"Clash zwischen Sozialisten und Liberalen über die Lohnnorm", titelt De Morgen. "Sozialisten und Liberale stehen sich in den Tarifverhandlungen unversöhnlich gegenüber", so formuliert es De Standaard.
Ein neuer Vorstoß von Conner Rousseau, dem Vorsitzenden der flämischen Sozialisten Vooruit, sorgt für Schlagzeilen. Hintergrund sind die Verhandlungen über ein neues Rahmentarifabkommen, die erstmal gescheitert sind. Laut Gesetz dürfen die Löhne nicht um mehr als 0,4 Prozent steigen. Den Gewerkschaften ist das zu wenig. Die Regierung könnte das ändern, nur sind allen voran die Liberalen der Ansicht, dass man bei den 0,4 Prozent bleiben sollte. "Wenn höhere Löhne nicht möglich sind, dann gibt es auch keine Dividenden", zitiert De Tijd aber den Vooruit-Vorsitzenden auf Seite eins. "Keine Lohnerhöhung? Dann auch keine Dividenden", so auch die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Das GrenzEcho spricht von einer "Kampfansage an die Arbeitgeber und die Liberalen".
Vorschlag: Lohndeckelung für Chefs
Wir sehen hier wohl in erster Linie einen klassischen Blitzableiter, analysiert Het Laatste Nieuws. Nicht vergessen: Am Samstag ist der 1. Mai, der Tag der Arbeit also. Und die marxistische PTB läuft sich dafür schon seit Wochen warm. Da können die Sozialisten nicht untätig bleiben. Während Conner Rousseau sich also auf die Dividenden einschießt, hat der sonst so besonnene PS-Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne die Idee in den Raum gestellt, dass man ja auch die Löhne der Chefs deckeln könnte. Bumm! Paukenschlag! Brauchen wir noch Trommelwirbel für die 1. Mai-Fanfare? Mal schauen, was von alledem nach dem 1. Mai noch bleibt. Dividenden auszusetzen, das wäre nämlich auch für den Staat ein Verlustgeschäft, der kassiert schließlich Steuern darauf. Dennoch: Die erste ideologische Schlacht zwischen dem linken und dem rechten Flügel der Vivaldi-Koalition ist jetzt wohl eine Tatsache.
Das GrenzEcho mahnt zur Besonnenheit. Zugegeben: Die Lohnerhöhungen, die im Raum stehen, das ist herzlich wenig. Doch mit dem Ende der Krise greifen auch langsam wieder die ökonomischen Realitäten: Wir haben ernsthafte Konkurrenten um uns herum. Deswegen gibt es die Lohnnorm: Um die Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Unternehmen zu schützen. Man kann die Unzufriedenheit mit den inflationsbereinigt praktisch stagnierenden Einkommen zwar nachvollziehen. Der Zeitpunkt für einen Sozialkonflikt wäre aber denkbar schlecht.
Freude über baldige Wiederöffnung der Schulen
Het Nieuwsblad freut sich seinerseits über die baldige vollständige Wiederöffnung der Schulen. In den drei Gemeinschaften des Landes soll am 10. Mai für alle Schüler wieder vollständig zum Präsenzunterricht zurückgekehrt werden. Dieser Schritt ist mindestens so nötig wie die Wiederöffnung der Terrassen, meint das Blatt. Das wird den Schülern nicht nur dabei helfen, den Lehrstoff zu verinnerlichen, sondern auch ihr allgemeines Wohlbefinden verbessern: Die sozialen Kontakte werden wiederhergestellt, ihr Leben wieder strukturiert. Das alles bedeutet nicht, dass alles Elend nun hinter uns liegt. Eigentlich befinden wir uns jetzt am Scheitelpunkt: Die - aufgezwungene - kollektive Verantwortung wird schrittweise ersetzt durch eine individuelle Verantwortung. Sich gegen eine Ansteckung zu schützen wird ab jetzt zu einer persönlichen Entscheidung.
Und doch sollten wir in dieser Krise nicht nur uns selbst sehen, mahnt De Standaard. Es reicht ein Blick nach Indien, wo die Corona-Plage inzwischen biblische Ausmaße angenommen hat. Und hier werden wir mit einem bitteren Irrtum konfrontiert. Wir glauben, dass wir mit den Impfungen erstmal bei uns anfangen müssen. Und wenn bei uns dann endlich alle Bürger geimpft sind, dann widmen wir uns dem Rest der Welt. Das ist zu kurz gedacht. Selbst wenn wir in unseren reichen Ländern am Ende die Herdenimmunität erreichen werden, bringt uns das wenig oder gar nichts, wenn das Virus im Rest der Welt weiter ungestört grassieren kann. Denn mit jeder Sekunde wächst die Gefahr neuer, gefährlicher Mutationen. Aber klar: Einen Teil unserer wertvollen Impfstoffe in andere Länder zu schicken, dafür müssten unsere Politiker geradezu todesmutig sein. Nur: Sich dieser Verantwortung zu entziehen, das ist auf Dauer genauso tödlich.
Aufhebung der Patente das Wundermittel?
Es gibt aber ein Mittel gegen diesen Teufelskreis, glaubt De Morgen: Man muss nur die Patente für Impfstoffe aufheben. Die Argumente dagegen, die sind bekannt. Unter anderem wird ja immer gesagt, dass die Impfstoffe nur so schnell hergestellt werden konnten, weil es die harte Konkurrenz zwischen den Pharmakonzernen gibt. Und die kann nur stimulierend wirken, wenn am Ende auch satte Gewinne winken. Dabei vergisst man aber allzu gerne, dass die Öffentliche Hand über allerlei finanzielle Unterstützungen wesentlich dazu beigetragen hat. Und letztlich geht es hier auch nicht um Nächstenliebe, sondern auch um Eigennutz. Endgültig besiegen können wir das Virus nämlich nur auf der ganzen Welt.
Die Wirtschaftszeitung De Tijd mahnt dennoch zur Vorsicht. Ja, es stimmt: Die spektakulär schnelle Entwicklung der Impfstoffe war nur möglich dank staatlicher Unterstützung. Das sollte man aber als eine Art Partnerschaft verstehen: Die Staaten bekommen Impfstoff, dafür können die Konzerne nette Gewinne verbuchen. Es wäre unvernünftig, diese Partnerschaft zu sprengen, indem man die Pharmaunternehmen um ihre Gewinne bringt. Beide Seiten müssen etwas davon haben. Es wäre nämlich mit Sicherheit eine schlechte Neuigkeit, wenn sich die Konzerne aus der Entwicklung von Impfstoffen zurückzögen.
Die Aufhebung des Patentschutzes, das mag kein Wundermittel sein, räumt Gazet van Antwerpen ein. Denn hinzu kommt: Impfstoffe, das ist kein Hundefutter. Es reicht nicht, das Rezept zu kennen, um es herstellen zu können. Dafür braucht man Infrastruktur und Knowhow. Dennoch: Selbst der Milliardär Marc Coucke, der sein Geld in der Pharmabranche gemacht hat, ist für die Aufhebung des Patentschutzes. Und der ist bestimmt kein Kommunist. Auf den Einwand, dass man die Konzerne nicht um ihre Gewinne bringen darf, erwidert Coucke, dass die Unternehmen doch bereits Gewinne verbucht haben, und dass man auch über Ausgleichszahlungen nachdenken könne. Angesichts des Verlustes von Millionen von Menschenleben und des unendlichen sozialen und wirtschaftlichen Leids muss man tatsächlich alle Hebel in Bewegung setzen. Das wird mit jedem Tag zwingender. Und wenn es nur aus Eigennutz ist.
Roger Pint