"Endlich wieder raus", titelt das GrenzEcho. "Sturmlauf auf die Terrassen – Belgien genießt vollauf die Horeca-Lockerungen", schreibt De Morgen. "Feiernde weichen erst dem Wasserwerfer", so die Überschrift von Het Nieuwsblad zu den Ausschreitungen an der Place Flagey in Brüssel.
Die Bilanz dieses Wochenendes der Wiederbegegnung hätte eigentlich positiv ausfallen können. Hätte, seufzt La Dernière Heure. Wenn da nicht die Bilder von der Place Flagey gewesen wären von Hunderten aufeinander klebenden jungen und nicht mehr ganz so jungen Feierwütigen, die ganz offensichtlich völlig auf das Schicksal der Corona-Patienten in den noch immer vollen Intensivstationen pfiffen – und derer, die noch immer jeden Tag wegen Covid in die Krankenhäuser müssen.
Ja, es war an der Zeit, die Zügel etwas zu lockern. Aber diese Bilder könnten die politisch Verantwortlichen überzeugen, bei weiteren Lockerungen auf die Bremse zu treten. Denn Disziplin ist der Schlüssel beim Kampf gegen das Virus. Durch ihr Verhalten können die Feiernden immer wiederkehrende Verschärfungen mit auslösen – Verschärfungen, gegen die gerade sie doch so lautstark sind, giftet La Dernière Heure.
Trittbrettfahrer und Idioten
Unkontrollierbare Massenveranstaltungen bringen auch immer die Trittbrettfahrer zusammen, analysiert De Morgen. Diese Gruppe von Menschen, die glaubt, dass sie sich nicht an die Regeln halten müssen, weil der Rest der Bevölkerung das ja tut. Die Feierwütigen von der Place Flagey, die Impfverweigerer – es ist nicht verwunderlich, dass sich diese beiden Gruppen größtenteils überlappen. Mit großen und hohlen Worten über "Freiheit" versuchen sie ihr egoistisches Verhalten zu rechtfertigen. Aber ihre angebliche "Freiheit" ist eine ohne Verantwortung, wie sie dauernörgelnde verwöhnte Kinder fordern.
Aber nur weil ein paar Idioten das Boot zum Schaukeln bringen, dürfen wir deswegen trotzdem nicht umkehren und zurück zum Ufer des Lockdowns rudern. Denn das würde diesen Trittbrettfahrern den Status von "Rebellen" geben. Und den haben sie wirklich nicht verdient, wettert De Morgen.
Kontraproduktive Repression vs. kindisches Verhalten
Quasi komplett geschlossene Festzelte mit kaum Luftzirkulation, Terrassen, auf denen die Abstände eher Zentimeter als Meter betrugen, so große Gruppen, dass sie unmöglich zur gleichen Kontaktblase gehören konnten, die Menschenmassen auf der Brüsseler Place Flagey – die einfache Schlussfolgerung wäre, dass es zu früh war für Lockerungen, ärgert sich auch Het Laatste Nieuws, dass man strenger hätte sein und länger hätte warten müssen.
Und was auch auffällt ist, wie wenig an Wissen über das Virus zu vielen Menschen offenbar durchgedrungen ist. Sie müssten doch wissen, wie wichtig die Luftqualität und eine gute Belüftung sind. Aber vielleicht muss man sich trotzdem auch eine andere Frage stellen. Nämlich, ob das kindische Verhalten der Menschen nicht auch eine Folge davon ist, dass sie wie Kinder behandelt worden sind, wirft Het Laatste Nieuws ein.
Le Soir appelliert an alle Seiten: Die politisch Verantwortlichen sollten wissen, dass es eine Langzeit-Arbeit ist und schwierig, die Menschen dazu zu bewegen, die Corona-Regeln zu befolgen. Es wäre kontraproduktiv, diese Anstrengungen durch Repression zu gefährden. Denn so verwandelt man illegale Zusammenkünfte in Orte des Widerstands gegen die Obrigkeit. Die Feiernden ihrerseits müssen unter Beweis stellen, dass sie etwas Besseres verdienen, als wie Kinder behandelt zu werden, so Le Soir.
Nicht in die offensichtliche Falle tappen
L'Avenir stellt derweil fest, dass die politisch Verantwortlichen dieses Wochenende ziemlich den Tonfall verändert haben. Jan Jambon, Alexander De Croo, Frank Vandenbroucke – es scheint das Wochenende der guten Nachrichten und frohen Ankündigungen gewesen zu sein. Es hat also nicht mehr als ein Gläschen auf einer Terrasse gebraucht, um den Enthusiasmus wiederzubeleben, der es uns erlaubt, uns wieder die Welt von morgen vorzustellen, kommentiert L'Avenir.
Der flämische Ministerpräsident und der Premierminister sind sich quasi gegenseitig über die Füße gestolpert, um die gute Nachricht über mögliche größere Festivals im Sommer zuerst verkünden zu können, konstatiert auch Het Nieuwsblad. Das Land befindet sich in einer Situation, die die Möglichkeit zur politischen Profilierung mit sich bringt. Es ist ja nicht verkehrt, wenn die Politik darüber nachdenkt, wie es sicher weiter aus der Krise gehen kann. Aber wenn uns die Krise eines gelehrt hat, dann, dass bei so etwas immer nur unter Vorbehalt gesprochen werden sollte. Dass die Politiker sich gegenseitig überbieten und zuvorkommen wollen kann gefährlich werden, Stichwort noch immer volle Intensivstationen und erste Opfer der indischen Variante in Belgien, warnt Het Nieuwsblad.
Auch Gazet van Antwerpen findet, dass die Politiker-Träume von Sommerfestivals voreilig sind. Egal wie gerne wir das auch hätten, die jetzt wiedergewonnene Freiheit ist kein Freibrief, um in den nächsten Tagen und Wochen alle Regeln über Bord zu werfen. Denn der Schein trügt: Das Virus ist noch immer unter uns und fordert jeden Tag neue Opfer. Es wird mehr als nur ein bisschen Disziplin brauchen, um nicht in die offensichtliche Falle zu tappen und so zu tun, als ob wir unser altes Leben einfach so zurückhaben könnten. Natürlich darf es Hoffnungen geben. Aber die politisch Verantwortlichen müssen bei ihren Versprechungen vorsichtig sein und auf Bedingungen pochen. Sonst können uns die Lockerungen schnell ins Gesicht explodieren, befürchtet Gazet van Antwerpen.
Die Ankündigungswut der Politiker ist nicht ohne Risiken, betont auch Het Belang van Limburg. Die Worte "falls", "aber" und "wenn" bei solchen Versprechungen dringen ganz klar nicht zu allen durch. Nach mehr als einem Jahr Pandemie ist die Geduld der Bevölkerung und vor allem der Jugend auf dem Nullpunkt. Die Polizei kann nicht dauerhaft Parks und Plätze räumen. Wenn jetzt die Tür für Veranstaltungen geöffnet wird, nur um sie später wieder schließen zu müssen, dann werden die Menschen das nicht akzeptieren. Ist der Geist erst einmal aus der Flasche, dann bekommt man ihn nicht wieder hinein, mahnt Het Belang van Limburg.
Boris Schmidt