"Alle nicht-dringenden Eingriffe sind für zwei Wochen ausgesetzt", titeln Het Nieuwsblad und Het Belang van Limburg. "Die Krankenhäuser müssen ab sofort alle nicht-dringenden Eingriffe verschieben", schreibt auch De Standaard auf Seite eins.
Die Corona-Lage spitzt sich weiter zu. Im Moment liegen rund 3.700 Covid-Patienten im Krankenhaus; rund 780 davon auf intensiv. Das sorgt für enormen Druck. Deswegen hat jetzt das zuständige Koordinationsgremium beschlossen, alle nicht dringenden Eingriffe ab sofort für zwei Wochen auszusetzen. Nur noch Notfälle können behandelt werden.
Und ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Die Zahl der Neuinfektionen liegt immer noch bei knapp 18.000 pro Tag. Immerhin: "Die Fallzahlen steigen nicht mehr ganz so schnell", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins.
"Grundschulen sind der Motor der vierten Welle"
In Flandern fokussiert sich die Diskussion nach wie vor auf das Unterrichtswesen. "Der Motor dieser vierten Welle, das sind die Grundschulen", analysiert Het Nieuwsblad. Nach Schätzungen waren in der vergangenen Woche rund zehn Prozent der Kinder zwischen fünf und elf Jahren infiziert. Die tragen das Virus dann nach Hause und stecken ihre Eltern an; und die wiederum gehören ausgerechnet zu der Altersgruppe mit der niedrigsten Impfquote.
Aber ausgerechnet im Unterrichtswesen beobachtet man eine veritable babylonische Sprachverwirrung. In puncto Quarantäne-Regeln blickt niemand mehr durch. Das hat damit zu tun, dass der flämische Unterrichtsminister Ben Weyts partout nicht von seinem Kurs abrücken will. Er will die Schulen - koste es, was es wolle - offenhalten. Und er klammert sich fest an seiner Forderung nach einer Priorisierung des Lehrpersonals im Hinblick auf die Booster-Impfung. Das würde das Problem aber nur bedingt bzw. gar nicht lösen. Fernunterricht, das ist der einzige Weg. Und, mal ehrlich: Bei all den coronabedingten Abwesenheiten würde man den Unterschied kaum noch bemerken.
"Diese Debatte verdient in jedem Fall Fakten", mahnt Het Laatste Nieuws. Im Moment wird die Diskussion über die Lage im Unterrichtswesen nur noch emotional und entlang von Parteilinien geführt. Und das gilt sowohl für den N-VA-Unterrichtsminister Ben Weyts als auch für seine Gegner. Jeder will nur noch parteipolitisch punkten. Nirgendwo sonst ist die Debatte über die Corona-Lage in den Schulen so politisiert. Das ist aber auch und vor allem die Schuld des Ministers, der zwar die Schulen offenhalten will, aber die Mittel dafür verweigert, wie zum Beispiel Kohlendioxidmelder. All das auf dem Rücken der Kinder!
"Die Rechtsgrundlage des Covid-Safe-Tickets bröckelt", so derweil die Aufmachergeschichte von Le Soir. Ein Erstinstanzgericht in Namür hat den Einsatz des Covid-Safe-Tickets für unrechtmäßig erklärt. Das gilt aber erstmal nur für die Wallonie; und auch dort bleibt das CST bis auf Weiteres im Einsatz. In Brüssel und vor dem Verfassungsgerichtshof seien aber ähnliche Klagen anhängig, schreibt Le Soir...
Zemmour, De Gaulle und Louis XIV
Viele Zeitungen blicken heute aber auch nach Frankreich. Dort hat der rechtsextreme Publizist Éric Zemmour gestern offiziell seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen angekündigt. "Der Kandidat eines rückwärtsgewandten Frankreichs", schreibt Le Soir. De Morgen nennt Zemmour den "französischen Donald Trump". In den letzten Tagen war der aber in den Umfragen ziemlich abgestürzt: "Kann Zemmour noch den Präsidentschaftswahlkampf beeinflussen?", fragt sich La Libre Belgique. L'Echo fasst die Frage allgemeiner: "Ist Zemmour ein Strohfeuer, oder steht er für einen politischen Umbruch?".
Le Soir fällt ein vernichtendes Urteil über die gestrige Rede von Éric Zemmour, die er auf Youtube verbreitete. "Alles in der Ankündigung war grotesk", meint das Blatt. Zemmour inszenierte sich wie ein Charles De Gaulle. Das Frankreich, das er an den Wahlurnen erobern will, das ist nicht das moderne Frankreich. Es ist das Frankreich der Kirchtürme, das Frankreich der Ritter, das Frankreich von Louis XIV. Es ist ein Frankreich in schwarz-weiß, ein Bild, das im Übrigen nur so durchtränkt ist von Hass und Rassismus. Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass Éric Zemmour am Ende das Rennen machen wird. Das Übel ist aber schon angerichtet. Zemmour macht rechtsextremes Gedankengut salonfähig. Im Vergleich zu ihm wirkt der Rassemblement National von Marine Le Pen fast schon gemäßigt. Die Gefahr ist groß, dass im Wahlkampf nicht mehr über die großen gesellschaftlichen Herausforderungen debattiert wird, sondern nur noch über Identität, Einwanderung und Sicherheit.
"Éric Zemmour ist der Kandidat der Angst", glaubt L'Avenir. Der Mann, der schon zweimal wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, berief sich auf Jeanne D'Arc, die Gallier oder Bonaparte, auf die große Vergangenheit der Grande Nation. Eine Ode an die Gloria des archaischen Frankreichs. Man glaubte Karl Martell zu hören, der "Frankreich nicht mehr reformieren, sondern retten muss". Es geht einzig um Identität; keine Spur von einem politischen Programm. In einem Augenblick, in dem Frankreich einen Präsidenten braucht, der die Bürger vereint, sehen wir hier einen Kandidaten, der einzig auf Diskriminierung und Angst setzt. Und das schürt noch eine weitere Angst, nämlich, dass ein Kandidat mit einer derart ranzigen Rhetorik am Ende auch noch viele Franzosen überzeugen könnte.
Éric Zemmour, der französische Donald Trump?
De Morgen zieht einen Vergleich mit Donald Trump. Man sollte Éric Zemmour jedenfalls nicht unterschätzen. Auch Trump wurde anfangs belächelt; niemand hätte seinen Wahlsieg für möglich gehalten. Und doch hat er buchstäblich aus dem Nichts die amerikanische Politik auf den Kopf gestellt. Es gibt aber auch tiefergehende Parallelen. Beide, Trump und auch Zemmour, sprechen gekonnt die teilweise tief verwurzelten Ängste der Menschen an, Angst vor Statusverlust und kulturellen Veränderungen. Das Ganze vermengt mit Rassismus und nostalgischem Nationalismus. Wie Trump könnte denn auch Zemmour mehr als nur eine kurzlebige Modeerscheinung sein. Man will sich gar nicht vorstellen, dass ein solcher Mann irgendwann die Schlüssel zum Elysee-Palast überreicht bekommen könnte. Dann würde das Ende der EU plötzlich denkbar.
De Tijd sieht das ähnlich. Wenn man Zemmour liest und hört, dann glaubt man ein Echo des Trumpschen "Make America great again" zu vernehmen. Auch Zemmour ist offen reaktionär, sehnt sich nach einem Frankreich, das es vielleicht so nie gegeben hat. Éric Zemmour ist ein Produkt seiner Zeit. Seine Chancen mögen im Moment noch nicht besonders groß sein; eine Überraschung sollte man aber besser nie ausschließen; eben Donald Trump ist dafür der Beweis. Leute wie Éric Zemmour zeigen einmal mehr, wie fragil die Demokratie geworden ist. Das ist nicht allein die Schuld der angeblich wankelmütigen Wähler, sondern auch der Politiker, die sie allzu oft enttäuscht haben. Zemmour setzt auf diese Enttäuschung, um Präsident zu werden.
Roger Pint