"Europa will die von Russland blockierten Agrarprodukte befreien", titelt Le Soir. Tausende Tonnen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen hängen derzeit in der Ukraine fest. Früher wurden diese Produkte über das Schwarze Meer verschifft. Die Seeblockade der russischen Marine macht das aber derzeit unmöglich. Die EU-Kommission will jetzt neue Transportrouten über die Straße und über die Schiene möglich machen.
Apropos Ukraine: Fast 40.000 ukrainische Flüchtlinge sind bislang schon in Belgien angekommen. Bis Ende Juli rechnet man mit bis zu 80.000 Schutzsuchenden. Das wären deutlich weniger als ursprünglich erwartet.
"Die Ermittler müssen inzwischen auch schon den Kampf gegen das organisierte Verbrechen vernachlässigen", so derweil die Aufmachergeschichte von De Standaard. Schon seit Monaten schlagen die Polizei- und Justizbehörden Alarm: Sie verfügen nach eigenen Angaben nicht mehr über ausreichende Mittel, um sich auf wirklich alle Bereiche der Kriminalität konzentrieren zu können. Schuld ist vor allem die Akte Sky ECC, die derzeit zu viele Kapazitäten bindet. Dies vor allem wegen der enormen Datenmengen, die in diesen Ermittlungen gegen einen Drogennetzwerk gesammelt wurden.
In einer virtuellen Realität
Hier kann man fast von unterlassener Hilfeleistung sprechen, kritisiert De Standaard in seinem Leitartikel. Das, was die Vertreter von Polizei und Justiz gestern im Parlament zu Protokoll gegeben haben, das klang geradezu haarsträubend. Ermittlungen selbst in schweren Fällen bleiben einfach liegen. Das ist umso empörender, als die Sicherheitsdienste schon seit Jahren über Personalmangel klagen.
Geradezu tragisch ist, dass man hier zum Opfer des eigenen Erfolgs wird. Für die Leistungen in der Akte Sky ECC gab es viel Lob. Zu Recht übrigens. Doch ausgerechnet diese Akte ist es jetzt, die die Ermittler an die Grenzen ihrer Möglichkeiten bringt. Bei alledem kommen der Justizminister und die Innenministerin nicht in die Gänge; sie streiten über Nichtigkeiten. Offensichtlich rotieren sie in einer virtuellen Realität.
Das Rezessionsgespenst geht wieder um
Einige Zeitungen sorgen sich um die aktuelle wirtschaftliche und finanzielle Lage. "Der Zinsanstieg kann den Staatshaushalt eine Milliarde Euro kosten", notiert etwa De Tijd auf Seite eins. Alles deutet daraufhin, dass die Zeit der Niedrig- beziehungsweise Negativzinsen vorbei ist. Und das bedeutet natürlich, dass die belgische Staatsschuld in absehbarer Zeit teurer wird.
Het Belang van Limburg blickt besorgt auf die steigenden Zinsen für Wohnungskredite. Für ein Darlehen von 200.000 Euro bezahlt man jetzt schon doppelt so viel Zinsen wie noch vor einem Jahr. Schwacher Trost: Das Zinsniveau liegt immer noch wesentlich niedriger als vor 30 Jahren. Immobilien sind immer noch eine lohnende Investition.
Die aktuelle Krise und insbesondere der Höhenflug der Inflation richten derzeit enorme Schäden an, kann La Libre Belgique nur feststellen. Überall auf der Welt müssen Wachstumsprognosen nach unten korrigiert werden. Sogar das Rezessionsgespenst geht wieder um. Die Regierungen dürfen hier nicht untätig bleiben. Vor allem müssen die Auswirkungen für die Klein- und Mittelverdiener abgefedert werden, um den Konsum nicht völlig abzuwürgen.
"Komplexität muss nicht immer schädlich sein"
Ein denkbar schwieriger Kontext für die Bemühungen des föderalen Finanzministers Vincent Van Peteghem, der ja eine Steuerreform auf den Weg bringen will. Der Hohe Finanzrat hat dazu jetzt Vorschläge ausgearbeitet, die allerdings nicht alle auf ungeteilte Zustimmung stoßen.
Auch L'Echo übt Kritik an dem Entwurf. Erstaunlicherweise plädiert der Hohe Finanzrat für die Streichung einer Besteuerungsstufe, was darauf hinausliefe, dass für Einkommen zwischen 40.000 und 100.000 Euro derselbe Steuersatz gelten würde. Es ist schwer einzusehen, dass Klein- und Mittelverdiener auf derselben Stufe stehen sollen wie hohe Einkommen. Hier zeigt sich: Zu viel Vereinfachung kann Gift sein für die Steuergerechtigkeit. Je mehr man die Situation des Einzelnen in Betracht zieht, desto ausgewogener ist am Ende das System. Komplexität muss nicht immer schädlich sein.
Für die Regierung und insbesondere Premier Alexander De Croo wird diese Steuerreform wohl die größte Bewährungsprobe in dieser Legislaturperiode, glaubt das GrenzEcho. Eine reine Verschiebung von Lasten von einem Paar Schultern auf das nächste kann nicht die Lösung sein. Und bei alledem muss man auch noch die sehr unterschiedlichen Interessen und politischen Schwerpunkte der sieben Vivaldi-Parteien unter einen Hut bringen. Am Ende jedenfalls muss mehr herauskommen als ein "Compromis à la belge", womit jede politische Familie nur ihre jeweilige Wählerschaft bedienen würde.
Der Eindruck einer geschäftsführenden Regierung
Wenn denn die Regierung überhaupt bis 2024 überlebt, unkt Het Laatste Nieuws. Dieses Schreckensszenario ist nicht einem Journalistenkopf entsprungen, vielmehr war es Sammy Mahdi, der voraussichtliche neue Vorsitzende der CD&V, der in einem Fernsehstudio mögliche vorgezogene Neuwahlen in den Raum stellte. Bumm! Paukenschlag! Wenn Mahdis Zunge vielleicht auch ein bisschen locker saß, so lässt diese Aussage doch tief blicken. Zeigt sie doch, wie groß der Frust innerhalb der Regierung inzwischen ist.
Anderes Beispiel: Gerade erst hat Justizminister Vincent Van Quickenborne versucht, die allzu oft quertreibende MR auszubremsen. Meinungsverschiedenheiten können konstruktiv sein, wenn sie denn am Ende politische Weichenstellungen zur Folge haben. Bei Vivaldi hat man aber eher den Eindruck, dass sich die Partner eingraben. Wegen der Unfähigkeit, Kompromisse zu schmieden, erinnert diese Equipe beinahe an eine geschäftsführende Regierung.
Roger Pint