"Erniedrigt", titelt Het Nieuwsblad. "Ohne Abwehr – die Roten Teufel wurden durch die Niederlande gedemütigt", schreibt L'Avenir auf Seite eins. "Mannomann! 1:4", so die lapidare Schlagzeile von Gazet van Antwerpen. Die belgische Nationalmannschaft hat am Abend ihr Auftaktspiel in der Nations League mit 1:4 verloren. Und das ausgerechnet gegen den Dauerrivalen Holland; und dann auch noch vor heimischer Kulisse im König-Baudoin-Stadion. Die Roten Teufel haben im WM-Jahr eine ganz schlechte Figur gemacht. Het Laatste Nieuws zeigt breit grinsende niederländische Spieler. Die beißende Schlagzeile: "Auslach-Fußball".
Laufzeitverlängerung – Der Staat als "Bad Bank"
Im Mittelpunkt der Leitartikel steht derweil einmal mehr die angestrebte Laufzeitverlängerung der beiden jüngsten Kernreaktoren Doel 4 und Tihange 3. Betreiber Engie hatte ja in dieser Woche harte Bedingungen gestellt, um die beiden Meiler länger am Netz zu halten. Insbesondere verlangt der französische Energiekonzern, dass sich der belgische Staat an den Atomkraftwerken finanziell beteiligt und damit auch die Kosten für die Entsorgung des Atommülls und auch für den Rückbau der Anlagen mittragen müsste.
Der Dumme soll also am Ende wieder der belgische Staat sein, kann Le Soir sinngemäß nur feststellen. Das wäre leider nicht das erste Mal. Die Energiepolitik in diesem Land und insbesondere der Bereich Atomkraft, all das lässt sich eigentlich auf eine unendliche Auseinandersetzung zwischen dem belgischen Staat und einem französischen Privatunternehmen reduzieren. Die Rede ist natürlich von Engie, einstmals Suez. Wir erinnern uns: 1988 erlangte Suez die Kontrolle über das belgische Vorzeigeunternehmen Tractebel und seiner Filiale Electrabel. 1999 wurde das Ganze noch einmal betoniert.
Es ist diese unselige belgische Angewohnheit, seine Kronjuwelen zu verscherbeln, strategische Kernbereiche ausländischen Privatunternehmen zu überlassen. Die in Belgien generierten Gewinne sind also munter nach Paris geflossen. Und jetzt, wo die Atomkraft plötzlich lästig wird, jetzt sollte der belgische Staat also wieder einsteigen und die Risiken mittragen. Das ist das Comeback des gelackmeierten Staates.
De Standaard sieht das genauso. Jahrzehntelang galt das Dogma des freien Marktes, der es immer besser macht und in dem der Staat allenfalls ein notwendiges Übel ist. Vor allem in den letzten Jahren haben die aufeinanderfolgenden Krisen aber dazu geführt, dass man den Staat inzwischen aber fast schon wie eine Art "Bad Bank" betrachtet. Konkret: Wenn es ernst wird, zu teuer oder zu risikoreich, dann muss der Staat den Kopf hinhalten. Und dann dürfen ohne Ende Schulden gemacht werden.
Bester Beweis: Die Haltung der flämischen Mitte-Rechts-Parteien, die allen Ernstes die Idee einer teilweisen Verstaatlichung der belgischen Atomkraftwerke unterstützen. Dem Zynismus sind offensichtlich keine Grenzen mehr gesetzt: Auf liberalen Druck hin wurden die damals noch florierenden Kernreaktoren an ein französisches Privatunternehmen verkauft. Und jetzt, da die Milliarden gemolken sind und die Risiken größer werden, jetzt darf der Staat die verschlissenen Anlagen wieder zurückkaufen; und obendrauf auch noch den Atommüll. So wird der Staat zum Krüppel gemacht.
Selbst eingebrockt
Het Laatste Nieuws macht sich derweil in gewisser Weise zum Anwalt des Teufels. Kann man es Engie wirklich verübeln, dass das Unternehmen gewisse Zweifel hat angesichts der doch erheblichen Risiken, die eine Laufzeitverlängerung mit sich bringen würde? Es ist jedenfalls etwas zu einfach, den französischen Konzern als die böse Schwiegermutter an die Wand zu malen. Nach zwei Jahrzehnten Schleuderkurs, in denen quasi jede Regierung eine andere Meinung zum Atomausstieg hatte, ist es doch nachvollziehbar, dass Engie da nichts dem Zufall überlassen will. Die meisten pubertierenden Teenies sind in Sachen Liebe treffsicherer als Belgien beim Atomausstieg. Langzeitvisionen? Fehlanzeige! Mal ehrlich: Wer würde denn unter diesen Umständen sein Geld in eine solche Unternehmung stecken? All das bringt Engie natürlich in eine vorteilhafte Verhandlungsposition. Das hat sich die heimische Politik selbst zuzuschreiben.
Angriff statt Verteidigung
Wie wäre es denn damit, in der Energiedebatte einmal die Logik umzudrehen?, fragt sich sinngemäß L'Echo. Ja, die Preise sind aktuell viel zu hoch. Und ja, das bringt insbesondere die schwächsten Bevölkerungsgruppen in ernste Probleme. Nur ist es wirklich richtig, jetzt erhebliche staatliche Mittel loszueisen, um den Höhenflug der Energiepreise abzufedern? Denn eigentlich ist das kontraproduktiv, sorgen solche Maßnahmen doch dafür, dass weiterhin genau die Produkte verbraucht werden, von denen wir uns doch eigentlich lösen sollten.
Viel besser wäre es doch, wenn man auf die Nachfrage einwirkt. Etwa über Hilfen für Gebäudeisolierung, für die Installation von Photovoltaik-Anlagen, für Elektroautos. Natürlich hilft das nicht sofort, man kann aber zumindest schon mal Weichen in diese Richtung stellen. Unser Defensiv-Reflex ist jedenfalls auf Dauer zu teuer. Es ist Zeit, zum Angriff überzugehen, denn der ist nachhaltiger.
Arbeitsmarkt vor der Implosion
Doch auch in anderen Bereichen erwarten einige Zeitungen jetzt endlich mal visionäre Politik. Beispiel Arbeitsmarkt, meint etwa Het Nieuwsblad. In Belgien gibt es derzeit eine halbe Million Langzeitkranke. Die Hälfte davon leidet unter psychischen Problemen. Man muss sich das vorstellen. Das ist mal eben die ganze Stadt Antwerpen, die von Arbeitnehmern bevölkert wird, die seit mehr als einem Jahr zu Hause sitzen. Und diese Zahl droht nur noch größer zu werden: Viele Unternehmen suchen händeringend nach Personal; und deswegen steigt der Druck auf die übrigen Mitarbeiter, die diese Lücken füllen müssen. Doch während der Arbeitsmarkt kurz vor der Implosion steht, kommt die Föderalregierung nicht zu Potte, stochert sie am Rand herum.
Der für den Nationalfeiertag angekündigte "Arbeitsdeal", wird denn auch zur Bewährungsprobe, nicht nur für die Regierung, sondern auch gleich für das ganze Land, glaubt De Tijd. Arbeitsmarktreform, Pensionen, Wiedereingliederung von Arbeitslosen oder Langzeitkranken: Hier bedarf es endlich entschlossener Maßnahmen und Weichenstellungen. Ohne eine Rentenreform etwa wird die Staatsschuld durch die Decke gehen. Doch statt Tatendrang sieht man bei der Regierung De Croo allenfalls Lähmung. Das hat auch mit den unterschiedlichen Prioritäten von Flamen und Frankophonen zu tun. Die Regierung wird also auch beweisen müssen, dass nicht nur sie, sondern auch Belgien noch funktioniert.
Roger Pint