"Evakuierung aus Afghanistan kommt nun wirklich in Gang - 400 Bürger heute sicher in Belgien", titelt Het Laatste Nieuws. "Evakuierungen aus Kabul laufen auf Hochtouren", schreibt auch das GrenzEcho auf Seite eins. "Maximaler Druck bei den Evakuierungen", so eine Überschrift bei Le Soir.
Glücklicherweise ist die Evakuierung von Belgiern aus Afghanistan in den letzten Tagen doch noch in Gang gekommen, kommentiert Het Nieuwsblad. Das ist der guten Zusammenarbeit zwischen den belgischen und den niederländischen Behörden zu verdanken. Es ist aber unbegreiflich, dass das so ungefähr die einzige internationale Zusammenarbeit bei dieser Evakuierungsmission ist. Die westlichen Länder stehen sowieso schon schlecht da wegen der Überrumpelung durch die Taliban. Und dann laufen die Evakuierungen auch noch auf so unkoordinierte Art und Weise. Jedes Land hat seine eigenen Listen mit Menschen, die ausgeflogen werden sollen. Von Ländern, die in den Versammlungsräumen der Europäischen Union und der Nato immer so viel Zusammenarbeit gelobt hatten, ist das doch überraschend. Nach 20 Jahren aussichtslosem Krieg in Afghanistan stehen wir einander jetzt auch noch im Weg bei den Evakuierungen. Welch ein Gegensatz zu China, das schon zielgerichtet mit den neuen Machthabern verhandelt über Bodenschätze, Investitionen und Wiederaufbau. Wann werden wir gründliche Lehren daraus ziehen?, fragt Het Nieuwsblad.
De facto Entscheidung über afghanische Flüchtlinge
De Standaard greift die mangelnde Vorbereitung Belgiens vor dem Fall Kabuls auf. Mehr noch als andere Nato-Länder muss Belgien deswegen improvisieren, sind Flugzeuge leer oder halbleer geblieben. Für Probleme sorgen vor allem auch undeutliche Kriterien darüber, welche Nicht-Belgier ausgeflogen werden sollen. Belgien wagt sich vorläufig auch nicht außerhalb des Flughafens – ist also den Amerikanern ausgeliefert, die die Zugangswege zum Flughafen kontrollieren. Mit seinen begrenzten militärischen Mitteln hat Belgien auch gar keine andere Wahl. Wir fliegen tapfer hin und her, auch, weil die afghanischen Ortskräfte zurückzulassen im internationalen Vergleich schlecht aussehen würde. Die ungenügende Vorbereitung der belgischen Rettungsmission führt auch zu einer de facto Entscheidung darüber, wie offen Belgien afghanische Flüchtlinge empfangen soll. Denn je breiter und eifriger Belgien jetzt evakuiert, desto weniger Argumente gibt es, um denen, die später kommen, die Tür vor der Nase zuzuschlagen, meint De Standaard.
Es muss etwas passieren
Le Soir kommt auf den Impfrückstand in Brüssel zurück: Niemand hat die über 335.000 erwachsenen Brüsseler befragt, die seit Monaten die Impfeinladungen ignorieren. Niemand hat der großen Mehrheit der Jugendlichen in der Hauptstadt zugehört, die eine Dosis verweigern. Deshalb sollte man sehr vorsichtig sein mit Schlussfolgerungen über die Gründe der Zurückhaltung bei der Impfung. Eines ist aber klar: der Zusammenhang zwischen der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Situation und der Bereitschaft, sich impfen zu lassen. Das ist keine Überraschung. Soziale Ungleichheiten schlagen sich auch in puncto Gesundheit nieder und beeinträchtigen insbesondere den Zugang zu Informationen. Sich impfen zu lassen setzt voraus, klare Antworten auf seine Fragen erhalten zu haben von einer Person oder einer Institution, der man vertraut. Dann muss man sich noch einschreiben und zum richtigen Ort begeben. Das ist keine Selbstverständlichkeit für sozial schwache Menschen. Zum Problem, sich ausreichend zu informieren, kommen oft digitale und administrative Hürden, manchmal noch verschärft durch sprachliche Probleme, analysiert Le Soir.
Es muss etwas passieren in Brüssel, fordert De Morgen: Impfbusse müssen vor die Schulen gestellt werden, vor die Einkaufszentren und vor die Krankenhäuser. Hausärzte müssen weiter quasi auf der Straße Überzeugungsarbeit leisten. Durch die Aufschiebung weiterer Lockerungen hat die Brüsseler Regierung einen Monat länger Zeit, um die Herausforderungen anzugehen. Die Zeit sollte man ihr auch zugestehen, wünscht sich De Morgen.
Corona-Pass
Es ist einfach, mit dem Finger auf die Brüsseler Politik zu weisen, meint auch Het Laatste Nieuws. Aber die Waffen, über die sie verfügt, sind zu begrenzt, um den Impfgrad deutlich nach oben zu treiben. Die letzten Prozente sind die schwierigsten. Um die zu schaffen, müssen Geimpfte Vorteile genießen können und Nicht-Geimpfte Nachteile erleben. Niemand kann nach Afrika reisen, ohne gegen Gelbfieber geimpft zu sein. Warum verlangen wir so etwas nicht auch für andere Flüge ins Ausland? Warum zögert die Föderalregierung, es Österreich und Frankreich nachzutun, wo für viele Dinge ein Impfnachweis erforderlich ist? Die Freiheit der Nicht-Geimpften hört da auf, wo die Freiheit der Geimpften in Bedrängnis kommt, wettert Het Laatste Nieuws.
Auch La Dernière Heure greift den sogenannten "Corona-Pass" auf, wie es ihn in Frankreich und anderen Ländern gibt. Dieses Beispiel macht international mehr und mehr Schule. In Belgien aber versucht man, so ein Dokument so gut wie möglich zu vermeiden. Auch weil es ja bereits das Covid-Zertifikat gibt, das zum Beispiel den Besuch bestimmter Veranstaltungen erlaubt. Das Ziel der politisch Verantwortlichen ist immer gewesen, solche Zertifikate nicht zur Vorbedingung für essenzielle Dienstleistungen zu machen. Aber mit der Pflichtimpfung, die wahrscheinlich für das Pflegepersonal kommen wird, scheint es unvermeidlich, dass der Corona-Pass mittelfristig auch für weitere Aktivitäten kommen wird, oder um ins Restaurant zu gehen. Politisch mehren sich die Stimmen, die so etwas befürworten. Und die Sektoren, die noch immer stillstehen, sehen so eine Praxis als möglichen Ausweg. Ein Corona-Pass scheint deshalb wirklich unvermeidlich, ist La Dernière Heure überzeugt.
Boris Schmidt