"Experten sind besorgt – Corona-Zahlen im Land sinken langsamer", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Warum der Rückgang der Zahlen sich plötzlich verlangsamt", so die Überschrift bei Le Soir. "Die stagnierende Kurve kann den Lockdown verlängern", titelt De Morgen.
Das Aufatmen hat nicht lange gedauert, seufzt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Alle Zahlen deuten darauf hin, dass die sinkende Kurve schnell zu einem Plateau abflacht. Ein sehr hohes Plateau wohlgemerkt. Damit haben sich auch alle Gründe für die Forderungen nach einer weiteren schnellen Lockerung in Luft aufgelöst. Die Gründe sind noch undeutlich beziehungsweise spielen wahrscheinlich verschiedene Faktoren eine Rolle. Die Zunahme der Ansteckungen bei den Unter-20-Jährigen weist auf die Schulen. Die unangebrachte Euphorie über die Impfstoffe hat möglicherweise auch zu einem laxeren Umgang mit den Regeln geführt. Und wir Belgier suchen sowieso immer und überall nach Hintertürchen. Was man aber festhalten kann, ist wohl, dass wir uns wieder zu viel bewegen und es zu oft zu Menschenansammlungen kommt.
Ende nächster Woche werden wir dann sehen, welche Auswirkungen die Wiederöffnung der Geschäfte und die Warteschlangen haben werden. Dank unserer Anstrengungen waren wir nicht mehr der schlechteste Corona-Schüler Europas. Und dann re-importieren wir mit unseren Shoppingtrips in die Niederlande und den Restaurantbesuchen in Luxemburg das Virus. Was im März und nach den Sommerferien passiert ist, darf jetzt nicht ein drittes Mal geschehen. Deswegen werden ab dem 18. Dezember auch Reisen während der Weihnachtsferien durch Pflichtquarantänen und erstmals auch Kontrollen so unattraktiv wie möglich gemacht. Und auch wenn es nach zehn Monaten Epidemie wie ein ausgelutschtes Klischee klingt: Bleiben wir zu Hause und zeigen wir Bürgersinn! Wir können noch so lange Perspektive und Führung von den Virologen und Politikern verlangen – letztlich sind wir es vor allem selbst, die die Perspektive und eine Verbesserung der Situation in der Hand haben.
"Unanständig"
Het Belang van Limburg kommentiert, dass wieder mehr Ansteckungen bei den über 80-Jährigen registriert werden. Und die größte Zunahme ist bei den Kindern und Jugendlichen zu beobachten. Nicht ohne Grund wird gerade mit Blick auf die Festtage vor Kontakten zwischen den Kindern und Großeltern gewarnt.
Allen Warnungen und Ermahnungen zum Trotz gibt es außerdem noch immer Menschen, die diese schamlos ignorieren. Stichwort Lockdownfeste und andere Partys. Und wenn die Bevölkerung sieht, wie manche die Regeln mit Füßen treten können, schmilzt die Motivation, sich selbst an die Vorgaben zu halten, wie Schnee in der Sonne. Diese Menschen und ihr Verhalten kann man nur eines nennen: unanständig. Dank ihnen könnten schlimmstenfalls die Zahlen wieder steigen und weitere Verschärfungen drohen. Und ausbaden müssen das dann die Millionen anderen.
Es braucht eine echte Einbindung
Für Wirbel hat gestern die Forderung des Föderalprokurators Frédéric Van Leeuw gesorgt, Assisenhöfe abzuschaffen, also Jurys aus Geschworenen. Dieser Vorstoß anlässlich des Beginns der juristischen Aufarbeitung der Terroranschläge vom 22. März 2016 in Brüssel wird auch von fünf Generalanwälten unterstützt. Einer der angeführten Gründe ist, dass es für ausgeloste Bürger schwierig ist, die technischen Aspekte komplizierter Prozesse zu verstehen.
Damit soll der Bürger zurück an "seinen" Platz verwiesen und den Profis die Arbeit überlassen werden, kommentiert Le Soir. Und das zu einer Zeit, in der alle Parteien ihre Programme geradezu mit dem Wort "Bürgerbeteiligung" spicken. Ausgerechnet jetzt also will man die einzige in der Verfassung vorgesehene Einbindung zufälliger Bürger in die Ausübung der Macht loswerden.
Aber ganz allgemein gilt, nicht nur für die Justiz, sondern auch für die Politik: Eine Beteiligung der Bürger kann nur dann gelingen, wenn man sie wirklich einbindet, wenn man auch daran glaubt und wenn man die Prozeduren so einfach hält, dass sie jeder verstehen kann. Ansonsten ist das Ganze nichts anderes als eine hübsche, aber letztlich sinnfreie Dekoration der Demokratie.
Nicht alle wollen die Jurys loswerden
Bürgerjurys sind ein Kind der Französischen Revolution, erinnert De Morgen. Mit ihnen sollten die willkürliche Macht und Rechtsprechung der Eliten gebrochen werden. Die Prozesse dauern zwar lang, aber alles spielt sich in der Öffentlichkeit und mit großer Transparenz ab. Allerdings kann diese Rechtsprechung aus Bauchgefühlen heraus auch ihre Tücken haben. Das Assisen-System bedarf einer dringenden Reform, das ist offensichtlich, auch wegen der langen Dauer der Prozesse. Wie wäre es denn mit der Einführung von zwei verschiedenen Arten Jurys? Gibt der Beschuldigte seine Tat zu, begründet diese aber mit Umständen, die in der Gesetzgebung nicht berücksichtigt sind, dann könnte eine Jury aus ausgelosten Bürgern zum Zug kommen. Streitet der Beschuldigte hingegen alles ab, könnte eine Jury aus Experten mit für die Beweisführung relevanter Spezialisierung die Lösung sein.
La Dernière Heure hofft vor allem, dass für die Assisenhöfe über die Terroranschläge genügend Ersatz-Magistrate und Geschworene vorgesehen werden. Ansonsten ist bei so einem Monsterprozess, der viele Monate dauern wird, zu befürchten, dass es zu großen Problemen kommen wird. Die Frage, ob Geschworenenprozesse an sich noch zeitgemäß sind, ist berechtigt. Handelt es sich doch um etwas Ererbtes aus einer Zeit, als die verhandelten Fälle einfacher und die Prozeduren weniger kompliziert waren. Allerdings ist das eine Debatte, die noch längst nicht erledigt ist. Denn auch wenn der Vorstoß zweifelsohne die Zustimmung vieler Magistrate und Politiker findet – die Anwälte der Beschuldigten sehen das ganz anders.
Boris Schmidt