"USA will Vergeltung für Kabul-Anschlag", titelt das GrenzEcho auf Seite eins. "Der Islamische Staat Khorasan, das neue Ziel der Vereinigten Staaten in Afghanistan", benennt La Libre Belgique die Verantwortlichen für den blutigen Anschlag. "Armee musste mindestens 55 Menschen zurücklassen", zieht Het Nieuwsblad Bilanz nach dem Ende der belgischen Rettungsflüge.
Für das GrenzEcho hat die westliche Welt kollektiv versagt bei der verkorksten Evakuierung eigener Landsleute und deren Helfer sowie Familienangehöriger aus Afghanistan. Immerhin - so viel wissen wir mittlerweile - wurden Dutzende Belgier in Kabul zurück- und den Taliban überlassen. Deren Worte und Taten weit auseinanderklaffen. Anders als in Deutschland findet in Belgien nahezu keine Debatte über die politische Verantwortung für das Debakel statt, das Belgien mitzuverantworten hat. Und das Menschen mit ihrem Leben bezahlen werden. Oder bereits bezahlt haben, so das GrenzEcho.
Zurück auf Start
Die meisten Leitartikel setzen hinsichtlich Afghanistans aber andere Schwerpunkte: "Der Tod von 13 amerikanischen Soldaten ist quasi die Krönung des Debakels um den Rückzug aus Afghanistan", schreibt Gazet van Antwerpen. Trotz der Evakuierung von zehntausenden von Menschen aus Kabul wird niemand in den Vereinigten Staaten die Operation jetzt noch einen Erfolg nennen können. Die Vereinigten Staaten stehen eigentlich wieder da, wo sie nach den Anschlägen vom 11. September standen. Nur mit einem angeschlagenen Präsidenten und frustrierten Bündnispartnern. "Und hoffentlich mit der Erfahrung, Abenteuer wie die in Afghanistan in Zukunft besser zu vermeiden", kommentiert Gazet van Antwerpen.
"Dieser verlorene Krieg endet, wie er begonnen hat: mit dem Tod von Amerikanern bei einem Anschlag, der auf afghanischem Boden geplant worden ist", fasst Le Soir zusammen. Und das Fiasko für Biden scheint wirklich komplett zu sein: Die ach so mächtige größte Armee der Welt muss sich auf Turban tragende Feinde verlassen, um ihren schmählichen Rückzug zu sichern. Aber Biden trägt sicher nicht die alleinige Verantwortung. Die USA haben seit 2001 zahlreiche Fehler begangen, unterstreicht Le Soir.
Kein Befreiungsschlag
"In Afghanistan wird dieser Tage Geschichte geschrieben - wirklich neue Entwicklungen gibt es dabei aber nicht", meint De Standaard. Ein Krieg, der aus Wut und um Rache zu üben begonnen wurde, führt beim Abzug zu einer neuen Rache-Mission. Und trotz aller Niederlagen und Toten ändert sich die amerikanische Haltung nicht: Sie führen Krieg gegen den Terror und sie führen diesen Krieg als Unschuldige. Ohne diesen Krieg würde es nur noch schlimmer werden. "Das afghanische Fiasko ist kein Befreiungsschlag, denn die US-Truppen gehen nicht wirklich nach Hause. Sie ziehen nur um auf andere Stützpunkte weiter weg in der Region - und werden den Krieg aus der Ferne weiterführen", ist De Standaard überzeugt.
Het Laatste Nieuws kommt derweil zu dem Schluss, dass vielleicht Miteinandersprechen und Verhandeln der einzige Weg ist, um in Afghanistan noch irgendetwas zu retten. Natürlich ist es keine schöne Aussicht, sich mit einem Regime wie den Taliban an einen Tisch setzen zu müssen. Aber vielleicht zwingt der gemeinsame Feind IS-K die bisherigen Gegner USA und Taliban genau dazu. Abgesehen davon wurde es zwar nie an die große Glocke gehängt, aber die USA sprechen schon seit zehn Jahren mit den Taliban. Und auch die Taliban haben ein Interesse, auf Kooperation zu setzen. Denn Terrorist zu spielen und Krieg zu führen, ist nicht das Gleiche, wie jetzt ein Land regieren zu wollen. "Zum Wohl der afghanischen Bevölkerung kann man nur hoffen, dass diese Motivation reichen wird, um zumindest die schlimmsten Exzesse eines grausamen Regimes zu verhindern", so Het Laatste Nieuws.
Heiße, aber sinnlose politische Diskussion
Innerbelgisch ist es der Atomausstieg, der einmal mehr für heftige Diskussionen und Kommentare sorgt. Konkreter Anlass ist, dass die Europäische Kommission am Freitag offiziell grünes Licht gegeben hat für die sogenannte "Kapazitätsvergütung". Also den Subsidien-Mechanismus, mit dem Belgien den Energiewandel vorantreiben will.
"Das wird mit Sicherheit eines der heißesten Dossiers zu Wiederbeginn des politischen Jahres", prophezeit L'Avenir. Durch die Kapazitätsvergütung soll Betreibern garantiert werden, dass sie tatsächlich Gewinn machen werden, wenn sie das Risiko eingehen, in neue Energiekapazitäten zu investieren. Dabei geht es zumindest zunächst vor allem um Gaszentralen. Und die sind aus ökologischer Sicht alles andere als unumstritten, denn schließlich stoßen sie - und zwar in großen Mengen - CO2 aus. Aber ganz abgesehen von diesen Problemen stellen sich noch weitere Fragen: etwa ob nach dem geplanten Umstieg auf erneuerbare Energien wirklich genug Strom zur Verfügung stehen wird. Gerade was zukünftige wirtschaftliche und technologische Herausforderungen angeht. "Und welche Auswirkungen auf die Stromtarife werden die gerade explodierenden Gaspreise haben?", fragt L'Avenir.
"Die föderale Energieministerin Tinne Van der Straeten von Groen hat am Freitag zwar gejubelt, aber das war nur ein erster Schritt", hält Het Nieuwsblad fest. Die definitive und schwierigste Hürde kommt erst im Oktober-November. Dann muss nämlich die komplette Regierung ihre Zustimmung geben. Bis dahin können wir uns auf eine ganze Reihe überhitzter, aber komplett sinnfreier Diskussionen über den Atomausstieg gefasst machen. Zunächst zwischen den frankophonen Liberalen von der MR, den größten Lobbyisten für den Nuklearsektor innerhalb der Regierungskoalition, und den Grünen. Dann gibt es da noch die N-VA, die aus der föderalen Opposition und der flämischen Regierung heraus immer wiederholen wird, wie unsinnig es doch ist, CO2-neutrale Atomkraftwerke durch Treibhausgas produzierende Gaszentralen zu ersetzen. Politisch betrachtet ist es logisch, dass intensiv hierüber diskutiert wird. Aber es ist, wie erwähnt, vollkommen sinnlos. Denn Engie Electrabel, der Betreiber der Atomkraftwerke, hat schon letztes Jahr angekündigt, alle Reaktoren 2025 definitiv abzuschalten. Eine Verlängerung ist, zumindest was Engie Electrabel angeht, praktisch nicht mehr drin. Auch wenn keine politische Partei das hören will, stichelt Het Nieuwsblad.
Boris Schmidt