"Jetzt richtet schon die kolumbianische Variante Unheil an", titelt L'Avenir. "Und plötzlich steht ein Corona-Pass für Wohn- und Pflegezentren im Raum", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Kommt die Auffrischungsimpfung auch in Belgien? Man wird sich entscheiden müssen", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins.
In einem Zaventemer Wohn- und Pflegezentrum gab es gestern einen folgenschweren Corona-Ausbruch. Sieben Bewohner sind gestorben. Und das trotz der Tatsache, dass alle geimpft waren. Laut Erkenntnissen der Virologen der Katholischen Universität Löwen hatten sie sich mit der kolumbianischen Variante des Coronavirus angesteckt. Anscheinend wurde das Virus von einem Besucher in die Einrichtung eingeschleppt. Deswegen fordert schon der Verband der privaten flämischen Wohn- und Pflegezentren, dass auch in Alten- und Pflegeheimen ein Corona-Pass eingeführt werden sollte. Außerdem hat der Ausbruch in Zaventem die "Debatte über eine dritte Impfdosis neu entfacht", wie auch das GrenzEcho auf Seite eins bemerkt.
Das Herumgeeiere um Impfpflicht und Corona-Pass
"Geimpft und gestorben", meint dazu nachdenklich Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Sieben Bewohner eines Wohn- und Pflegezentrums sind trotz Impfung gestorben. Das sind natürlich traurige Neuigkeiten für die Familie.
Aber wirklich überraschend ist das leider nicht. Die Impfung schützt, aber es gibt nun einmal kein Nullrisiko. Nicht für 30-Jährige, aber bestimmt nicht für Senioren, die außerdem oft Begleiterkrankungen haben.
Die Impfung wurde wahrscheinlich zu lange als der Heilige Gral präsentiert, als undurchdringliche Mauer gegen ein tödliches Virus. Die Mauer ist da, aber sie ist eben nicht ganz wasserdicht. Wir müssen damit leben, dass Geimpfte auch mal krank werden können.
Das stellt nicht alles in Frage. Vielmehr sollte man sich mit einem Thema beschäftigen, das schon seit Wochen durch die Rue de la Loi geistert: eine Impfpflicht für Pflegekräfte.
Eine Impfpflicht für Pflegekräfte wäre auf jeden Fall ein Anfang, ist auch Het Nieuwsblad überzeugt. Wir wollen doch schließlich nicht, dass die Wohn- und Pflegezentren wieder abgeriegelt werden müssen. Klar: Die Impfung bietet keinen absoluten Schutz gegen das Virus. Aber es ist der beste Schutz, den wir haben.
Und doch gleicht die Diskussion über eine Impfpflicht für Pflegekräfte der Echternacher Springprozession. Ein ähnliches Herumgeeiere sieht man gerade auch in Bezug auf den Corona-Pass. Experten halten das für eine gute Idee. Und doch will sich niemand dazu durchringen, diesen Impfnachweis großflächig einzusetzen. Nicht nur als Eintrittskarte für Wohn- und Pflegezentren, sondern auch zum Beispiel für Museen oder Restaurants.
Oft warnen die Kritiker davor, dass ein solcher Corona-Pass dazu führen wird, dass Menschen ausgegrenzt werden. Diese Argumentation ist seitenverkehrt. Wer sich nicht impfen lassen will, der schließt sich selber aus. Das ist eine höchstpersönliche Entscheidung.
L'Avenir hält diese Diskussion für überflüssig. Schaut man sich die aktuellen Corona-Zahlen an, dann sind wir doch weit von besorgniserregenden Niveaus entfernt. Die derzeitige Zahl der Krankenhausaufnahmen etwa würde eine weitgehende Verpflichtung des Corona-Passes nicht rechtfertigen. Jetzt als Reaktion auf das Drama von Zaventem eine Impfpflicht für Pflegekräfte oder eine allgemeine Verschärfung der Regeln zu fordern, das ist eine rein opportunistische Haltung. Den Menschen absolute Sicherheit vorzugaukeln, ist im Kern gefährlich.
Diskussion um eine dritte Impfung
Anders sieht das mit einer möglichen Auffrischungsimpfung aus, glaubt De Standaard. Die wohl wichtigste Frage in diesem Zusammenhang lautet: Wie lange schützt uns eigentlich die Impfung? Die verstorbenen Bewohner des Alten- und Pflegeheims von Zaventem gehörten zu der Gruppe, die sehr früh geimpft worden war.
Vielleicht hatte der Impfstoff schon nachgelassen. Sollte sich das bestätigen, dann hätte das natürlich wesentlichen Einfluss auf die Diskussion über die dritte Impfdosis. Und hier geht es nicht nur um moralisch-ethische Erwägungen. Wenn wir wollen, dass unsere Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt, dann sind eigentlich keine Zweifel erlaubt.
La Libre Belgique ist da nicht hundertprozentig überzeugt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO plädiert für ein Moratorium. Vorläufig sollten die westlichen Industriestaaten noch auf die ominöse "dritte Dosis" verzichten. Erst sollte man dafür sorgen, dass auch die ärmeren Länder mal an die Reihe kommen. Das wäre tatsächlich auch in unserem Interesse.
Die globale Impf-Ungerechtigkeit ist auch für uns gefährlich. Je mehr das Virus zirkuliert, desto mehr Mutationen entstehen. Eine weltweite Impfung ist unsere einzige Chance, dieses Virus wirklich zu besiegen.
Katastrophenhilfe bekommt gemeinschaftspolitischen Beigeschmack
Einige Blätter blicken auch heute noch auf die Katastrophengebiete im Osten des Landes. Nach der Kritik an der Koordination der Hilfen hatte der Föderalstaat ja den wallonischen Krisenstäben eine Unterstützungseinheit zur Seite gestellt.
Egal wie, jetzt heißt es Gas geben, mahnt Le Soir. Die Frage mag berechtigt sein, ob die Wallonie der Herausforderung wirklich gewachsen ist. Auf der anderen Seite mag aber auch die Haltung der föderalen Stellen den ein oder anderen perplex machen. Da hat längst nicht alles so funktioniert, wie es sollte. Leider bekommt das inzwischen auch wieder einen gemeinschaftspolitischen Beigeschmack. Im Norden des Landes sieht so mancher hier schon wieder den Beweis für die Unfähigkeit der Wallonie.
Genau das ist gerade das Letzte, was wir brauchen, giftet L'Echo. Ist es wirklich nötig, jetzt wieder den angeblichen Graben zwischen dem Norden und dem Süden des Landes zu beschwören? Zwischen den Zeilen steht hier freilich, dass Flandern natürlich eine solche Krise viel besser gemanagt hatte. So kurz nach einer Katastrophe, die 40 Menschen getötet hat, sind derlei Überlegungen unerhört unverschämt. Könnten wir uns nicht einfach auf das Wesentliche konzentrieren? Ja, auf die Wallonie wartet viel Arbeit.
Hier ist aber auch der Föderalstaat gefragt. Oder spielt hier doch die Sprache, die im Katastrophengebiet gesprochen wird, eine Rolle? Ums mal so auszudrücken: Wäre der Premierminister auch nach Italien in die Ferien gefahren, wenn die Überschwemmungen vor allem Flandern verwüstet hätten?
Roger Pint