"Putin lässt markige Sprache dann doch weg", schreibt De Morgen. "In Moskau schürt Wladimir Putin den russischen Patriotismus", titelt L'Echo. "Putin: Nato-Staaten wollten uns nicht hören – Russischer Präsident begründet erneut Ukraine-Krieg", resümiert das GrenzEcho auf Seite eins die Rede des Kreml-Machthabers anlässlich der großen Militärparade, mit der Russland gestern den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg gefeiert hat.
Es wäre falsch, jetzt aufzuatmen, hält Het Nieuwsblad fest. Den großen Knall gab es gestern zwar nicht, die Rede Putins war im Prinzip ein Abklatsch der letzten Jahre. Aber Putin hat keinerlei Absicht, die Waffen zu strecken. Aktuell ist für Russland in der Ukraine ja noch nicht einmal ein Pyrrhussieg in Sicht. Das müssen alle westlichen Unterstützer der Ukraine deutlich vor Augen haben, eine Eskalation droht weiter. Die Europäische Union muss diese Botschaft auch deutlich an Washington und London übermitteln – eben um eine weitere Eskalation zu verhindern und die Einheit zu bewahren. Martialische Sprüche aus dem Westen stärken nur Putins Narrativ, das ohnehin schon viele Russen glauben: dass die Nato Krieg gegen Russland führt.
Der erste Schritt in Richtung Ausweg aus dem Konflikt ist, dass geschwiegen wird. Erst wenn auch verbal abgerüstet wird, kann mit echten Gesprächen begonnen werden. Denn früher oder später wird verhandelt werden müssen, um diesen aussichtslosen Krieg zu beenden, der die ganze Welt bedroht. Der französische Präsident hat es am besten zusammengefasst: Es muss alles dafür getan werden, damit die Ukraine überlebt und Russland nicht gewinnt. Aber dafür darf Russland nicht zu stark gedemütigt werden, meint Het Nieuwsblad.
Der Patzer-Kredit Putins ist nicht unerschöpflich
Der "Tag des Sieges" kam für Putin zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, kommentiert De Standaard. Eigentlich hatte er ja an diesem 9. Mai mit einem überwältigenden militärischen Sieg aufwarten wollen. Stattdessen musste er angestrengt versuchen, die desaströse Situation an der Front zu verschleiern. Seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar ist nur eine einzige große Stadt erobert worden – Cherson. 15.000 russische Soldaten sind bereits jetzt gefallen. Genauso viele wie in zehn Jahren Afghanistan-Krieg.
In einem normalen Konflikt würden solche Misserfolge zur Aufgabe und vielleicht sogar zum Fall des Aggressors führen. Mit einem schnellen Untergang Putins brauchen wir dennoch nicht zu rechnen, dafür hat er noch immer zu mächtige Waffen in seinem Arsenal, die den Krieg beeinflussen können. Aber allein die Tatsache, dass Putin gestern so viel Energie darauf verwendet hat, sein Versagen zu maskieren, zeigt zumindest, dass sein Patzer-Kredit bei seinen Generälen und der Bevölkerung nicht unerschöpflich ist, so De Standaard.
Warum nicht früher? Und warum nicht umfassender?
Für viel Wirbel sorgt seit gestern die Absicht des flämisch-liberalen Justizministers Vincent Van Quickenborne, Werbung für Glücksspiele weitgehend verbieten zu lassen. Gegen dieses Vorhaben gehen – neben dem Sektor selbst und dem Profifußball, der den Verlust von viel Sponsorengeld fürchtet – vor allem die frankophonen Liberalen MR und ihr Präsident Georges-Louis Bouchez auf die Barrikaden.
Der Vorstoß des Justizministers ist eine ausgezeichnete Idee, lobt De Morgen. Zocken ist ein schädliches Phänomen, dessen Umfang immer weiter zunimmt. Ein Werbeverbot ist eine so einfache, aber effektive Maßnahme, dass man sich fragen muss, warum sie nicht schon vorher ergriffen worden ist. Die Antwort lautet natürlich wie so oft: Lobbyismus. Es ist eine gute Sache, wenn eine Gesellschaft ihre Bürger in Schutz nimmt gegen derartige Risiken, das fällt unter präventive Politik. Besser, als im Nachhinein die hohen menschlichen und gesellschaftlichen Kosten solchen Suchtverhaltens stemmen zu müssen. Und das Eingreifen geschieht mit Außenmaß: Nicht das Glücksspiel selbst wird verboten, nur die Werbung dafür. Die Menschen haben also weiterhin jedes Recht, sich in ihr eigenes Elend zu stürzen. Das einzige, was nicht mehr erlaubt sein soll, ist, sie dazu zu ermutigen, erinnert De Morgen.
Het Laatste Nieuws nimmt die Argumente der Gegner des Verbots weiter auseinander: Nein, das Verbot wird den Fußball nicht zu Grabe tragen. Genauso wenig, wie das Verbot der Tabakreklame das Ende der Formel Eins bedeutet hat. Wenn ein solches Werbeverbot tatsächlich den Sport töten würde, wie es Bouchez behauptet, dann muss man sich eher fragen, ob der Sport nicht schon tot ist. Als ob König Fußball nicht einfach andere finanzkräftige Sponsoren finden könnte. Als "puritanisch" bezeichnet Bouchez die Maßnahme. Auch das stimmt nicht, Zocken selbst wird nicht untersagt, nur die Ermunterung dazu. Werbeverbote haben sich außerdem in anderen Ländern bereits als wirksam erwiesen. Eine verpasste Chance ist allerdings, dass nicht gleichzeitig die Nationallotterie in puncto Werbung ebenfalls eingeschränkt worden ist. Denn wenn die Regierung es ernst meint mit der Bekämpfung der Spielsucht, dann sollte sie auch bei der staatlichen Lotterie selbst mit gutem Beispiel vorangehen, unterstreicht Het Laatste Nieuws.
Eine Frage des gegenseitigen Respekts und der Identität
Mit einem ganz anderen Thema befasst sich La Dernière Heure, nämlich mit dem Vorstoß von Asylstaatssekretär (und vermutlich nächstem CD&V-Präsident) Sammy Mahdi. Der hatte es als Skandal und absoluten Mangel an Respekt bezeichnet, dass Niederländisch im frankophonen Unterrichtswesen kein Pflichtfach ist. Und dass die föderale Ebene die Wallonen zwingen können müsste, die Sprache zu erlernen.
Wir stimmen dieses Mal zu einhundert Prozent mit Mahdi überein, unterstreicht die Zeitung. Es geht hier nicht um Widerstand gegen das Erlernen von Englisch, das ist keine Entweder-oder-Situation. Niederländisch ist in Belgien einfach die meistverwendete Sprache. Es zu sprechen, ist schon aus rein pragmatischen Gründen wichtig, Stichwort Arbeitssuche. Daneben ist es aber auch eine Frage des Zusammenlebens: Ein Mindestmaß an Verständnis der Anliegen der Gemeinschaft, mit der wir unser Land teilen, ist eine Frage des gegenseitigen Respekts. Mehr noch, der Identität, meint La Dernière Heure.
Boris Schmidt