"Corona-Maßnahmen: Massiver Druck auf der Föderalregierung", titelt das GrenzEcho. "Maximaler Druck für neue gesundheitliche Schutzmaßnahmen", so auch der große Aufmacher bei Le Soir. "Die Gesellschaft ächzt unter dem Virus – abwarten oder eingreifen?", fragt Het Belang van Limburg.
Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Die vierte Welle trifft uns viel härter als erwartet, konstatiert De Standaard. Das Vertrauen in den Sieg über das Virus ist so groß gewesen, dass alle Warnungen in den Wind geschlagen worden sind. Überall um uns herum werden die Maßnahmen verschärft, um die Epidemie zu bremsen. In dieser verzweifelten Zeit ist ein unkoordiniertes Vorgehen die schlechteste aller Herangehensweisen. Außerdem sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, dass irgendwer einen fehlerlosen Weg aus der Krise hätte. Der einzig sinnvolle Weg ist, die Lehren aus den erworbenen Kenntnissen zu ziehen. Das setzt voraus, dass man bereit ist, schnell einzugreifen, selbst wenn dafür schmerzhafte Kehrtwenden notwendig sind. Ein Festhalten an gescheiterten Strategien ist das Letzte, was wir brauchen, wettert De Standaard.
Schnell handeln
Immer mehr Bereiche unseres Lebens scheinen sich freiwillig in einen selbstauferlegten Lockdown zu begeben, stellt Le Soir fest. Das ist eine Folge davon, dass föderale und regionale politisch Verantwortliche bei der Bekämpfung des Virus nicht höher schalten. Wir haben bereits angesichts der als zu schwach beurteilten Beschlüsse des letzten Konzertierungsausschusses gesagt, dass das ein riesiges Vabanquespiel ist. Eine Woche später ist das noch immer so. Die Regierungen riskieren, alle gegen sich aufzubringen: die, die keine Maßnahmen wollen, die am Ende doch genommen werden müssen, und die, die sich wünschen, dass diese Maßnahmen schneller genommen worden wären, warnt Le Soir.
Von Regierungen sollte man erwarten, dass sie in so einem Augenblick deutliche Maßnahmen ergreifen, schreibt Gazet van Antwerpen. Es ist die Aufgabe derjenigen, die dieses Land regieren, schnell zu handeln, am besten noch in dieser Woche. Schön werden die kommenden Wochen so oder so nicht, das ist klar. Deswegen müssen die politisch Verantwortlichen jetzt mit deutlichen Richtlinien und Vereinbarungen kommen – für alle. Egal, wie schmerzhaft sie auch sein mögen, fordert Gazet van Antwerpen.
Worte, Worte, Worte
Besonders ärgerlich ist, dass die jetzige Situation unter anderem im Unterrichtswesen vollkommen vorhersehbar war, giftet De Morgen. Hier ist zu wenig aus den vorhergehenden Wellen gelernt worden. Das gilt auch für die allgemeinere Corona-Politik: Was ist unternommen worden, um einen verdammten Lockdown zu verhindern? Zu wenig, wie wir jetzt sagen können. Die Booster-Kampagne? Kam zu spät. Selbsttests? Sind zu teuer. Und jetzt ist die Zeit für einfache, aber effektive Schutzmaßnahmen fast verstrichen, so das vernichtende Urteil von De Morgen.
Das Virus hat nicht nur unser Land überrascht, räumt Het Laatste Nieuws ein. Typisch belgisch allerdings ist die ewige Debattenkultur. Worte, Worte, Worte und Beschlusslosigkeit. Anstatt dass alles dafür getan worden wäre, um das Leben so sicher wie möglich weitergehen zu lassen, wettert Het Laatste Nieuws.
Hoffnung auf echte Erneuerung
Das zweite große Thema auf den Titelseiten heute ist das Flüchtlingsdrama, das sich im Ärmelkanal ereignet hat. "Sicher 31 Flüchtlinge finden den Tod im eiskalten Wasser des Kanals", zieht unter anderem Het Laatste Nieuws die grimmige Bilanz des Unglücks. Die Leitartikel greifen das jedoch noch nicht auf, sondern blicken stattdessen nach Deutschland, wo SPD, Grüne und FDP ihren Ampel-Koalitionsvertrag vorgestellt haben.
Het Belang van Limburg blickt in diesem Zusammenhang zunächst zurück auf die großen Verdienste, aber auch auf die Vorwürfe, die sich die langjährige scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel gefallen lassen muss – auch und gerade hinsichtlich Europas. Die neue deutsche Koalition ist zu Recht auf dieser Ebene viel ehrgeiziger. Die EU muss föderal weiterentwickelt werden, strategisch souveräner werden und den Rechtsstaat viel energischer verteidigen. Mit den anstehenden Wahlen in Frankreich wird es für den künftigen Bundeskanzler Olaf Scholz umso entscheidender, die Achse Paris-Berlin so schnell wie möglich zu reparieren – und den europäischen Motor wieder anzukurbeln. Das wird auch Belgien zum Vorteil gereichen, unterstreicht Het Belang van Limburg.
Es riecht nach Aufbruch im Berliner Regierungsviertel, meint das GrenzEcho. Die drei Partner sind über ihre jeweiligen Schatten gesprungen und haben einen Entwurf für ein Deutschland des 21. Jahrhunderts vorgelegt, der auch Europa nach vorne bringen dürfte. Noch ist nichts von dem umgesetzt, was das neue Bündnis für eine Neudefinition der Sozialen Marktwirtschaft, die Deutschland zu einer führenden Industrienation hat aufsteigen lassen, an konkreten Plänen auf knapp 200 Seiten niedergeschrieben hat. Doch der Geist macht Hoffnung auf echte Erneuerung. Die Ampel muss jetzt beweisen, dass sie wirklich bereit ist, die neu definierten Wege erfolgreich zu gehen. Gelingt das, hat auch die EU eine Chance, aus der Lethargie zu erwachen, in die sie zuletzt verfallen war, so das GrenzEcho.
Boris Schmidt