenn eine Partei die Seite wechselt, Strom erzeugt würde, dann wäre die Energiesicherheit für ganz Europa gewährleistet. Unfassbar, wie systematisch da das Fähnchen nach dem Wind gedreht wird. Und die Gewinnerin in diesem Schmierentheater wird am Ende die rechtsextreme Partei Fratelli d'Italia sein. Das alles unter den Augen der verdatterten Europäer, die die Welt nicht mehr verstehen. Wie man wohl im Kreml darüber denkt?
Nicht nur ein italienisches Problem?
Der Sturz von Mario Draghi ist nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa ein herber Schlag, ist auch Gazet van Antwerpen überzeugt. Das Schlimme ist, dass das Debakel eigentlich nur die Folge von kurzsichtiger Parteipolitik ist. Hier ging es nur um Profilierung, ans Allgemeinwohl hat niemand gedacht. Das allerdings kann man auch in anderen europäischen Ländern beobachten. Kein beruhigender Gedanke in Zeiten von Wirtschaftskrise und Krieg.
Der Rücktritt von Mario Draghi konnte nicht zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen, findet auch De Morgen. Sein Land, um nicht zu sagen Europa insgesamt, ächzt unter einer schlimmen Krise: Kaufkraft, Energieknappheit, der Krieg in der Ukraine und die immer noch spürbaren Auswirkungen der Coronakrise. Die politischen Verwerfungen in Rom werden auch den Euro weiter schwächen. Schon jetzt gilt Italien als der kranke Mann Europas. Geschweige denn, wenn bei der nächsten Wahl rechtspopulistische und offen neofaschistische Parteien noch mehr Oberwasser bekommen. Nicht vergessen: Politiker wie Matteo Salvini von der rechtextremen Lega wurden in der Vergangenheit durch den Kreml unterstützt und umgekehrt. Mehr denn je wird die EU den Italienern beweisen müssen, warum ihre Mitgliedschaft nützlich ist.
EZB in der Zwickmühle zwischen Falken und Tauben
Apropos Europa, apropos Euro: "Inflation, die EZB zückt die Zinswaffe", titelt Le Soir. Die Europäische Zentralbank wird wach: Der Leitzins steigt gleich um 50 Basispunkte, schreibt De Standaard auf Seite eins. "Und damit ist die Ära der Negativzinsen vorbei", so die Schlagzeile von De Tijd.
Was viele schon seit längerer Zeit erwarten, ist nun also doch eingetreten, bemerkt L'Echo in seinem Leitartikel. Mit einer Leitzinserhöhung um gleich 0,5 Prozent hatten aber nur die wenigsten gerechnet. Die EZB sitzt in einer Zwickmühle, musste den Mittelweg finden zwischen den Forderungen der Falken und der Tauben. Im Klartext: Wer die Inflation eindämmen will, der muss entschlossen an der Zinsschraube drehen. Dreht man zu weit, dann gefährdet man das Wachstum. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat aber einen klugen Kompromiss gefunden.
Auch das GrenzEcho hebt das Dilemma der EZB hervor. Denn wenn die Zinsen zu sehr angehoben werden, dann droht einigen Ländern außerdem noch der Staatsbankrott. Wir sprechen von Italien und Griechenland, aber auch Portugal, Spanien und … Belgien. Der Euro schwächelt schon jetzt, verliert an Wert gegenüber dem Dollar und sogar gegenüber dem Rubel. Es droht wieder ein ähnliches Szenario wie vor zehn Jahren: eine ausgewachsene Euro-Krise.
Europa als Schicksalsgemeinschaft?
Das Gespenst einer Euro-Krise geht wieder um, glaubt auch De Tijd. Für Europa kommt es in diesen Tagen nämlich knüppeldick. Der Rücktritt von Mario Draghi in Italien und das bei galoppierender Inflation und einer drohenden Versorgungskrise. Hier tun sich mehr denn je Risse innerhalb der EU auf. Die EU-Kommission will die Mitgliedstaaten notfalls zwingen, 15 Prozent Gas einzusparen. Einige Länder sehen das nicht ein. Hier geht es vor allem um Deutschland. Berlin hat während der Eurokrise gerne mit dem Finger auf vor allem die südlichen Länder gezeigt. Hier steht vor allem Deutschland im Fokus. Und eben die südlichen Länder verspüren im Moment nicht die größte Lust, sich solidarisch zu zeigen.
All das kann aber auch eine Chance sein, glaubt De Standaard. Inflation, Energieknappheit, Krieg und vielleicht auch noch eine neue Schuldenkrise, das alles hat durchaus Spaltungspotential. Und genau das wünscht sich wohl auch ein gewisser Wladimir Putin. Die aktuelle europäische Verletzlichkeit kann uns aber auch zusammenschweißen, da sie einmal mehr zeigt, dass wir eine Schicksalsgemeinschaft sind.
Roger Pint