"Belarus pokert hoch", titelt De Standaard. "'Piraterie': Belgien beruft Botschafter ein", so die Schlagzeile des GrenzEchos. "Weißrussland: Die Geiselnahme, die die EU dazu zwingt, zurückzuschlagen", schreibt Le Soir auf Seite eins.
Am Sonntag hatten die Behörden von Belarus ein Verkehrsflugzeug mit Hilfe eines Kampfjets zur Landung in Minsk gezwungen. Die Ryanair-Maschine war auf dem Weg von Athen nach Vilnius, der Hauptstadt von Litauen. Angeblich ging es um eine Bombendrohung. Es ist aber offensichtlich, dass die Behörden einen Regimekritiker im Visier hatten: Der Blogger Roman Protassewitsch wurde aus dem Flugzeug geholt und festgenommen. "Journalist entführt nach erfundener Bombendrohung", so formuliert es Het Nieuwsblad.
Der letzte Faden ist nun gerissen
Zufälligerweise stand gerade gestern auch ein EU-Gipfel auf dem Programm. Und schon am Abend verhängten die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten neue Sanktionen gegen Belarus. "Die EU verspricht Weißrussland eine scharfe Vergeltung", schreibt L'Echo auf Seite eins. "Die EU isoliert Belarus", titelt La Libre Belgique. "Die EU hat genug von Belarus", meint De Morgen...
"Stellen Sie sich das Unvorstellbare vor", meint La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Ein Diktator, der sich mit Hilfe einer getürkten Wahl an der Macht halten konnte; organisiert eine geheime Operation, um ein Verkehrsflugzeug mit Hilfe einer MiG-29 zur Notlandung in Minsk zu zwingen. Das alles, um einen Journalisten zu fassen zu kriegen, der sich an Bord der Ryanair-Maschine befand. Nun, das Unvorstellbare ist am Sonntag Wirklichkeit geworden. Mit der Kaperung des Flugzeugs, das zwischen zwei EU-Hauptstädten unterwegs war, hat sich Belarus wie ein Schurkenstaat verhalten. Und dabei eine eindeutige Botschaft an alle Regimegegner gerichtet: "Ihr seid nirgendwo sicher, auch nicht in der Europäischen Union". Diese flagrante Schändung des internationalen Rechts darf nicht ohne Folgen bleiben.
Genau das ist auch der Appell von Le Soir. Bislang hatte man ja noch mit Strafmaßnahmen gegen das Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko gezögert, um das Land nicht weiter in die Arme des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treiben. Spätestens am letzten Sonntag ist aber der letzte Faden gerissen. Nicht umsonst sprach die litauische Regierung von Staatsterrorismus. Wie kann die politische Führung in Minsk davon ausgehen, dass ein solcher Akt ohne Folgen bleiben würde? Wenn unschuldige Fluggäste in Gefahr gebracht werden, die sich an Bord einer Maschine der populärsten europäischen Airline auf einem Flug zwischen zwei EU-Hauptstädten befinden. Jetzt findet die Repression gegen belarussische Oppositionelle schon unter unseren Augen statt. Eine derartige Vergewaltigung der Freiheit im europäischen Luftraum darf nicht ungestraft bleiben.
Es geht hier ums Prinzip und unsere Werte
Und zum Glück haben die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Brüsseler Sondergipfel schnell eine einheitliche Position einnehmen können, lobt L'Echo. Die EU hat sich auf eine drastische Verschärfung der Sanktionen verständigen können. Gut, seien wir nicht naiv: In Belarus oder beim wichtigsten Verbündeten Russland wird man jetzt nicht sonderlich beeindruckt sein. Das ist aber nicht die Schuld der EU; ihr fehlt es einfach an den nötigen Instrumenten, um wirklich effizient gegen derartige Gewalt vorzugehen. Und solange das so ist, werden Minsk und Moskau ihre Provokationen fortsetzen...
Belarus und Russland, beide Länder kennen keine Grenzen, analysiert De Tijd. Und, unter diesen Gesichtspunkten ist Belarus im Grunde nur Putins Vorhut: Lukaschenko testet die Grenzen aus, und so weiß Putin ganz genau, wie weit er mit seinen Provokationen gehen kann. Gerade deswegen ist es so wichtig, dass die EU-Staaten möglichst geschlossen und entschlossen auf diesen Vorfall reagieren.
Und das eben auch auf die Gefahr hin, dass sich Belarus noch weiter von Europa entfernt und in die Arme von Moskau und Peking getrieben wird, glaubt La Dernière Heure. Denn hier geht es um unsere Werte, unsere Haltung Ländern gegenüber, die die Freiheiten ihrer Bürger gewaltsam einschränken. Hier geht's ums Prinzip. Denn mit Terroristen wird nicht verhandelt!
"Nie wieder so etwas! Oder?"
De Standaard sieht das Ganze auch aus der geopolitischen Perspektive. Belarus war längst die Zeitbombe in den Beziehungen zwischen der EU und Russland, meint das Blatt. Seit Jahren schwelt ein Konflikt zwischen der EU und Russland; und der EU stand nicht der Sinn danach, diesen Konflikt wegen der Ereignisse in Weißrussland noch weiter zu befeuern. Am Sonntag hat Machthaber Lukaschenko die Zeitbombe aber scharf gemacht. Und das mit einer ebenso verblüffenden wie rücksichtlosen Chuzpe. Aber hatte nicht schon die völkerrechtswidrige Annektierung der Krim durch Russland gezeigt, dass die EU mit ihrer Softpower nur sehr wenig gegen brutale Machtpolitik ausrichten kann?
Jedenfalls sorgen die jüngsten Ereignisse jetzt dafür, dass die EU nicht mehr wegschauen kann, ist De Morgen überzeugt. Wir hatten sie schon wieder vergessen, die heldenhaften Demonstranten, die nach der getürkten Wahl dem Regime in Belarus die Stirn geboten hatten. Die EU hatte es wegen der Einwände einiger Mitgliedstaaten nicht geschafft, wirklich die Faust zu ballen angesichts der Gräueltaten in Minsk. Dass das eisig erbarmungslose Regime jetzt seine Klauen gezeigt hat auf einem Ryanair-Flug zwischen zwei EU-Hauptstädten hat denn auch einen "Vorteil": Roman Protassewitsch und seine angsterfüllten Landsleute bekommen nun die Aufmerksamkeit der ganzen Welt. Der Westen kann nicht mehr so tun, als wüsste er nicht, was vor seiner Haustüre passiert. Wenn die EU es nicht schafft, Belarus hier ganz klar die Grenzen aufzuzeigen, dann legitimiert sie – in unserem Namen – die systematische und blutrünstige Verfolgung von tausenden Menschen, die jeden Tag die Internierung in einem Folterlager fürchten müssen. "Nie wieder so etwas!", das war doch die Abmachung. Oder?
Roger Pint