"Großbritannien beginnt mit Corona-Impfungen", titelt das GrenzEcho. "Ziel Nummer eins: die Skeptiker überzeugen", so der Aufmacher bei La Dernière Heure. Und La Libre Belgique kündigt auf Seite eins an: "Typologie, Effizienz, Nebenwirkungen… die fünf von Belgien bestellten Impfstoffe unter der Lupe".
Der 8. Dezember wird in die Geschichtsbücher eingehen als "V-Day", ist Het Nieuwsblad überzeugt. "V" wie bei Vakzin, Impfstoff. Wobei D-Day in Anlehnung an den Zweiten Weltkrieg wohl realistischer wäre, weil das nur der Anfang einer noch langen und harten Offensive sein wird.
Seit den ersten Jubelmeldungen über die Impfstoffe scheint die Corona-Müdigkeit nur noch weiter zugenommen zu haben. Besonders bei den prioritären Hauptzielgruppen für die Impfstoffe. Gerade Über-65-Jährige buchen massenhaft den nächsten Sommerurlaub. Und die Maskendisziplin im Straßenbild scheint auch gerade bei dieser Gruppe abzunehmen.
Fehlgeleitete Euphorie ist genauso gefährlich wie blinde Panik, denn die Corona-Zahlen sind einfach nicht gut. Die Nachrichten von der Impf-Front scheinen den laxen Umgang mit den Regeln noch zu fördern. Und wenn die Impfkampagne auch hierzulande beginnen wird, kann das weiter einreißen.
Es besteht die Gefahr, dass die geimpften Menschen sich dann sicher fühlen und auch reisen oder Feste feiern werden, wenn das verboten oder nicht angeraten ist. Quasi als Privileg ihres fortgeschrittenen Lebensalters. Und wenn das passiert, wird die junge Generation, die wie immer in dieser Krise zuletzt an die Reihe kommen wird und große Opfer für die Gesundheit der Älteren bringt, nicht lange mitspielen. Solidarität wird in den nächsten Monaten also ein Knackpunkt werden.
Weder Unruhe noch Ungeduld
Bald werden auch wir an der Reihe sein, kommentiert La Dernière Heure. Und je näher der Beginn der belgischen Impfkampagne rückt, desto häufiger hört man die halb neugierige, halb ängstliche Frage: "Wirst du dich denn impfen lassen?"
Auch wenn die Entwicklung der verschiedenen Impfstoffe als beste Waffe begrüßt wird, um die Epidemie endlich loszuwerden, handelt es sich um ein neues Produkt, das bislang nur unter Laborbedingungen getestet worden ist. Niemand kann ausschließen, dass es Wochen, Monate oder Jahre später zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen könnte. Das ist den meisten von uns bewusst.
Deswegen sind viele wahrscheinlich erleichtert, dass sie selbst nicht zu den prioritären Risikogruppen gehören. Also werden wir uns brav in der Warteschlange anstellen und dabei beobachten, wie es denen geht, die vor uns drankommen. Nicht mit übertriebener Unruhe, aber auch nicht mit übertriebener Ungeduld.
La Libre Belgique befasst sich ebenfalls mit der Skepsis insbesondere in den Risikogruppen. Die Quarantänen und Lockdowns dienen dazu, sie zu beschützen. Jetzt ist es aber essentiell, sie davon zu überzeugen, sich auch impfen zu lassen. Dazu bedarf es größter Transparenz bei allen: von den Pharmakonzernen über die Ärzte zu den Behörden. Auch eine großangelegte und gute Informationskampagne ist nötig.
Doch logistisch ist das Impfen eine Riesenherausforderung. Gerade für unseren dysfunktionalen Föderalstaat. Das kann nur durch echte Führung, kontinuierliche Koordination und Absprachen gelingen. Jegliche Verzögerung bedeutet längere Einschränkungen unserer Freiheit. Deswegen werden die Menschen keinerlei Aufschübe, Inkompetenz oder institutionelle Blockaden verzeihen. Schon gar nicht, falls es in den Nachbarländern mit den Impfungen besser laufen sollte.
Religionsfreiheit vs. Schutz der Gesellschaft
De Standaard greift die Entscheidung des Staatsrats auf, das Komplettverbot von Gottesdiensten zum Schutz vor Corona zu kippen. Untersuchungen haben gezeigt, dass religiöse Zusammenkünfte oft ein viel größeres Infektionsrisiko mit sich bringen als etwa Einkaufen.
Aber bei Gottesdiensten geht es eben nicht nur um Risikoeinschätzungen. Es geht um Religionsfreiheit, durch die Verfassung garantierte elementare Grundrechte. Damit darf man nicht leichtfertig umgehen.
Die Abwägung ist aber äußerst schwierig, weil die Gläubigen ja nicht nur sich selbst einem Risiko aussetzen. Wer sich ansteckt, kann das Virus an seine Angehörigen, Freunde und Kollegen weitergeben. Neben den Gläubigen, die ihre Grundrechte verletzt sehen, muss also auch der Schutz der Gesellschaft berücksichtigt werden.
Die Entscheidung, Gottesdienste zu erlauben, kommt zu einem sensiblen Zeitpunkt, wird sie doch als Rechtfertigung für Weihnachtsgottesdienste angeführt werden. Aber volle Kirchen zu Weihnachten schaffen unerwünschte epidemiologische Situationen. Man kann nur hoffen, dass der gesunde Menschenverstand hier den Sieg davontragen wird.
Für Kontaktberufe steht einiges auf dem Spiel
Vertreter der Kontaktberufe haben gestern bei einem Treffen unter anderem mit Premier De Croo die Versicherung erhalten, dass sie zu den ersten gehören werden, die wieder öffnen dürfen, sobald weitere Lockerungen möglich sind. Allerdings ist diese Zusage an die Ergebnisse einer von den Behörden jetzt in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Studie über die Corona-Ansteckungsrisiken bei diesen Tätigkeiten geknüpft, erinnert L'Avenir.
Auch wenn das ein Damoklesschwert ist, begrüßen die Betroffenen, dass jetzt Fakten und Untersuchungen zu Rate gezogen werden sollen. Zu oft haben sie sich willkürlich behandelt und bestraft gefühlt.
Aber dieses Vorgehen wirft Fragen auf: Reichen die zehn Tage bis zum nächsten Konzertierungsausschuss wirklich für eine aussagekräftige und adäquate Studie? Welche Kriterien sollen überhaupt zugrunde gelegt werden? Die Untersuchung muss ja gleichzeitig präzise, aber auch effizient sein.
Die Betroffenen verdienen eine gründliche und strenge Prüfung, denn es steht einiges auf dem Spiel. Es geht um nichts weniger als die Glaubwürdigkeit und ihre berufliche Zukunft.
Boris Schmidt