"Pariser Attentate: Salah Abdeslam wird zu lebenslanger Haft verurteilt ohne Haftverkürzung", titelt La Libre Belgique. "Die Höchststrafe", präzisiert L'Avenir. "Abdeslam wird nie wieder aus dem Gefängnis kommen", so die Schlagzeile von La Dernière Heure. "Lebenslang für Salah Abdeslam und Mohamed Abrini", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins.
Im Pariser Terrorprozess sind am Abend die Urteile verkündet worden. "Die 14 überlebenden Angeklagten wurden allesamt für schuldig befunden", notiert La Libre Belgique. In dem Verfahren ging es um die Anschläge von Paris vom 13. November 2015. Damals hatten islamistische Terroristen in den Straßen der französischen Hauptstadt und in einem Konzertsaal 130 Menschen getötet und 350 weitere verletzt.
Im Fadenkreuz der Terroristen waren nicht einzelne Personen, sondern unsere demokratische Gesellschaft insgesamt, analysiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Angesichts einer solchen Tragödie und des ermesslichen Leids, das sie hervorgerufen hat, wäre die Versuchung groß gewesen, eine Form von "Ausnahme-Justiz" walten zu lassen. Das allerdings wäre ein schwerer Fehler gewesen. Es ist richtig, dass der Rechtsstaat trotz der Dimensionen des behandelten Verbrechens seine Funktionsweise nicht angepasst hat. Das Verdienst des Verfahrens ist es auch, dass hier nicht Rachegelüste im Mittelpunkt standen. Nur wenn man es schafft, irgendeine Form von Versöhnung herbeizuführen, kann ein wirklicher Trauerprozess einsetzen. Rache oder Wut erlauben das nicht.
Der Pariser Terrorprozess als Vorbild
Wenn der Pariser Prozess ein Erfolg war, dann aber auch dank der Opfer beziehungsweise derer Angehörigen, findet L'Avenir. Die haben nämlich eine außerordentliche Würde an den Tag gelegt, was einen Dialog zwischen den verschiedenen Verfahrensparteien möglich gemacht hat. Die Intensität ihrer Aussagen hat es erlaubt, die Gewalt und deren Folgen wirklich zu verstehen. Die 400 Anhörungen von Opfern und Angehörigen haben niemanden unberührt gelassen. Die Frage ist allerdings, was man jetzt von dem Brüsseler Prozess erwarten darf, bei dem ab Mitte Oktober ja die Brüsseler Anschläge vom 22. März 2016 behandelt werden sollen. Schließlich werden sich da im Großen und Ganzen dieselben Leute verantworten müssen.
In Brüssel sollte man sich jedenfalls das Pariser Verfahren zum Vorbild nehmen, empfiehlt Le Soir. Bei dem Prozess im historischen Justizpalast der französischen Hauptstadt wurde fast alles richtig gemacht. Trotz der Pragmatik stand am Ende vor allem die Menschlichkeit im Mittelpunkt. Unterm Strich bleibt dieser Ausnahme-Prozess als regelrechte Katharsis in Erinnerung, eine Läuterung. In diesem Frankreich mit seinem aufgeheizten politischen Klima, das man so häufig als polarisiert bezeichnet, zeugt dieser Terrorprozess von einer ausgesprochenen Reife der Justiz und all ihrer Akteure. Eben eine Referenz.
Zeit für die Europäer, sich um ihre Verteidigung zu kümmern
Viele Zeitungen beschäftigen sich aber auch mit dem Nato-Gipfel, der heute in Madrid fortgesetzt wird. "Die Nato beschließt eine massive Aufrüstung", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. Het Nieuwsblad ist blumiger: "Die Nato ballt die Faust gegen Russland: Mehr Mitglieder, mehr Waffen, mehr Truppen". Die nordatlantische Verteidigungsallianz will ja mit demonstrativer Entschlossenheit auf die neuerliche Bedrohung durch Russland reagieren. Insbesondere wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine wird Russland jetzt wieder als Bedrohung eingestuft. Und entsprechend rüstet die Nato auf.
Der russische Präsident Wladimir Putin spricht nur noch die Sprache der Bomben; und deswegen richtet sich die Nato neu aus, analysiert nüchtern L'Echo. Im Grunde passt sich die Allianz den neuen geopolitischen Gegebenheiten an. Es wäre vielleicht wünschenswert, wenn auch die Europäer all das zum Anlass zu nehmen, um ihre Verteidigung auch bis zu einem gewissen Grad selbst in die Hand nehmen würden. Und eigentlich gilt das auch schon für Belgien. Die Regierung will erst im Jahr 2035 die von der Nato geforderten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben aufwenden. Die meisten Partner erreichen dieses Ziel aber schon 2024. Auch Belgien sollte sich auf die neue Zeit einstellen.
Demgegenüber scheint sich der russische Präsidenten Wladimir Putin verkalkuliert zu haben, glaubt De Standaard. Er wollte die angebliche Expansion der Nato eindämmen; erreicht hat er das Gegenteil. Mit seinem blutigen Krieg hat Putin die Nato wachgerüttelt. War die Allianz bis vor Kurzem noch in einem halb komatösen Dämmerzustand, so baut sie jetzt mit viel Adrenalin ihre östliche Verteidigungslinie aus. Putin bekommt jetzt also an seiner West-Grenze ein schwer bewaffnetes Nato-Bollwerk. Im Grunde macht das alles den Krieg in der Ukraine nur noch absurder und schmerzhafter.
Eine Medaille mit zwei Seiten
Gestern wurde eine neue Weltordnung etabliert, meint sogar Gazet van Antwerpen. Die Nato hat sich klar positioniert. Russland wird als Bedrohung eingestuft, China wird seinerseits nun auch als "Herausforderung" betrachtet. Im Grunde wird damit die Welt wieder in zwei Lager geteilt. Und das ist eigentlich beängstigend. Einerseits mag es ja beruhigend sein, dass die Nato so geeint auftritt. Doch wird damit die geopolitische Lage zunehmend gefährlich. Jeder Konflikt kann jetzt ernste Konsequenzen haben.
Het Nieuwsblad sieht die Gipfel-Ergebnissen von Madrid als eine Medaille mit zwei Seiten. Klar: Die Nato geht eigentlich gestärkt aus der Krise hervor. Dies allerdings zumindest in einigen Bereichen zu einem hohen Preis. Der Beitritt von Finnland und Schweden etwa war nur möglich, nachdem man der Türkei gegenüber Zugeständnisse gemacht hat. Grob gesagt gibt man dem türkischen Präsidenten Erdogan die Möglichkeit, noch entschlossener gegen seine Gegner vorzugehen. Auf diesem Altar sind insbesondere die Kurden geopfert worden. Hier hat sich einmal mehr der Pragmatismus über die ideale hinweggesetzt. Die europäische Mauer gegen Russland mag verstärkt worden sein. Die Glaubwürdigkeit der Nato als Verteidigerin der Freiheit und der Menschenrechte hat durch diesen Kniefall allerdings Schaden genommen.
Roger Pint