"Putins Drohungen gegen den Westen werden immer schriller", schreibt De Standaard. "Moskau verschärft den Ton weiter", so formuliert es L'Echo. "Kein bisschen Gnade", fasst Het Nieuwsblad den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zusammen. "EU einig bei Schutz für Kriegsflüchtlinge", so die zentrale Schlagzeile auf Seite eins des GrenzEchos.
Seit dem Beginn des Überfalls auf die Ukraine haben wir viele neue Einsichten gewonnen, schreibt De Standaard. Aus dem Undenkbaren ist zunächst das Unvermeidliche und mittlerweile das Selbstverständliche geworden. Das gilt zum Beispiel für den Wandel der Soft Power der Europäischen Union, die mittlerweile sogar Waffen in das Kriegsgebiet liefert. Noch schneller haben sich die Ereignisse aber in der Weltwirtschaft überschlagen, siehe Rückzug westlicher Firmen aus Russland und die um sich greifende Panik bei Putins Oligarchen. Ende letzter Woche schien es, als ob eine Invasion Taiwans durch China jetzt wahrscheinlicher als je zuvor wäre. Inzwischen gilt das Gegenteil. Gute und schlechte Nachrichten gehen auf unvorhersagbare Weise ineinander über. Niemand weiß, wie es weitergehen wird, das Gespenst eines Atomkriegs geht stärker um als in den letzten 30 Jahren. Aber eines wissen wir mittlerweile: Das Argument, dass etwas unmöglich ist, fällt schneller als der russische Rubel, so De Standaard.
Es geht um die Zukunft und Souveränität Europas
Kurzfristig muss die Priorität Europas sein, die Auswirkungen von Putins Krieg auf die Union zu dämpfen, hält La Libre Belgique fest. Fundamentaler ist allerdings, dass Europa dazu gezwungen wird, seine strategische Doktrin der letzten Jahrzehnte zu überdenken und zu einem Kontinent zu werden, der selbst Meister seines Schicksals ist. Das gilt nicht nur für unsere Sicherheit und Verteidigung, sondern auch für die Fähigkeit, unsere Wohnungen zu heizen und uns zu ernähren, ohne vollkommen von instabilen oder geächteten Regimen abhängig zu sein. Wir müssen den Kurs ändern: Dass Globalisierung automatisch Sicherheit und Wohlstand bringt, das hat zuerst die Pandemie widerlegt. Und jetzt der Wahnsinn Putins. Europa muss endlich echten Ehrgeiz zeigen in puncto Wirtschaft, Nahrung, Industrie, Energie und Technologie. Das bedeutet massive Investitionen in den Energiewandel, in eine nachhaltige Wirtschaft und in die Innovation. Wir müssen geopolitische Allianzen unter die Lupe nehmen und unsere Energieversorgung diversifizieren. Die Geschichte ist in eine Stromschnelle geraten, eine tragische Stromschnelle. Es war ein schmerzhaftes Erwachen für Europa. Jetzt muss es sich der Herausforderung stellen. Es geht um seine Zukunft und um seine Souveränität, unterstreicht La Libre Belgique.
Tabubrüche und vergangene Fehler
De Morgen befasst sich ebenfalls mit dem Problem der Abhängigkeit: Europa bezahlt noch immer 800 Millionen Euro pro Tag an Russland für Öl und Gas. Diese Einkünfte benutzt Putin zum Teil, um seine Kriegsmaschine am Laufen zu halten. Wenn sich Europa energetisch unabhängiger macht, dann verringert das nicht nur die Anfälligkeit gegenüber russischen Erpressungsversuchen. Es eröffnet auch mehr Möglichkeiten, um den russischen Energiesektor mit richtig harten Sanktionen zu treffen. In Belgien wird es auch um den Atomausstieg gehen. Selbst die Verlängerung der zwei jüngsten Kernreaktoren wird aber nicht reichen, heißt es. Vielleicht sollten wir dann doch auch nach den anderen fünf Meilern schauen? Wenn wir wirklich von Russland wegwollen, dann ist mehr als zwei Kernreaktoren offen zu halten vielleicht gar keine so verrückte Idee, wagt De Morgen den Tabubruch.
De Tijd blickt auf die von Putins Angriff ausgelöste Flüchtlingskrise: Laut dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge haben schon mehr als eine Million Ukrainer ihr Land verlassen müssen. Diese Flüchtlingswelle unterscheidet sich aus vielen Gründen deutlich von der von 2015. Aber dennoch sollte darauf geachtet werden, dass die Fehler von damals nicht wiederholt werden. Wenn der Krieg gegen Putin in der Ukraine aussichtslos wird, dann werden die Ukrainer zu Recht fragen, hier bleiben zu dürfen. Und sie werden dann auch selbst wählen wollen, in welchem Land mit welchem Sozialsystem sie leben wollen. Um Probleme zu vermeiden, brauchen wir dieses Mal ein durchdachteres Vorgehen und besser befolgte Absprachen, appelliert De Tijd.
Vorsicht trotz "Code Gelb"
Auf nationaler Ebene ist dann noch der heute stattfindende Konzertierungsausschuss zur Corona-Epidemie wichtig: "Das Covid-Safe-Ticket und die Maske fallen", fasst Le Soir die zwei wichtigsten erwarteten Entscheidungen zusammen. "Code Gelb erlöst uns (vorläufig zumindest) vom Covid-Safe-Ticket – auch Mundschutzmaskenpflicht fällt weg, aber nicht überall", so Gazet van Antwerpen.
Der Konzertierungsausschuss soll etwas Licht in die aktuelle Dunkelheit bringen, kommentiert Le Soir. Die Lockerungen hängen von der epidemiologischen Entwicklung ab. Die ist deutlich: Das Coronavirus ist überall auf dem Rückzug. Sich ergeben hat es aber noch nicht. Auf die Gefahr hin, als Spielverderber dazustehen: Das Virus hat uns mehr als einmal reingelegt, es ist also besser, wenn wir vorsichtig bleiben. Und trotz all der anderen dunklen Wolken am Horizont sollten wir das Corona-Krisenmanagement aufarbeiten und daraus Lehren für die Zukunft ziehen, fordert Le Soir.
Das Reich der Freiheit bricht nun wirklich an, schreibt Gazet van Antwerpen. Aber leider wird das von der Kriegsgewalt überschattet. Der heutige Konzertierungsausschuss ist dennoch historisch. Er kann zwei Jahre nach dem Beginn der Pandemie zumindest das vorläufige Ende der Gesundheitskrise markieren. Aber so wie auch schon zuvor bleiben einige Knoten durchzuhacken. Muss zum Beispiel der Coronapass abgeschafft werden? Oder behalten wir ihn lieber in der Hinterhand, falls die Epidemie wieder aufflammt? Wird das Coronabarometer abgeschafft? Vor einem Monat schien es noch überlebensnotwendig. Jetzt ist es vielleicht überflüssig. So kann es gehen, sinniert Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt