"Die Zweite Welle überspült ganz Europa", titelt Het Laatste Nieuws. "In Neapel bekommen Patienten Sauerstoff in ihrem Auto", schreibt De Morgen auf Seite eins. "Sauerstoff auf dem Parkplatz", so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg.
Drastische Bilder auf einigen Titelseiten. In einigen Orten in Süditalien ist es in der Tat so, dass Patienten in ihrem Auto liegen müssen und dort auch beatmet werden. Im örtlichen Krankenhaus ist kein Platz mehr. "Italien droht ein neues Corona-Trauma", schreibt De Morgen.
In Süditalien spielen sich dramatische Szenen ab, notiert erschrocken Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. In der ersten Welle war der Fuß des Stiefels noch vergleichsweise verschont geblieben, jetzt ist die Lage dort außer Kontrolle. Die Zweite Welle hat im Übrigen ganz Europa inzwischen fest im Griff. Überall werden neue Lockdowns verhängt. Von Lockerungen ist nirgendwo die Rede. Nach der Ersten Welle haben wir uns noch weisgemacht, dass das Schlimmste hinter uns liegt. Nun wissen wir, dass das Schlimmste durchaus zurückkommt, wenn wir zu viel wollen und die Behörden die Zügel schleifen lassen. Natürlich haben wir es alle schwer; zumal wir wissen, dass wir unser Leben so schnell nicht zurückbekommen werden. Bleibt uns nur, das Beste aus dem Lockdown zu machen. Mit ein bisschen Kreativität ist da mehr möglich, als wir vielleicht glauben.
"Großer Test für die Corona-Wende"
An der heimischen Corona-Front richten sich die Blicke auf den Konzertierungsausschuss. Die Regierungen des Landes werden erneut über die Lage beraten. Mit Lockerungen ist nicht zu rechnen. Dies, zumal sich die Situation ohnehin bald spürbar verändern wird. "Ab Montag großer Test für die Corona-Wende", schreibt das GrenzEcho. Denn am Montag öffnen die Schulen wieder; zumindest teilweise. "Das wird aber von Schule zu Schule etwas anders ablaufen", notiert La Libre Belgique.
"Die Corona-Krise verstärkt schulische Ungleichheiten", so die Aufmachergeschichte von Le Soir. Schüler, die schon Probleme hatten, bei denen ist es noch schlimmer geworden. Inzwischen haben einige Schüler anscheinend bis zu sechs Monate Rückstand auf ihre Klassenkameraden. Egal, wie wir es anstellen, es hat immer seinen Preis, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Diese Krise wird nicht spurlos an uns vorübergehen. Das gilt eben erst mal für das Unterrichtswesen: Für viele Schüler, insbesondere im Hochschulwesen gibt es fast keinen Präsenzunterricht mehr; in den unteren Jahrgängen wird das Leben von Quarantänen und Lockdowns getaktet. Das Resultat sind zum Teil dramatische Lernrückstände. Und die sind umso schlimmer bei Schülern aus sozial-schwachen Familien. Das kann nicht ohne Folgen bleiben. Die Jugendlichen leiden ohnehin ungemein unter den Einschränkungen und auch in der Arbeitswelt tun sich Risse auf. In dieser Krise werden wir alle Narben davontragen.
Das Dilemma der Impfstrategie
Immerhin gibt es ja eine Perspektive: die Aussicht auf mindestens einen wirksamen Impfstoff. Jetzt müssen aber dringend sehr konkrete Fragen geklärt werden. Wer wird prioritär geimpft? Wie wird das logistisch vonstatten gehen? Und vor allem: Wie überzeugt man möglichst viele Menschen davon, sich impfen zu lassen? Die Wahrscheinlichkeit ist klein, dass man eine Impfpflicht verhängen wird, glaubt Het Belang van Limburg. So etwas ist heutzutage schwierig durchzusetzen. Zumal eine Studie ergeben hat, dass ein Drittel der Belgier noch unentschlossen ist; 17 Prozent wollen sich mit Sicherheit nicht impfen lassen. Viele haben Angst vor Nebenwirkungen. Die vielen haarsträubenden Indianergeschichten, die im Internet kursieren, tun den Rest dazu. Die größte Herausforderung für unsere Regierungen ist es wohl, die Menschen überzeugend zu sensibilisieren. Worauf warten die Behörden noch?
"Diesmal muss die Politik liefern", meint auch das GrenzEcho. Man kann nur hoffen, dass die Politik auf den verschiedenen Machtebenen diese erneute Chance, sich als Krisenmanager zu behaupten, nicht wieder in den Sand setzt. Jetzt gilt es, sich schnell und mit geeinten Kräften an die Entwicklung und Umsetzung einer Impfstrategie zu machen. Da kann es keine Entschuldigung geben.
Die neun Gesundheitsminister des Landes werden da auch ethische Fragen beantworten müssen, warnt De Morgen. Etwa, wenn es darum geht, festzulegen, wer als erster an die Reihe kommt. Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Entweder, man beginnt mit den älteren Mitmenschen, die ja besonders gefährdet sind. Oder, man gibt den jungen Menschen Priorität, weil sie das Virus am stärksten verbreiten. Das ist ein gesellschaftliches Dilemma: Entweder, man will möglichst viele Todesopfer vermeiden. Oder, man will so schnell wie möglich die Epidemie eindämmen. Das ist eine heikle Entscheidung.
Viel Druck vom Kessel genommen
"Einen dritten Lockdown überleben wir nicht", das sagt Hans Maertens, der Geschäftsführer des flämischen Arbeitgeberverbandes Voka, auf Seite eins von Het Nieuwsblad. Und Maertens ist sich bewusst, was das bedeutet: "Wir können die geltenden Einschränkungen erst dann lockern, wenn wir das Virus unter Kontrolle haben." Mit anderen Worten sagt Maertens: Der Lockdown muss so lange dauern, wie er dauern muss. Und das ist bemerkenswert, meint Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Beim letzten Mal haben die Arbeitgeber sehr früh sehr viel Druck aufgebaut, weil sie schnellstmöglich Lockerungen durchsetzen wollten. Inzwischen scheinen auch sie eingesehen zu haben, dass zu schnelle Lockerungen die Sache unterm Strich nur noch schlimmer machen. Wenn der stärkste Lobbyverband des Landes einsieht, dass man erst lockern kann, wenn ein sicherer Hafen erreicht ist, dann nimmt das doch sehr viel Druck vom Kessel, insbesondere für den Konzertierungsausschuss.
Ein ganz besonderes Weihnachten
"Die Behörden denken über Weihnachtsszenarios nach", titelt schließlich Het Nieuwsblad. Die Frage ist, wie wir wohl Weihnachten feiern werden. "Suchen Sie sich einen Feiertag aus!", zitiert Het Laatste Nieuws den Virologen Steven Van Gucht: Entweder Weihnachten oder Neujahr. Beides in Gesellschaft zu feiern, das wird nicht gehen. Da kann man nur "Stille Nacht" sagen, meint Het Laatste Nieuws in seinem Kommentar. In den Krankenhäusern hingegen sind die Nächte leider im Moment alles andere als still. Umso befremdlicher, um nicht zu sagen schockierender ist es, wenn der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez verspricht, Weihnachten "retten" zu wollen. Die Krankenhäuser würden unter einer "Weihnachtswelle" wohl endgültig zusammenbrechen. Natürlich sind wir es alle leid. Umso mehr sollten es Politiker vermeiden, derlei Erwartungen in den Raum zu stellen.
Roger Pint