"T-Day, T-Tag", so lautet die große Überschrift bei De Standaard. "Das erste Glas auf der Terrasse - Nach langer Durststrecke freut sich der Horeca-Sektor auf die heutige Wiederöffnung der Außengastronomie", schreibt das GrenzEcho. "Plexiglas, Wetter… Nervosität bei der Wiederöffnung des Horeca-Sektors", titelt Le Soir.
"Bürger, auf die Terrassen!", fordert La Dernière Heure in ihrem Leitartikel. Nach mehr als sechs Monaten Schließung ist heute der Tag der Erlösung für den Horeca-Sektor. Zumindest teilweise. Da kann man nur hoffen, dass das Frühlingswetter auch mitspielen wird. Neben der Erleichterung, die die Betreiber spüren werden, ist die Wiederöffnung der Terrassen aber auch ein Grund zur Freude für die Kunden. Es sind Orte der Geselligkeit, der Begegnung und der zwischenmenschlichen Kontakte. Der Notbehelf des Take Away, mit dem sich viele Gastronomen versucht haben, irgendwie über Wasser zu halten, war natürlich sowohl finanziell als auch menschlich nicht mehr als ein mageres Trostpflaster. Dieses Wochenende zum Essen oder Trinken auszugehen bedeutet also nicht nur, sich selbst eine Freude zu machen, sondern es stellt auch einen Akt bürgerlicher Verantwortung dar. Ein Akt, mit dem wir uns solidarisch zeigen können mit einem Sektor, der schwer von der Krise getroffen worden ist. Gleich zwei gute Gründe also, um mit ruhigem Gewissen zu schlemmen, meint La Dernière Heure.
Seien wir jetzt glücklich…
Es ist zwar noch nicht das Paradies, aber auch nicht mehr die Hölle, kommentiert Le Soir die allgemeinere Corona-Situation im Land: Die Kontaktblasen werden größer, die Ausgangssperren sind aufgehoben und die Terrassen werden geöffnet. Das läuft zwar nicht alles in Harmonie und in ausgelassener Freude ab. Und es wiegt auch nicht die Verzweiflung und die soziale Unsicherheit der Jugend auf; es dämpft nicht die Wut des Kultursektors. Es erlaubt uns nicht, die Menschen zu ignorieren, die zu Tausenden auf der ganzen Welt dahingerafft werden. Und es wird uns auch nicht vor neuen gefährlichen Varianten wie der indischen schützen.
Aber wir haben einfach zu lange auf gute Nachrichten warten müssen, um dieses Wochenende nicht zu genießen. Also seien wir jetzt glücklich… und schauen wir hinterher, wie es dann weitergehen wird, so Le Soir.
Tückische Wochen voraus
Die ausgelassene Feststimmung im Land hat etwas von einer Sinnestäuschung, gibt sich De Standaard weit weniger optimistisch. Was jetzt beginnt, das werden tückische Wochen sein. Denn die Terrassen werden nicht etwa geöffnet, weil das Virus weit genug zurückgedrängt worden ist. Sondern, weil der Lockdown nicht mehr durchzusetzen war. Das haben die Bürgermeister vor Ort ganz eindeutig schon besser begriffen als die Föderalregierung. Den Geist wird man nicht wieder in die Flasche zurückzwingen können. De facto ist es jetzt so, dass die Verantwortung für die eigene Gesundheit zurück an den Bürger geht. Jeder für sich wieder. Das Heimtückische daran ist aber, dass alle, die noch nicht geimpft sind, kaum einschätzen können, welche Gefahr sie selbst darstellen und welchen Risiken sie sich aussetzen. Diese Wochen werden wir Szenen sehen, die wir lieber nicht sehen würden. Die wiedergewonnene Freiheit wird zu Kollateralschäden führen in Form von zusätzlichen Kranken und Toten, ist De Standaard überzeugt.
Ob das Virus auf den Terrassen um sich greifen wird, wird weniger von den Betreibern oder den Behörden abhängen, schreibt De Morgen. Sondern von den Kunden, also letztlich uns. Und wir wissen natürlich, wer hier wirklich der Spielverderber sein wird: ein übermäßiger Alkoholkonsum. Denn der wird dazu führen, dass die Menschen zu locker mit den elementaren Abstands- und Hygieneregeln umgehen werden. Sie werden die Mundschutzmaskenpflicht vernachlässigen. Sie werden durch lautes Rufen und Sprechen dazu beitragen, dass sich die Viruspartikel einfacher verbreiten können. Gesunder Menschenverstand wird hier im wörtlichen Sinn wieder lebenswichtig werden. Denn viele Menschen in unserer Gesellschaft sind noch immer durch das Virus gefährdet. Lasst uns deshalb diese Freiheit bitte vorsichtig kosten. Und sie vielleicht besser noch nicht überschwänglich umarmen, empfiehlt De Morgen.
"Ceci n'est pas une plexiglasscherm"
Verschiedene Zeitungen greifen im Zusammenhang mit der Wiederöffnung der Terrassen auch das Kommunikationsfiasko um die Plexiglas-Trennscheiben zwischen den Tischen auf. Als neuen Belgier-Witz mit dem Potenzial, wieder mal die ganze Welt über das Land lachen zu lassen und als "Plexi-Gate" bezeichnet das etwa Het Nieuwsblad. Het Laatste Nieuws macht sich darüber lustig, dass Justizminister Vincent Van Quickenborne selbst zum Schutz vor Ansteckung hinter einer Plexiglas-Scheibe saß, als er verkündete, dass so eine Scheibe draußen nur unzureichend schütze. Und er selbst saß dabei mit anderen in einem geschlossenen Raum, stichelt die Zeitung. "Ceci n'est pas une plexiglasscherm", dies ist keine Plexiglasscheibe, kann man da wohl in bester belgischer surrealistischer und kafkaesker Tradition nur noch sagen.
Nicht nur, dass der Horeca-Sektor zu den größten Opfern der Gesundheitskrise gehört. Nein, offenbar hielt es die Föderalregierung auch noch für nötig, den Cafés und Restaurants am Freitag noch einen Extra-Schubs in Richtung Abgrund zu geben, tobt auch Gazet van Antwerpen. Wie kann das sein? Der Sektor braucht sicher keine stümperhafte Kommunikation dieser Art. Was er braucht, sind Politiker, die sich ins Zeug legen, um den Horeca-Bereich vor dem Untergang zu retten. Denn die bisher beschlossenen Hilfsmaßnahmen werden nicht reichen.
Das GrenzEcho blickt derweil schon voraus: Am Dienstag wird der Konzertierungsausschuss erneut tagen und weitere Lockerungsmaßnahmen verkünden. Man muss kein Prophet sein, um sich auszumalen, dass das Heft des Handelns der beziehungsweise den Regierungen schnell entgleiten wird. Sollte sich unser Land für den Weg entscheiden, den jetzt Deutschland und andere Länder gehen, würde dieses Phänomen noch dadurch verstärkt, dass andere Regelungen für Geimpfte und Nicht-Geimpfte gelten. Erstens ist es äußerst fragwürdig, wenn die Ausübung von Grundrechten an Bedingungen verknüpft wird. Zweitens gibt es andere Wege als die Schaffung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Alle Bürger sollten wieder schnellstmöglich in den weitgehenden und unbedingten Genuss ihrer Grundrechte kommen. Und nicht nur Privilegierte, fordert das GrenzEcho.
Boris Schmidt