"AVANTI", titelt L'Echo in Großbuchstaben auf blau-rot-grün-orangem Grund. "Vivaldi in den Startlöchern: 'Es gibt Vertrauen'", schreibt De Morgen auf Seite eins. "Zahlreiche Hindernisse bleiben, bevor eine Regierung gebildet werden kann", so die Überschrift bei La Libre Belgique.
Endlich zeichnen sich echte Verhandlungen über eine Föderalregierung ab, hält L'Avenir fest. Nachdem die CD&V am Mittwochabend akzeptiert hat, sich ohne die N-VA an den Tisch zu setzen, steht die Tür jetzt offen.
Die acht Parteien der liberalen, sozialistischen, grünen und christdemokratischen Familien haben sich am Donnerstag getroffen. Am Freitagvormittag werden die Diskussionen weitergeführt, bevor Egbert Lachaert König Philippe erneut Bericht erstattet. Es gibt zwar verschiedene Streitpunkte, wie die Reform des Abtreibungsgesetzes und den Atomausstieg, aber dem Vernehmen nach ist das Klima konstruktiv.
Immerhin haben alle Protagonisten in den vergangenen 15 Monaten schon miteinander gesprochen. Damit kennen sie die gegenseitigen Positionen. Die Zeit war also vielleicht nicht ganz verschwendet. Trotz der Differenzen hat die Politik gerade ein Zeitfenster, das sie nicht verpassen sollte, wünscht sich L'Avenir.
Vorsicht vor gesalzenen Rechnungen
Auch für L'Echo scheint der Vivaldi-Zug auf den Schienen zu sein. Bis er allerdings an seinem Ziel ankommt, müssen noch diverse Hindernisse weggeräumt werden. Es ist die Stunde der Verhandlungen – und der Forderungen.
Jede Partei will der Koalition ihren Stempel aufdrücken. Das ist normal. Die Gefahr ist allerdings, dass, wenn man alle Wünsche berücksichtigt, eine ziemlich gesalzene Rechnung herauskommen wird. Angesichts der delikaten Haushaltslage muss das Motto lauten: Richtig statt viel ausgeben. Im Mittelpunkt müssen das Gesundheitswesen, der Erhalt von Arbeitsplätzen und auch der notwendige ökologische Wandel unserer Wirtschaft stehen, fordert L'Echo.
Het Nieuwsblad ist ebenfalls vorsichtig optimistisch: Wenn jetzt auf der Zielgeraden kein Unglück mehr passiert, bekommt König Philippe am Freitag gute Nachrichten. Die für unmöglich gehaltene lila-grün-orange Konstruktion scheint tatsächlich an den Start zu gehen.
Die Parteien wollen sich vor allem für die sozio-ökonomische Heilung einsetzen, die unser Land so nötig braucht. Diese Priorität hat auch die CD&V endlich begriffen. Abgesehen davon ist die CD&V immer eine Regierungspartei gewesen, in der Opposition würde sie von der N-VA und vom Vlaams Belang zerquetscht werden.
Das weiß die Partei. Ihre Kehrtwende hat deshalb auch weniger mit Inhalten als mit reinem Selbsterhalt zu tun. Nachdem klar wurde, dass Vivaldi auch ohne die Orangen vorwärts gehen würde, hat die CD&V dann doch lieber den Spatz in der Hand genommen, analysiert Het Nieuwsblad.
Hauptsache rapido
Man muss sich fast schon kneifen, um es zu glauben: Die CD&V sitzt endlich mit am Verhandlungstisch – ohne die N-VA, frotzelt La Libre Belgique. Dazu hat es nur anderthalb Jahre und eine globale Gesundheits- und Wirtschaftskrise gebraucht. Jetzt ist die CD&V also da, wo die anderen Parteien schon vorher waren. Sie ist jetzt bereit, einer Koalition beizutreten, die in Flandern keine Mehrheit hat. Eine Bedingung, die nirgends in der Verfassung zu finden ist.
Und die CD&V hatte keine Probleme damit, mit in einer Regierung zu sitzen, die keine Mehrheit auf frankophoner Seite hatte, nämlich der von Charles Michel. Aber gut, das war eben ein Trick der CD&V, um die N-VA mit im Boot zu behalten. Die Trennung dieser siamesischen Zwillinge hat jetzt begonnen.
Das heißt aber nicht, dass das Spiel gewonnen ist. Die CD&V hat verschiedene Forderungen auf den Tisch gelegt. Aber das ist normal, die anderen Parteien machen das auch. Und es ist sicher nicht Enthusiasmus, der die CD&V antreibt, sondern die pure Notwendigkeit. Allerdings fordert sie jetzt sogar den Posten des Premierministers. Ein wenig mehr Bescheidenheit wäre vielleicht nicht fehl am Platze.
Priorität muss die Definition eines Regierungsprogramms haben, nicht die Verteilung der Posten. Es muss um Wirtschaft, Gesellschaft, Gesundheit, Umwelt und Sicherheit gehen. Jetzt heißt es Daumen drücken, dass Belgien schnell eine echte Regierung bekommt. Und ob man diese Koalition jetzt Vivaldi, Avanti, Quattro Stagioni, Funghi, Napoli oder Margherita nennt, da pfeifen wir drauf. Hauptsache rapido, schnell!, fordert La Libre Belgique.
Besser eine Koalition der Verlierer als gar keine Regierung
Die angepeilte Regierung ist quasi ein Sammelsurium beinahe aller Wahlverlierer, kommentiert Het Laatste Nieuws. Aber seien wir ehrlich: Belgien braucht dringend eine Regierung, um den größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte die Stirn bieten zu können: Nämlich, die Coronakrise sowohl medizinisch als auch wirtschaftlich beherrschbar zu machen.
Die anderen Parteien haben anderthalb Jahre lang keine Regierung hinbekommen. Wenn alle Flugzeugmotoren ausfallen, muss man zumindest froh sein, wenn irgendjemand aufsteht, um das Steuer zu übernehmen. Jetzt müssen wir nur hoffen, dass sie sich nicht ablenken lassen. Und das einzig Wichtige im Blick behalten: Uns sicher zu landen. Sonst ist ein Crash unvermeidlich, warnt Het Laatste Nieuws.
Boris Schmidt