"Die Debatte über den Atomausstieg ist beendet", das sagt der PS-Vorsitzende Paul Magnette auf Seite eins von L'Echo. "Wir werden alle sieben Reaktoren wie geplant 2025 abschalten", präzisiert Magnette. Und er bekommt Schützenhilfe vom Koalitionspartner Ecolo: "Für den Atomausstieg stehen alle Signale auf grün", zitiert Le Soir den Ecolo-Co-Vorsitzenden Jean-Marc Nollet.
Da scheinen sich schonmal zwei Koalitionspartner einig zu sein. Die frankophonen Liberalen MR haben ihrerseits in den letzten Wochen gegen den Atomausstieg getrommelt. MR-Chef Georges-Louis Bouchez hat denn auch noch am Abend reagiert, als das Zitat von Paul Magnette schon durch die Medien geisterte: "Die PS entscheidet nicht, wann eine Debatte beendet ist", erklärte Bouchez auf Twitter. Der Koalitionsstreit ist also offensichtlich alles andere als beigelegt.
Wenig glaubwürdige N-VA-Politiker
Dazu passt der Leitartikel von Het Belang van Limburg. Das Blatt kommt nochmal zurück auf den Streit über die Gaskraftwerke. Die sollen ja nach dem Atomausstieg den nötigen Strom liefern. Die flämische Umweltministerin Zuhal Demir hatte aber entsprechende Bauprojekte eins nach dem anderen blockiert. Zuhal Demir hat mit ihrem Alleingang das Vertrauen innerhalb der flämischen Regierung zerstört, meint das Blatt sinngemäß. Die Koalitionspartner CD&V und OpenVLD glauben der N-VA-Politikerin nicht mehr. Der N-VA-Ministerpräsident Jan Jambon wird jetzt die Wogen glätten müssen. Doch scheint auch er in dieser Akte nicht mehr so ganz glaubwürdig zu sein: Entgegen seiner Beteuerungen soll er sehr wohl über die Entscheidung der Umweltministerin im Bilde gewesen sein. Davon abgesehen darf man sich fragen, ob die Alternative zu den Gaskraftwerken wirklich so viel populärer wäre. Die mögliche Verlängerung von Atomreaktoren würde mit Sicherheit für Proteste sorgen. Geschweige denn der mögliche Bau neuer Kernkraftwerke: Wer will schon eine Atomanlage im Garten? Und welcher Minister würde denn ein solches Projekt genehmigen?
"Regieren heißt Antizipieren"
Viele Zeitungen beschäftigen sich auch heute wieder mit der Corona-Krise. Die Zahlen steigen ja weiterhin bedrohlich an. Der föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke ist offensichtlich davon überzeugt, dass die bestehenden Maßnahmen erstmal reichen können. Allerdings plädiert er für eine Ausweitung der Maskenpflicht: "Masken immer und überall, und das ab neun Jahren", schreiben sinngemäß Het Laatste Nieuws, Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen. Erste Länder ergreifen aber schon einschneidendere Maßnahmen: "Die Niederlande sehen sich gezwungen, wieder einen Teil-Lockdown zu verhängen", bemerkt etwa La Libre Belgique. Aber "Belgien folgt den Niederlanden erstmal nicht", schreibt De Standaard auf Seite eins.
"Regieren heißt Antizipieren", mahnt aber La Dernière Heure. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Und angesichts der bedrohlichen Entwicklung ziehen einige Länder schon wieder die Schrauben an. Belgien hingegen scheint mal wieder abzuwarten, scheint naiv optimistisch davon auszugehen, dass sich das Problem schon über Nacht wie durch Zauberei in Wohlgefallen auflösen wird. Dabei schlagen auch hierzulande schon die Experten Alarm. Die Politik will wohl Protesten aus dem Weg gehen oder negative Auswirkungen für die Wirtschaft vermeiden. Währenddessen steigen aber die Zahlen unaufhörlich weiter und geraten die Krankenhäuser immer weiter unter Druck. Die Politik sollte nicht warten, bis es (mal wieder) zu spät ist.
"Warten, warten und nochmals warten", beklagt auch Het Laatste Nieuws. Wir warten darauf, dass die Politik endlich auf die bedrohlich steigenden Corona-Zahlen reagiert. Diese Reaktion darf aber nicht die gleiche sein wie bei den vorangegangenen Krankheitswellen. Ein Teil-Lockdown, wie er jetzt in den Niederlanden verhängt wurde, das darf wirklich nur das letzte Mittel sein. Aber es ist nicht so, als gäbe es nicht andere Rezepte. Zum Beispiel eine Impfpflicht für medizinisches Personal. Oder die Impfung der Fünf- bis Elfjährigen. Beides lässt aber auf sich warten. Und wir warten auch immer noch auf ein Kontakt-Tracing, das diesen Namen wirklich verdient. Und warum geht das mit der dritten Impfung nicht schneller? Je länger es dauert, bis entschlossene Maßnahmen ergriffen werden, desto größer ist die Gefahr, dass auch hierzulande wieder ein Teil-Lockdown verhängt werden muss. Und darauf wartet wirklich niemand.
Panikfußball vermeiden
"Die Corona-Müdigkeit nimmt zu", kann aber Gazet van Antwerpen nur feststellen. Die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung für neue Einschränkungen schwindet zusehends. "Warum haben wir uns überhaupt impfen lassen, wenn wir jetzt doch wieder in derselben Patsche sitzen wie vor einem Jahr?" Solche Zweifel sind nachvollziehbar. Und doch bleibt es dabei, dass die Impfung derzeit der mit Abstand beste Schutz vor dem Virus ist. In Kombination allerdings mit den inzwischen bekannten Grundregeln. Sollte die Regierung die Maßnahmen dennoch verschärfen müssen, dann wird Psychologie gefragt sein. Man wird alle Register ziehen müssen, um die Bürger von der Notwendigkeit zu überzeugen. Als ob das Virus an sich nicht reichen würde.
Man könnte ja jetzt schonmal damit beginnen, die Menschen auf mögliche neue Einschränkungen vorzubereiten, empfiehlt De Morgen. Im Moment herrscht der Frust vor. Und dieser Frust ist nachvollziehbar. Mehrmals schon hat man uns das "Reich der Freiheit" versprochen. Und immer hat uns das Virus einen Strich durch die Rechnung gemacht. "Nie mehr ein Lockdown", für dieses Versprechen haben wir uns an die Weltspitze geimpft. Und doch weisen die Kurven schon wieder in die falsche Richtung. Der größte Fehler war wohl, dass die Politik nicht ausreichend Raum für Unwägbarkeiten und unerwartete Entwicklungen gelassen hat. Immer wieder wurden neue Ziellinien in Aussicht gestellt, und immer, wenn die wieder verschoben werden mussten, steigerte das nur das Misstrauen. Deswegen der Appell: Schenkt den Bürgern reinen Wein ein! Nur so kann man Panikfußball vermeiden.
Roger Pint