"Bewegen wir uns auf eine zweite Welle zu?", so die bange Frage auf Seite eins von De Tijd. "Zweite Corona-Welle beginnt, sich lokal auszubreiten", stellt dagegen schon Het Belang van Limburg fest. "Covid - Flandern ist beunruhigt", titelt Le Soir.
Die Zunahme der Corona-Neuinfektionen in weiten Teilen Belgiens, aber besonders stark in Flandern, beunruhigt Gesundheitsexperten und Behörden. Auch wenn Uneinigkeit herrscht, ob es sich hierbei tatsächlich um die gefürchtete "zweite Welle" handelt.
"Der Rhythmus der Rückkehr zu einem normaleren Leben ist empfindlich gestört", stellt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel fest. Das Urlaubsgefühl hat einen Knacks bekommen. Und gleichzeitig sind wir dabei, das Krisen-Management während der ersten Welle zu evaluieren. Ein Hauptkritikpunkt: Die Politiker waren zu Beginn der Epidemie zu zögerlich, durch entschiedeneres und schnelleres Handeln hätten sie Leben retten können. Diese Kritik haben sie sich zu Herzen genommen, schon für Sonntag hat die Premierministerin den Konzertierungsausschuss einberufen. Aber die Lektion sollte nicht nur für die Politik gelten, sondern für uns alle. Die gesamte Bevölkerung muss schnell und beherzt reagieren. Das gilt vor allem für die, die die Partys nicht sein lassen können. Und für die, die eine Quarantäne nach dem Urlaub in einem Risikogebiet überzogen finden. Nur so kann man die zweite Welle verhindern, warnt Het Nieuwsblad.
Wie wäre es mit einer nuancierten Herangehensweise?
Die steigenden Corona-Zahlen haben wieder eine Welle ebenso unangebrachter wie energischer Aussagen und eine Konfrontation zwischen extremen Standpunkten bewirkt, analysiert Le Soir. Zwischen den Experten, die sich immer äußern und eine zweite Welle sehen, und einem Teil der Bevölkerung, für den die Vorsichtsmaßnahmen zu schwer, zu einschneidend, zu schädlich für die Wirtschaft sind, klafft ein tiefer Graben. Ist es denn wirklich so schwer zu verstehen, dass die aktuellen Zahlen beunruhigend, aber nicht katastrophal sind? Dass man akzeptiert, dass die Menschen die Regeln weniger strikt einhalten und man das kontrollieren muss? Dass Prävention unsere beste Waffe bleibt, solange es weder Impfstoff noch Medikamente gibt? Wie wäre es denn zur Abwechslung mal mit einer nuancierten, differenzierten Herangehensweise? Mit Experten, die sich nicht von den Medien zu überzogenen Statements verleiten lassen, Politikern, die alles tun, um das Land auf eine zweite Welle vorzubereiten, und Bürgern, die sich verantwortungsvoll benehmen?, fragt Le Soir.
Auch L'Avenir ruft zur Besonnenheit auf: Die meisten Experten sind sich einig, dass das noch nicht die zweite Welle ist. Was nicht heißt, dass sie nicht kommen kann. Die Frage ist aber vor allem: Warum steigen die Zahlen in Belgien jetzt wieder? War die Lockerung der Corona-Beschränkungen zu schnell? Handelt es sich um einen Urlaubsrückkehrer-Effekt? Oder ist vielleicht eine neue, aggressivere Variante des Virus schuld? Vielleicht sollte die Lehre einfach sein, dass man nicht alles mit Logik erklären kann und dass eine Evolution, ob jetzt in positiver oder negativer Richtung, eben nicht immer linear verläuft. Und dass man deshalb nie in seiner Wachsamkeit nachlassen darf. Auch wenn das nicht in Ängstlichkeit umschlagen sollte, wünscht sich L'Avenir.
Die Behörden müssen endlich effizient werden
La Libre Belgique sieht in der institutionellen Zersplitterung und Ineffizienz des Landes eine Ursache für die schleppende Umsetzung der Lehren aus der ersten Corona-Welle. Das Contact Tracing ist nach wie vor nicht in der Lage, Infektionsherde zu lokalisieren, und noch viel weniger, eine Ausbreitung zu stoppen. Und damit sind wir wieder da, wo wir schon vor Monaten waren und müssen wieder auf Barrieregesten, Masken, Tests und Tracing zurückgreifen. Und die Frage ist auch, wann die lokalen Verantwortlichen endlich hart gegen die verbotenen, aber nicht besonders diskreten Zusammenkünfte vorgehen. Zum Schutz der besonders Verletzlichen unserer Bevölkerung und all jener, die schon unter den Folgen der Epidemie leiden, müssen die Behörden endlich effizient werden, fordert La Libre Belgique.
Okay, die zweite Welle mag früher gekommen sein als erwartet, konstatiert De Morgen. Aber deswegen ist sie noch lange nicht vom Himmel gefallen. Das zweite Mal sollte doch alles besser laufen. Sollte man meinen. Und doch scheinen die Chancen, die lokalen Ausbrüche zu löschen, bevor sie zu einem Großbrand werden, besonders klein zu sein. Die Kontaktnachverfolgung funktioniert nicht richtig. Und das ist doch seltsam. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Belgien schon vor Corona bewährte und funktionierende Contact-Tracing-Konzepte hatte. Bei der Bekämpfung der Tuberkulose wurden zum Beispiel schon multidisziplinäre, lokale Teams eingesetzt. Trotzdem entschieden sich die Behörden bei der Corona-Krise, auf kommerzielle Callcenter zu setzen, die Fragelisten herunterrattern. Ein System, das offensichtlich nicht funktioniert, kritisiert De Morgen.
Rosskuren sind auf Dauer keine Antwort
Het Laatste Nieuws greift die Forderung des Virologen Marc Van Ranst auf, dass alle wieder zu Hause bleiben sollten. Dass das funktionieren würde, steht fest. Wenn niemand rausgeht, kann sich das Virus auch nicht ausbreiten. Es bliebe trotzdem eine Rosskur - ein radikales Mittel, das wirkt, oft aber strapaziöser, als eigentlich nötig ist. Sowohl die wirtschaftlichen als auch die emotionellen Schäden durch einen zweiten Lockdown wären enorm.
Wenn man verhindert, dass das Virus wieder in die Alten- und Pflegeheime einfällt, wenn die Behörden die bereits bestehenden Regeln streng durchsetzen würden, wenn endlich detaillierte Informationen beim Contact Tracing abgefragt würden, wenn die Urlauberwelle besser reglementiert und kontrolliert würde - dann bräuchte man solche Rosskuren nicht. "Wir werden wahrscheinlich noch lange Zeit mit dem Virus leben müssen. Ohne uns ökonomisch und psychisch zu ruinieren. Da braucht es schon nuanciertere Antworten als "zu Hause bleiben"", stellt Het Laatste Nieuws klar.
Boris Schmidt