"Grünes Licht für Theater und Kinos: Die Blamage für die Politik ist komplett", heißt es bei Het Belang van Limburg und auch in der frankophonen Presse gibt es solche Schlagzeilen: "Die Kultur gewinnt das Armdrücken mit der Politik", schreibt La Meuse und das GrenzEcho titelt: "Sieg für die Kultur, Abfuhr für die Politik".
Ein Weckruf für die Politik
Das Urteil des Staatsrats von gestern ist die Topschlagzeile. Das oberste Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Schließung der Kulturstätten unverhältnismäßig, nicht ausreichend begründet und damit nichtig ist. Für Gazet van Antwerpen war das der traurige Höhepunkt eines Monats voller politischer Fehler. Der Gesichtsverlust ist total, meint das Blatt. Das Urteil muss ein Weckruf für die Politik sein. Aber auch der Staatsrat bewegt sich auf dünnem Eis: Wo ziehen die hochrangigen Richter die Grenze der Einmischung? Müssen Politiker jetzt immer den Ratschlägen der Experten folgen?, fragt das Blatt. Jeder Sektor glaubt, dass er nicht Treiber der Pandemie ist, der Beweis dafür ist nicht immer leicht zu erbringen. Auch Het Laatste Nieuws fragt sich, wie unabhängig der Staatsrat seine Entscheidung wirklich getroffen hat. Die Richter standen schließlich unter dem Eindruck von Politikern, die ihre Entscheidung selbst überschwänglich als falsch kritisiert haben. Für die Zeitung wäre es beunruhigend, wenn das den Ausschlag für das Urteil gegeben hat. Das Urteil sendet aber auch das Signal, dass es sich lohnt zu klagen und Politiker ihre Entscheidungen sorgfältiger überdenken müssen. Auf der anderen Seite bricht Het Laatste Nieuws auch eine Lanze für den Konzertierungsausschuss: Der Rat der Experten vor der letzten Sitzung war für die Politiker nicht sehr hilfreich. Die Experten empfahlen, zunächst nichts zu unternehmen, aber alles zu schließen, sobald die Infektionen zunehmen. Was soll man als Politiker damit auch anfangen?
Entweder die Regeln ändern, zurücktreten oder schweigen!
Het Nieuwsblad prangert die politischen Verhaltensmuster an. Minister und Parteien brauchen immer eine Trophäe im Austausch für ein Zugeständnis in einem anderen Punkt, damit nur ja niemand sein Gesicht verliert. Das Staatsratsurteil sendet aber das Signal: Es geht nicht um die politischen Interessen, sondern ausschließlich um die Maßnahmen selbst.
Het Belang van Limburg fragt sich, wer die Entscheidungen des Konzertierungsausschusses eigentlich trifft. Sind es die Regierungen oder doch eher die Parteien? Nach jedem Konzertierungsausschuss wird die Kakophonie lauter – brauchen wir jetzt jede Woche eine Sitzung, um die Fehler der letzten zu korrigieren oder werden jetzt alle direkt zum Staatsrat gehen?, fragt das Blatt sarkastisch. Es wäre hilfreich, wenn die Politiker ihre eigenen Maßnahmen verteidigen oder besser begründen – so der Rat von Het Belang van Limburg.
Ähnlich sieht es La Libre Belgique: Politiker sollen entweder die Regeln ändern, zurücktreten oder schweigen. Es ist heuchlerisch, wenn Politiker Entscheidungen kritisieren, die sie selbst getroffen haben und dann nichts tun. Das kann das Misstrauen der Bevölkerung nur verstärken.
La Dernière Heure bewertet das genauso und setzt noch einen drauf: Die Zeitung sieht das Konzept des Konzertierungsausschusses am Ende. Das Urteil untergräbt dessen Legitimität. Der Medienrummel um seine Entscheidungen mit Sondersendungen im Fernsehen hat ausgedient. Der Ausschuss muss sich neu erfinden und verlorenes Vertrauen wiedergewinnen. Für La Dernière Heure geschieht dies durch mehr Transparenz und weniger politischen Tauschhandel. Beispielsweise durch ein Corona-Barometer, das im Vorhinein festlegt, welche Maßnahmen greifen, wenn bestimmte Corona-Zahlen erreicht werden.
Impfpflicht: Wie ein Bombenangriff auf einen Guerillakrieg
De Standaard blickt in seinem Kommentar zurück auf das zweigeteilte Corona-Jahr. Erst gab es die Hoffnung, durch Impfen das Reich der Freiheit zu erlangen. Dann die Ernüchterung. Wir fangen erst jetzt an zu begreifen, was es bedeutet, mit dem Coronavirus zu leben. Impfen ist richtig und wichtig, aber kein Allheilmittel. Gegen Omikron wirkt die Impfung schlechter und das zeigt, dass das Virus uns immer einen Schritt voraus ist. Das macht es schwer, Impfverweigerer als dumm und unkooperativ abzutun.
De Morgen beschäftigt sich derweil mit einer möglichen allgemeinen Impfpflicht. Theoretisch könnte sie eine Lösung sein, in der Praxis ist es aber fraglich, ob sich viele Verweigerer beugen werden. Es besteht die Gefahr, dass viele ihre Position verhärten und als "Märtyrer" noch mehr Zweifler und Unzufriedene in ihr Netz locken. Eine Impfpflicht ist wie ein Bombenangriff in einem Guerillakrieg. Sie sieht spektakulär aus und erweckt den Anschein von Entschlossenheit. Aber ihre Wirksamkeit ist zweifelhaft und das Risiko von Kollateralschäden groß, so De Morgen.
Ganz anders sieht es Le Soir und schreibt: Ein Blick nach Frankreich oder Österreich zeigt, dass die Zeit der Überzeugungsarbeit abgelaufen ist. Sie muss radikaleren Pro-Impf-Methoden weichen, die vielleicht den Körper heilen, aber auch Narben auf der Seele hinterlassen.
Olivier Krickel