"Ausgangssperre, Mundschutzmasken und Schließung des Horeca-Sektors sind ungesetzmäßig – Richter fegt Corona-Politik vom Tisch", schreibt Het Laatste Nieuws in großen Buchstaben auf Seite eins. "Corona-Regeln in Belgien sind 'illegal", so das GrenzEcho. "Die Justiz erinnert den Staat an seine Pflichten", titelt Le Soir.
Der belgische Staat kann nicht so lange und unverhältnismäßig die Freiheiten der Bürger beschneiden, ohne dafür eine solide gesetzliche Basis zu haben, fasst De Standaard das Urteil des Brüsseler Erstinstanzgerichtes zusammen. Diese einstweilige Verfügung kommt wenig überraschend. Seit Monaten produziert die Föderalregierung einen ministeriellen Beschluss nach dem anderen – ohne das Parlament einzubeziehen.
Anfangs konnte man die Pandemie noch als akute Bedrohung und Gefahr im Verzug bezeichnen. Mittlerweile ist es aber eine chronische und bisweilen endlos scheinende Herausforderung. Und dafür brauchen wir eine bessere Grundlage als Gesetze, die es der Regierung erlauben, etwa bei Terroranschlägen und Katastrophen schnell und angemessen zu handeln.
Und niemand kann behaupten, dass hier ein weltfremder Richter am Werk gewesen wäre. Die Corona-Regeln bleiben weiter gültig, die Regierung bekommt einen Monat Zeit, um die Situation zu korrigieren. Es muss möglich sein, gegen gesundheitliche Bedrohungen zu kämpfen und gleichzeitig unsere Grundrechte zu schützen. Es ist nicht das eine oder das andere, so De Standaard.
Der Schaden ist angerichtet
Eine Bombe? Das war die Entscheidung sicher, kommentiert Le Soir. Eine Überraschung aber sicher nicht. Wer sich jetzt in den Regierungen, Kabinetten und anderen Entscheidungsstellen schockiert gibt, der muss in den letzten Monaten blind und taub gewesen sein. Politikwissenschaftler, Verfassungsrechtler, Anwälte – sie alle haben beklagt, dass die Coronavirus-Schutzmaßnahmen ungesetzmäßig seien, ein Ausnahmezustand, ein Anschlag auf den Rechtsstaat und eine Bedrohung für die Demokratie.
Und egal, wie es jetzt mit dem Pandemiegesetz weitergeht und wie die Entscheidung des Gerichts in der Berufung beurteilt werden wird: Der Schaden ist angerichtet. Der Anschein der Ungesetzlichkeit, den das Brüsseler Gericht gesehen hat, ist Wasser auf die Mühlen der Gegner der Regierung. Er wird den Verdruss in der Bevölkerung vergrößern und Prozesse gegen die Corona-Maßnahmen ermutigen. Es wäre wirklich besser gewesen, diese Blamage zu vermeiden, indem man früher gehandelt hätte, seufzt Le Soir.
Obwohl sie vorgewarnt waren, haben die politisch Verantwortlichen dieses Damoklesschwert über ihren Köpfen hängen lassen, konstatiert auch L'Avenir. Und es ist fraglich, ob das Vertrauen und das Gefühl der Transparenz wiederhergestellt werden können. Neben den Rufen aus der Opposition gibt es auch eine breite Forderung vonseiten der Bürger, der Politik, der akademischen Welt und eben jetzt auch der Justiz, das Pandemie-Krisenmanagement auf eine bessere demokratische Basis zu stellen, resümiert L'Avenir.
Eine Schande – und eine Frage des Prinzips
Die Regierung ist mit der Eselskappe in die Ecke gestellt worden, hält Het Nieuwsblad fest. Zu Recht. Es war äußerst bedenklich, wie bei jeder Notmaßnahme das Parlament vergessen worden ist. Das drohte sogar, zu einem gefährlichen Präzedenzfall zu werden. Und während man gerade zu Beginn der Gesundheitskrise noch Verständnis haben konnte, gilt das nach 13 Monaten nicht mehr. Dass es noch immer kein wirkliches Pandemiegesetz gibt, ist eine Schande. Daran muss nun ernsthaft, gründlich und schnell gearbeitet werden. Das Mindeste wäre jetzt, die zweiwöchige Osterpause des Parlaments zu streichen. Denn in Krisenzeiten muss jeder Opfer bringen, giftet Het Nieuwsblad.
Es ist nicht hinnehmbar, dass der Kampf gegen das Virus außerhalb des Rahmens des Gesetzes und der Verfassung geführt wird, wettert La Libre Belgique. Die Art und Weise, wie die politisch Verantwortlichen agieren, ist sowohl aus juristischer als aus demokratischer Sicht unerträglich. Und das hat die Bereitschaft der Bevölkerung untergraben, die Schutzmaßregeln zu befolgen, ist La Libre Belgique überzeugt.
Auch wenn sich in der Praxis nicht viel ändern wird, dann werden die Maßregeln in Zukunft hoffentlich zumindest legitimiert sein, schreibt De Tijd. Das ist einfach eine Frage des Prinzips und der juristischen Sauberkeit. Selbst in Notsituationen kann die Regierung nicht nach eigenem Gutdünken die demokratischen Spielregeln und das Grundgesetz beiseiteschieben. Denn heute ist es eine Pandemie. Aber was wird morgen der Vorwand sein?, fragt besorgt De Tijd.
Vorsicht bei der Medizin
Man konnte sich eines gewissen Eindrucks nicht erwehren, dass die Volksvertreter noch nicht einmal ein Problem mit der Machtbeschneidung hatten, deren Opfer sie zunehmend wurden, findet das GrenzEcho. Auch im Volk, das sich längst gegen die Willkür, mit der manche Entscheidungen getroffen wurden, hätte auflehnen müssen, stellte man vor allem Lethargie fest.
Dabei dürfte gerade in Ostbelgien ein Blick in die Geschichte reichen, um uns vor Augen zu führen, wie schnell aus Demokratien Diktaturen werden können. Das größte Problem sind nicht die, die die Macht an sich reißen. Sondern die, die das Geschehen schweigend erdulden, erinnert das GrenzEcho.
De Morgen betont schließlich, dass es jetzt nicht nur darum geht, den leckgeschlagenen juristischen Kahn wieder flott zu bekommen. Mindestens genauso wichtig sind der Inhalt und die Qualität des Pandemiegesetzes. Es kann nicht das Ziel sein, dass dieses Gesetz Tür und Tor dafür öffnet, dass die Regierung, wenn sie es wünscht, in Zukunft schnell in den Modus eines pseudo-autoritären Regimes hochschalten kann. Denn wenn das passiert, dann ist die Medizin schlimmer als die Krankheit, warnt De Morgen.
Boris Schmidt