"Paukenschlag in Namur: Der wallonische Haushaltsminister Jean-Luc Crucke (MR) tritt zurück", titelt das GrenzEcho. "Der Liberalismus Cruckes ist nicht kompatibel mit der MR", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Warum die Neutralisierung Cruckes den Einfluss von Bouchez auf die MR verstärkt", beleuchtet La Libre Belgique die Rolle des Vorsitzenden der frankophonen Liberalen.
Eine Überraschung ist der Rücktritt von Jean-Luc Crucke sicher nicht, betont Gazet van Antwerpen. Zu oft war er mit seinem Parteipräsidenten Georges-Louis Bouchez zusammengerasselt. Ob die frankophonen Liberalen MR allerdings gestärkt aus der Affäre hervorgehen werden, ist zumindest fraglich. Was hingegen sicher ist, ist, dass die Entscheidung die Wallonie keinen Schritt voranbringen wird. Jean-Luc Crucke ist in jeder Hinsicht der Gegenpol zu seinem Vorsitzenden: Regionalist und ein eher grüner, linker Liberaler. Bouchez hingegen ist mit Leib und Seele Belgizist und am rechten Rand seiner Partei zu verorten. Crucke kann fließend Niederländisch und seine Stärke ist eine versöhnliche Sprache. Zwei Kompetenzen, mit denen sein Präsident nicht sonderlich glänzen kann, analysiert Gazet van Antwerpen.
Ein dreifacher Verlust
Es ist verlockend, den wallonischen Minister zum großartigen Rebellen gegen das grauenhafte System hochzustilisieren, das hier durch Georges-Louis Bouchez verkörpert wird, schreibt Le Soir. Aber das wäre falsch. Auch wenn der Stil des Parteipräsidenten ein völlig anderer ist, so ähneln sich Bouchez und Crucke doch: Beide verteidigen mit Inbrunst gegensätzliche liberale Überzeugungen, etwa zur Besteuerung, aber auch zur Atomkraft und zur Einwanderung. Das ist kein Verbrechen, für keinen von beiden. Und Cruckes Kampf gegen die "Partikratie" hatte auch seine Grenzen, insbesondere da Crucke seinen Parteipräsidenten noch braucht, um wie angekündigt an den Verfassungsgerichtshof zu wechseln. Dennoch ist der Rückzug Cruckes ein dreifacher Verlust: Die Wallonie verliert einen kompetenten und einigenden Haushaltsminister zu einem finanziell denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die MR verliert eine wichtige Stütze, einen Stimmenholer, ein Gewissen. Die belgische Politik schließlich verliert einen kompetenten, zugänglichen und zweisprachigen Mandatsträger. Auch wenn die elegante Geste Cruckes lobenswert ist, so steht doch zu befürchten, dass wenn alle zurücktreten, die widersprechen, nur noch die zurückbleiben, die nicht widersprechen, so Le Soir.
L'Echo bedauert nicht nur den Verlust Cruckes, sondern macht sich auch Sorgen angesichts der dadurch demonstrierten Unfähigkeit oder zumindest Schwierigkeiten der MR, die verschiedenen liberalen Strömungen miteinander zu vereinbaren. Immerhin sind die frankophonen Liberalen laut den jüngsten Umfragen die zweitstärkste Kraft im Süden des Landes, in Brüssel stehen sie auf dem dritten Platz. In einer immer polarisierteren Politiklandschaft täte die MR vermutlich gut daran, schnell ihre internen Konflikte zu regeln, um ihren potenziellen Wählern eine klare und fundierte Linie anbieten zu können, insbesondere denen im rechten Zentrum, empfiehlt L'Echo.
"Bindestrich" Crucke
Es ist noch nicht unmittelbar absehbar, welche Folgen der Abgang Cruckes für die wallonische Regierung haben wird, kommentiert Het Belang van Limburg. Crucke wurde als "Bindestrich" gesehen, als verbindendes Element zwischen den linken Regierungsparteien Ecolo und PS einerseits und den Mitte-Rechts-Liberalen der MR andererseits. Deren Vorsitzender Bouchez versucht schon seit geraumer Zeit, das Profil seiner Partei zu schärfen. Von seinem diesbezüglichen Stil war Crucke nicht sonderlich angetan. Auf der linken Seite des wallonischen Wahlspektrums geht es ziemlich eng zu, hier kämpfen Ecolo, PS und PTB gegeneinander. Im Zentrum lässt die CDH den Liberalen schon genug Spielraum. Rechts hingegen gibt es keine Konkurrenz, rechtsaußen ist sogar Niemandsland in der Wallonie, hebt Het Belang van Limburg hervor.
Dass Jean-Luc Crucke zurücktritt, sagt viel über die Positionierung der MR unter ihrem feurigen Vorsitzenden Georges-Louis Bouchez aus, kommentiert auch De Standaard. Bei den frankophonen Liberalen wird es künftig keinen Platz mehr geben für einen hellblauen Flügel, der in puncto Klima, Migration, Besteuerung oder Regionalismus etwas nach links lehnt. Crucke und Bouchez haben sich offenbar für ein pragmatisches, für die Partei möglichst wenig schädliches Szenario entschieden. Strategisch konzentriert sich Bouchez komplett auf die unbediente rechte Seite der wallonischen Wählerschaft. Die will weniger Steuern, weniger Einwanderung, weniger Kosten für den Klimawandel und, nicht zu vergessen: mehr Belgien, hält De Standaard fest.
Ein bedenkliches Muster
De Tijd befasst sich in ihrem Leitartikel mit der geplanten Zukunft Cruckes: Die Richter des Verfassungsgerichtshofs haben die Aufgabe, über die Grundrechte von Minderheiten zu wachen, deswegen ist die Legitimität der Institution ja auch so wichtig. Das erklärt auch, warum sechs der Richter aus der akademischen beziehungsweise Justizwelt kommen, während es sich bei den anderen sechs um Parlamentsmitglieder mit mindestens fünf Jahren Erfahrung handelt. Aber diese Legitimität ist verwundbar. Es geht hier nicht darum, die fachliche Eignung oder Verdienste Cruckes infrage zu stellen. Außerdem zeichnet sich das bedenkliche Muster schon seit einigen Jahren ab: Es ist der Eindruck entstanden, dass Parteivorsitzende ihr Vorschlagsrecht für Richterposten am Verfassungsgerichtshof nutzen, um interne Streitigkeiten und Personalprobleme zu lösen. Und das ist ein gefährlicher Eindruck angesichts der Rolle, die das Verfassungsgericht eigentlich spielen sollte, warnt De Tijd.
Boris Schmidt