"König Philippe steht vor einer schwierigen Wahl", schreibt De Morgen auf Seite eins. "Die Verbitterung von Bart De Wever und Paul Magnette", titelt L'Echo über einem Foto der beiden. "Es ist fünf vor zwölf", so der Aufmacher bei Le Soir.
450 Tage seit der Wahl, konstatiert Le Soir. 609 Tage ohne "echte" Regierung. 18 königliche oder selbsternannte Beauftragte in knapp 15 Monaten. Sechs Koalitionsversuche, die meisten davon mit Varianten. Und noch immer haben die wirklichen Verhandlungen zur Bildung einer Koalition mit einer stabilen Mehrheit nicht begonnen. Politisches Kalkül, Parteistrategien und Zusammenstöße von Egos beherrschen weiterhin die Szene. Bei der Bevölkerung macht sich Gleichgültigkeit breit. Die Wut steigt. Genauso wie die Politikverdrossenheit. Das geht soweit, dass die meisten Volksvertreter das Volk gar nicht mehr befragen wollen, weil sie immer mehr Angst haben, abgestraft zu werden. Wie lange noch, bis es zu spät ist? Die Uhr tickt. Es ist fünf vor zwölf, warnt Le Soir.
Immer noch kein Gefühl der Dringlichkeit
Außenstehende können die Sackgasse, in der sich die Regierungsbildung jetzt befindet, nur mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit, Überdruss und Entnervung beobachten, kommentiert L'Echo. Die Situation ist blockiert. Wieder einmal. Vier große Optionen zeichnen sich ab: ein unwahrscheinlicher Neustart der "Blase" PS-N-VA, ein neuer "Vivaldi"-Versuch ohne die N-VA, ein Versuch, die Regierung Wilmès zu verstärken oder hochriskante vorgezogene Neuwahlen. In der Rue de la Loi fehlt eine Vision, die Fähigkeit, über Parteiinteressen hinauszublicken – und der Wille, ein solides und ehrgeiziges Projekt für das Land zu konstruieren. Was auch fehlt, ist ein Gefühl der Dringlichkeit. Es bleibt ein Monat, bis das Mandat der geschäftsführenden Regierung ausläuft. Es ist die letzte Chance, um sich zusammenzureißen, erinnert L'Echo.
Es wäre zu einfach, den ganzen Schlamassel als belgischen Witz abzutun, meint Het Nieuwsblad. Es wäre auch zu einfach, sich damit zu rechtfertigen, dass das Land einfach strukturell unregierbar ist. Die Bürger haben letztes Jahr Menschen gewählt, um von ihnen regiert zu werden. Nur versäumen die, das auch zu tun. Die Belgier verdienen echt etwas Besseres, wettert Het Nieuwsblad.
Endlich zu Potte kommen
La Libre Belgique gibt Bart De Wever zumindest in einem Punkt recht: Das Karussell der Regierungsverhandlungen muss anhalten. Und zwar so schnell wie möglich. Also jetzt. Trotz aller Differenzen und vergifteten Beziehungen muss auf der Baustelle wieder mit der Arbeit begonnen werden. Man muss einen Kompromiss erzwingen. Wir brauchen auch keine graue Eminenz oder eine Technokraten-Regierung. Welchen Nutzen hätten Politiker, die in Verachtung des Wählerwillens "Experten" die Zügel überlassen? Das würde die Demokratie entwürdigen. Wir brauchen auch keine geschäftsführende Regierung. Um die Krise und vor allem was danach kommt zu managen, brauchen wir einen viel größeren Rahmen. Es ist schon viel geschafft worden, hört man regelmäßig aus der Politik. Das mag stimmen. Über ein Jahr nach den Wahlen wäre alles andere auch lächerlich. Jetzt muss man aber auch endlich zu Potte kommen, fordert La Libre Belgique.
De Morgen versucht zu analysieren, wo Fehler gemacht worden sind. Bart De Wever und Paul Magnette haben zwei Punkte falsch eingeschätzt. Die Strategie, OpenVLD und MR gegeneinander auszuspielen, hat die liberale Familie nur noch enger zusammengeschweißt. Besonders die gnadenlosen Angriffe von De Wever auf die Liberalen führten dazu, dass beim auserwählten Wunschpartner die Stimmung auf den Gefrierpunkt sank. Zweitens war es naiv von den Vorregierungsbildnern, zu glauben, dass man die Liberalen durch Gespräche mit den Grünen nervös machen könnte. Bei MR und OpenVLD wusste man genau, dass die N-VA nie mit Ecolo gemeinsame Sache machen würde und umgekehrt. Zwei Wochen sind mit dieser unnötigen Farce verschwendet worden, ärgert sich De Morgen.
Koalitionsversuch der allerletzten Chance
Alle sind sich einig, dass es vorwärts gehen muss, dass die Politiker über ihre ideologischen Differenzen und Parteiinteressen hinauswachsen müssen, hält Het Belang van Limburg fest. Allerdings wird sich keine einzige Partei an einen Verhandlungstisch setzen, auf dem kaum etwas von ihrem eigenen Programm liegt. Hier müssen PS und N-VA ansetzen – beziehungsweise hätten ansetzen müssen. Notfalls muss man eben eine Regierung zu siebt statt zu sechst bilden. Man muss Lösungen suchen, weitermachen, anstatt beim ersten Fehlschlag aufzugeben. Eines ist sicher: Es ist der Koalitionsversuch der allerletzten Chance. Ansonsten bleiben nur noch Neuwahlen. Und glauben Sie uns: Deren Ergebnisse werden das Ganze nicht einfacher machen, als es jetzt ist, mahnt Het Belang van Limburg.
Belgien braucht – die Corona-Krise hat die Defizite brutal deutlich werden lassen – eine funktionierende Struktur, betont das GrenzEcho. Eine Struktur, in der das Ergebnis mehr zählt als die Freude darüber, dass man überhaupt eines verhandeln hat können. Es ist wie im Fußball. Am Ende zählt das Ergebnis. König Philippe kann man nur wünschen, dass er die richtige Mannschaft aufs Feld schickt, hofft das GrenzEcho.
Boris Schmidt