"Ist die 'vierte Welle' in Belgien angekommen?", fragt das GrenzEcho auf Seite eins. "Corona-Zahlen werden nicht so schnell sinken - 'Mitte November bis zu 15.000 Ansteckungen pro Tag'", so die alarmierende Schlagzeile bei Het Laatste Nieuws. "Experten sprechen sich für eine Rückkehr zu strengeren Maßnahmen aus", liest man bei Le Soir.
Das Reich der Freiheit ist also weiter weg als wir dachten, kommentiert De Standaard. Das Virus überrascht einmal mehr mit seiner Unberechenbarkeit. Selbst unverhofft hohe Impfzahlen scheinen nicht auszureichen. Wieder einmal scheint es, dass wir beim Lockern schnell sind, beim strenger werden aber langsam. Das ist frustrierend, aber nachvollziehbar.
Das Ganze führt zu einer Situation, wie wir sie aus dem Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" kennen. Darin erlebt der Protagonist jeden Tag genau das Gleiche. Seit anderthalb Jahren geht das auch der belgischen Bevölkerung so: Das Virus schlägt zu, die Politiker profilieren sich beim Beschließen von Maßnahmen, nach langen Diskussionen kommt es zu einem Kompromiss, die Ausbreitung des Virus' wird eingedämmt, Diskussionen über Lockerungen bis die Zahlen wieder steigen. Wiederholung. Mal vier, stöhnt De Standaard.
Die Herausforderung hat sich verändert
Wir stehen am Anfang einer neuen Corona-Wintersaison, hält De Tijd fest. Das ist vielleicht etwas, das wir auch in den kommenden Jahren weiter mitmachen werden. Die Strategie für die Zukunft muss darum lauten: "What can't be cured, must be endured" – Was nicht geheilt werden kann, muss ausgehalten werden. Glücklicherweise sind wir im Vergleich zum letzten Winter besser gerüstet. Die Herausforderung hat sich verändert, der Kampf gegen das Virus ist zu einem Durchhalte-Kampf geworden. Die einzige Lösung ist, den Impfgrad weiter zu erhöhen. Dafür müssen wir zusätzliche Zeit erkaufen mit Maßnahmen, die keine großen Opfer verlangen – so wie lieber vorsichtig zu sein als zu locker in puncto Mundschutzmasken und Covid-Safe-Ticket, unterstreicht De Tijd.
Dieses Mal hatte jeder die Gelegenheit, sich zu wappnen – durch die Impfung, betont La Libre Belgique. Die Immunisierung reduziert die Risiken eines schweren Krankheitsverlaufs und einer Überlastung der Krankenhäuser. Die Impfstoffe sind zwar kein Wundermittel, aber sie sind das Beste, was wir haben. Zum jetzigen Zeitpunkt existiert keine andere Behandlung, kein Nahrungsmittel, kein Vitamin, das so viel für uns tun könnte. Kein einziges, unterstreicht La Libre Belgique.
De Morgen fordert von den Geimpften Solidarität. Allerdings weniger den Ungeimpften gegenüber, sondern den Menschen gegenüber, die trotz Impfung keinen ausreichenden Schutz aufbauen können: Krebspatienten zum Beispiel, Menschen, die sich einer Transplantation unterziehen müssen, Menschen mit Autoimmunerkrankungen. Das große Problem ist, dass je mehr Ansteckungen es in der Gesellschaft gibt, je weiter sich das Virus ausbreitet, desto größer ist die Gefahr, dass der Erreger auch bei diesen Patienten landet. Bis es bessere Mittel zu ihrem Schutz gibt, ist es doch wirklich nicht zu viel verlangt, im Supermarkt eine Mundschutzmaske zu tragen, wenn dadurch solchen Menschen Leid erspart werden kann, appelliert De Morgen.
Kaltblütigkeit und Verhältnismäßigkeit
La Dernière Heure fordert von allen, vor allem nicht in Panik zu verfallen. Der Weg zurück zu unseren Freiheiten führt zweifelsohne über akzeptable und punktuelle Anpassungen wie zum Beispiel dem Corona-Pass. Es ist vielleicht auch an der Zeit, erneut an die Wichtigkeit der Barrieregesten zu erinnern. Zu den Grundregeln zurückzukehren, die uns so gut geholfen haben, bevor wir die Impfungen hatten, stellt nicht mehr dar als kleinere Unannehmlichkeiten im Angesicht eines Virus', das nicht wie von Zauberhand verschwinden wird, findet La Dernière Heure.
Für Het Nieuwsblad stehen Politiker und Experten vor einer besonders delikaten Abwägung. Wenn es in dieser Krise jemals Kaltblütigkeit gebraucht hat, dann jetzt. Wir können nur hoffen, dass wir mittlerweile gelernt haben, dass wir nicht erst eingreifen dürfen, wenn es schon viel zu spät ist. Mindestens genauso wichtig ist aber die Verhältnismäßigkeit eventueller Maßnahmen. Die Auswirkungen einschneidender Maßregeln sind mittlerweile nämlich ein ganzes Stück größer als vor einem Jahr – einfach, weil die mentalen Reserven und die Widerstandskraft vieler Menschen nach und nach zur Neige gehen. Das richtige Maß ist wichtiger denn je.
Genau deswegen müssen jetzt zunächst die Maßnahmen auf den Tisch kommen, die relativ wenig Anstrengung verlangen. Mundschutzmasken oder eine Ausweitung des Covid-Safe-Tickets sind nicht angenehm, aber sie stören relativ wenig, sie sind das kleinste Übel. Gleichzeitig sind die gesellschaftlichen Spannungen aufgrund von Corona sehr hoch. Auch das sollte die Politik im Hinterkopf behalten. Oder müssen wir explizit darauf hinweisen, dass es jetzt kaum Raum für politische Spielchen gibt?, warnt Het Nieuwsblad.
Unterschiedliche Maßnahmen machen keinen Sinn
L'Avenir greift eine Aussage des föderalen Gesundheitsministers Frank Vandenbroucke auf. Der hatte in der Plenarsitzung der Kammer gesagt, dass das Ende der föderalen Phase des Corona-Krisenmanagements "nicht unmittelbar auf der Tagesordnung" stehe. In Flandern sind Mundschutzmasken vielerorts nicht mehr vorgeschrieben, hält die Zeitung fest. Auch von einer breiteren Anwendung des Covid-Safe-Tickets ist zumindest aktuell keine Rede. Es ist also nicht wirklich überraschend, dass die Ansteckungen gerade im Norden des Landes explodieren – stärker jedenfalls als in Brüssel oder der Wallonie.
Es ist natürlich richtig, dass prozentual betrachtet mehr Menschen in Flandern geimpft sind als in den anderen Regionen. In absoluten Zahlen sind es aber auch hier hunderttausende Menschen, die noch keine einzige Impfung erhalten haben. Das kann man mit der Wallonie vergleichen. Unterschiedliche sanitäre Schutzmaßnahmen machen in einem so kleinen Land wie Belgien keinen Sinn. Zahlreiche Personen bewegen sich jeden Tag zwischen den Regionen, sei es für die Arbeit, sei es für Freizeit-Aktivitäten oder für einen Wochenendausflug an die Küste beziehungsweise in die Ardennen, so L'Avenir.
Boris Schmidt