"Afghanistan: Belgien repatriiert auf Hochtouren", titelt Le Soir. "Die Uhr tickt: Noch sieben Tage, um zu evakuieren", schreibt Het Belang van Limburg. "Evakuierung aus Kabul unter Hochdruck – Belgien erhöht seine militärische Präsenz vor Ort", ergänzt das GrenzEcho.
Auch wenn die Evakuierungskampagne seit dem Wochenende in Gang gekommen ist, bleibt sie eine heikle Operation, erinnert De Standaard. Die Situation vor Ort kann jederzeit entgleisen. Rein von der Logik her müsste die Mission also so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Aber das Gegenteil scheint sich abzuzeichnen: Sowohl der Außenbeauftragte der Europäischen Union als auch die Briten und Franzosen drängen die Vereinigten Staaten, den Stichtag für den endgültigen Abzug, den 31. August, zu verschieben. Andernfalls sei es unmöglich, all die vielen Tausend Landsleute und Ortskräfte rechtzeitig auszufliegen. Die Taliban haben bereits unmissverständlich klargemacht, dass sie keinerlei Verlängerung dulden wollen. Andererseits bleibt abzuwarten, wie ernst sie das meinen. Weder die Taliban noch die Terrorgruppe Al-Kaida können wirklich ein Interesse an einer Eskalation haben. Dennoch bleibt die Sicherheitslage am Flughafen natürlich ein Albtraum. Anschläge durch die Terrorgruppe IS sind nicht ausgeschlossen, resümiert De Standaard.
Es ist an der Zeit, die Initiative zu ergreifen und nicht mehr die Taliban die Spielregeln diktieren zu lassen, fordert De Morgen. Belgien kann sich hier ein Beispiel an Deutschland nehmen. Die Bundesrepublik hat ihre Spezialeinheit KSK eingesetzt, um Menschen außerhalb des Flughafens von Kabul zu retten. Die Frage ist jetzt, ob unsere Regierung auch bereit ist, Spezialeinheiten zu schicken, um Landsleute, afghanische Frauenrechtsaktivistinnen oder ehemalige Mitarbeiter der Belgier rauszuholen, die von den Taliban mit dem Tod bedroht werden. Diese Möglichkeit gibt es. Falls die Rue de la Loi den politischen Willen hat und vor allem den dazu notwendigen Mut zeigt, meint De Morgen.
Nicht vergessen
Das Geschehen am Flughafen von Kabul beherrscht die Nachrichten. Aber über all die herzzerreißenden Bilder und Berichte dürfen wir das Wichtigste nicht vergessen, kommentiert La Libre Belgique: den Rest Afghanistans. Was ist mit den anderen 37,5 Millionen Afghanen? Nach der Ausreise der meisten westlichen Ausländer sind wir auf die afghanischen Journalisten angewiesen, um zu erfahren, was vor sich geht. Die setzen dafür sehr viel aufs Spiel. Jenseits des Flughafens von Kabul liegt das Schicksal des Landes in den Händen dieser Fundamentalistengruppe, die sich noch einen Anstrich von Toleranz und Versöhnlichkeit gibt. Die Taliban werden aber nicht zögern, jeglichen Widerstand brutal niederzuschlagen, wenn wir eines Tages den Fehler begehen sollten, den Afghanen den Rücken zu kehren, ist La Libre Belgique überzeugt.
Auch Le Soir warnt davor, Afghanistan nach dem Ende der Luftbrücke zu vergessen. Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor dem, was mit den jungen Menschen, den Frauen, den Familien unter der Herrschaft der Taliban passieren wird. Gleichgültigkeit und Vergessen sind politisch angesagt. Das ist aber keinesfalls unabwendbar, es ist eine Wahl, die wir täglich treffen – oder nicht, meint Le Soir.
Äpfel und Birnen
Seit Januar mussten über 400.000 Afghanen aus ihrem Land fliehen. Hinzu kommen die 4,6 Millionen Afghanen, die schon vorher ausgewandert sind. Die 226 Evakuierten, die gestern in Belgien angekommen sind, erhöhen die Terrorgefahr da doch kaum noch, schreibt L'Avenir. Wenn Asylstaatssekretär Sammy Mahdi jetzt betont, wie gründlich diese Flüchtlinge durchleuchtet werden, erweckt das etwas den Eindruck mangelnder Empathie. Aber die Flüchtlingskrise von 2015 hat ihre Spuren hinterlassen und Asyl und Migration sind Themen, die für starke Spannungen innerhalb der Vivaldi-Koalition sorgen. Es ist also auch nachvollziehbar, dass sich Mahdi sehr vorsichtig und kompromisslos gibt, analysiert L'Avenir.
Het Belang van Limburg greift die Kritik mancher auf, dass die belgische Armee so viele Ressourcen für die Evakuierungen aus Afghanistan einsetzt, obwohl doch noch so viele Menschen in den wallonischen Überschwemmungsgebieten Not leiden. Diese Kritiker verschließen die Augen vor der Wirklichkeit und vergleichen Äpfel mit Birnen, meint die Zeitung. Die Armee ist seit Beginn der Hochwasserkatastrophe vor Ort aktiv gewesen. Sie ist es noch immer, unter anderem mit Feldküchen. Auch wenn sie zugegebenermaßen keine C-130-Hercules-Transportflugzeuge dort einsetzt. Aber wozu auch? Etwa um Lebensmittelpakete über Pepinster abzuwerfen? Die Armee tut, was sie kann. Hierzulande und in weiter Ferne. Beide Operationen können und müssen nebeneinander existieren. Vergleiche zwischen Pepinster und Kabul anzustellen, ist nicht nur unnötig, sondern dient nur einer populistischen Agenda, um die wahren Probleme zu verstecken, giftet Het Belang van Limburg.
Ein ermunternder Schubs
La Dernière Heure schließlich befasst sich mit der Corona-Situation in Brüssel: Nachdem alle wegen ihres Impfrückstands mit dem Finger auf die Hauptstadtregion gezeigt haben, hat Brüssel reagiert. Das trifft zumindest auf seine Bürgermeister zu. Pflichtimpfungen sind vom Tisch, der Versuch, die widerspenstigen und begriffsstutzigsten zu überzeugen, hat nicht oder nicht gut genug funktioniert – bleibt also nur, denjenigen, die noch zögern, einen ermunternden Schubs zu geben. Auch wenn das bei einem Teil ihrer Wählerschaft auf wenig Begeisterung stößt, befürworten die Bürgermeister einen verpflichtenden Corona-Pass in ihren Gemeinden. Geimpfte zu belohnen ist nichts anderes als ein logischer Schritt einer Politik, die auf Freiwilligkeit, Intelligenz und Gemeinschaftssinn setzt, unterstreicht La Dernière Heure.
Boris Schmidt