"Die Regierungen stehen vor der Quadratur des Kreises", titelt das GrenzEcho. "Die Wiederöffnung der Horeca-Betriebe und auch die Reisen stehen ganz unten auf der Prioritätenliste der Experten", schreibt De Tijd auf Seite eins. "April und Mai: Die Perspektiven müssen dringend ausformuliert werden", mahnt L'Avenir. Aber: "Ein Exitplan liegt vor, schreibt Het Nieuwsblad. Demnach wird der vier Stufen umfassen, gestaffelt nach dem Risiko, das mit den entsprechenden Lockerungen verbunden ist.
Heute steht zunächst alles im Zeichen des Konzertierungsausschusses. Die Vertreter aller Regierungen des Landes müssen ja heute über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise beraten. Viele erhoffen sich Lockerungen, doch sind die Spielräume sehr klein. "Zu früh für Lockerungen", titelt denn auch De Standaard. Die Zeitung gibt damit die Meinung wieder, die in vielen Krankenhäusern zu hören ist. Dort hat man nämlich Angst vor einer dritten Welle. Genau das Gleiche steht auch im Innenteil von Het Laatste Nieuws. "Wir sehen die dritte Welle jetzt schon", sagt sogar eine Lungenärztin der Uniklinik Gent. "Mehr jüngere Corona-Patienten", so die Aufmachergeschichte von Gazet van Antwerpen. "Jünger", damit sind Menschen unter 60 gemeint. Jedenfalls warnen Experten auch deswegen vor allzu vielen Lockerungen.
"Zwischen Hammer und Amboss"
Allerdings, und das macht das Ganze eben zur Suche nach der Quadratur des Kreises: "Die Akzeptanz für die Maßnahmen ist auf dem Tiefpunkt", so die Schlagzeile von De Morgen. Nur noch einer von drei Belgiern gibt an, wirklich motiviert zu sein, um die Corona-Regeln einzuhalten.
Die Regierung und insbesondere Premier Alexander De Croo befinden sich zwischen Hammer und Amboss, analysiert De Standaard. Auf der einen Seite sind da viele Bürger und auch die vielen Sektoren, die im Moment zur Untätigkeit verdammt sind; all diejenigen, denen das Wasser bis zum Hals steht, sei es finanziell oder mental. Sie wollen – und brauchen – schnellstens Öffnungen. Auf der anderen Seite sind da aber die aktuellen Zahlen. Die Virologen, aber auch das Krankenhauspersonal warnen eindringlich vor neuen Lockerungen. Die Regierungen des Landes sind in einer Zwickmühle. Wenn man zu viel lockert, dann riskiert man eine dritte Welle. Lockert man zu wenig, beschränkt man sich auf ein paar kleine, rein symbolische Zugeständnisse, dann droht die Akzeptanz endgültig wegzubrechen.
Blindes Vertrauen muss man sich verdienen
"Wir sind müde", kann De Morgen in seinem Leitartikel nur feststellen. Und die Maßnahmen einiger Bürgermeister, um spontane Zusammenkünfte in Parks und auf Plätzen zu verhindern, verstärken noch dieses Gefühl. Viele Menschen können einfach nicht mehr. Das viel zitierte "Team der elf Millionen Belgier", nun, es steht nicht mehr sehr frisch auf dem Platz.
Dafür darf man aber nicht den Spielern die Schuld geben. Vielmehr sollten sich auch mal die Trainer infrage stellen. So will die Impfkampagne einfach nicht in Fahrt kommen; viele Impfzentren stehen leer, auch, weil sie auf Impfkandidaten warten, wenn die denn ihre Einladung bekommen haben. Und, nicht vergessen: Die Regierung hat den Bürgern Masken geschenkt, die erstmal nicht kamen und vor denen jetzt wegen potentieller Gesundheitsgefahren gewarnt wird. Die Regierungen des Landes erwarten blindes Vertrauen der Bürger, um sie durch die Krise zu lotsen. Nun, dieses Vertrauen, das muss man sich verdienen.
Dürftige belgische Bilanz
Apropos: Auch Le Soir ist wütend angesichts dieses neuen Kapitels in der schier unendlichen Maskensaga. "Schlimmer geht kaum noch", schimpft die Brüsseler Zeitung. Wenn man den Staat und seine Glaubwürdigkeit diskreditieren wollte, man könnte es nicht besser machen. Erstmal hat es eine halbe Ewigkeit gedauert, bis die längst versprochenen Masken endlich bei den Bürgern angekommen sind; dann hat man eben diese Bürger regelrecht bekniet, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Und jetzt muss das Gesundheitsministerium an die Menschen appellieren, die Masken, die der Staat ihnen zur Verfügung gestellt hat, bloß nicht zu tragen. Für das Image des belgischen Staates, aber auch für das Vertrauen der Bürger in eben diesen Staat, ist das ein regelrechter Sargnagel.
In ein paar Wochen, im März, jährt sich zum ersten Mal der Beginn des Lockdowns. Die schwarz-gelb-rote Bilanz fällt nach diesen zwölf Monaten aber doch ziemlich dürftig aus, urteilt La Dernière Heure. Natürlich wurden wir alle durch die Krise auf dem falschen Fuß erwischt, natürlich ist man im Nachhinein immer schlauer, aber die belgischen Behörden haben bei der Bekämpfung der Pandemie alles andere als geglänzt. Die neue Episode in der Maskensaga ist da ein trauriger Tiefpunkt. Noch schlimmer ist aber die schleppend vorankommende Impfkampagne. Die Regierungen des Landes wussten schon vor Monaten, dass sie dieses Rendezvous nicht verpassen, dass sie diese Geschichte nicht verbocken durften. Und doch jagt im Moment eine Kinderkrankheit die nächste. Wie soll eine Regierung nach einem solchen Jahr voller Pleiten, Pech und Pannen noch die Regeln durchsetzen können?
Im Sündenbock geirrt…
Aber, statt die Fehler bei sich selbst zu suchen, zeigt man in Europa lieber mit dem Finger auf die Pharmakonzerne, hakt das GrenzEcho ein. Oder, man schiebt der EU den Schwarzen Peter zu, obwohl das Versagen in erster Linie bei den Mitgliedstaaten selbst liegt.
La Libre Belgique sieht das ähnlich: Im Moment gehört es zum guten Ton, die Pharmakonzerne für die schleppende Impfkampagne verantwortlich zu machen. Ob man sich da mal nicht im Sündenbock geirrt hat. Denn: Wir schaffen es derzeit doch nicht einmal, die zur Verfügung stehenden Chargen zu verimpfen. Die Pannen und die dazu passenden Entschuldigungen sind immer die gleichen. Und unsere neun Gesundheitsminister tun sich sehr schwer damit, die schlimmen Fehlentwicklungen einzuräumen. Statt mit dem Finger auf die Pharmakonzerne zu zeigen, statt sich mit der nächsten Staatsreform zu beschäftigen, hätte die Politik mal lieber in Sachen Impfen ihre Hausaufgaben gemacht. Alle Beteiligten hatten Zeit genug, um die Impfkampagne vernünftig vorzubereiten. Und die Gnadenfrist läuft bald ab. Wenn die Impfstoff-Lieferungen einmal Fahrt aufnehmen, dann gibt es keine Entschuldigung mehr...
Roger Pint