"Die Warnung", titelt bedrohlich Le Soir. "Die Alarmglocken schrillen wieder", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Keine Phase 5, dafür Alarmstufe 1", schreibt Gazet van Antwerpen.
Der Nationale Sicherheitsrat hat am Mittwoch entschieden, erstmal nicht zu entscheiden. Die Regierungen des Landes gaben erstmal kein Grünes Licht für Phase 5 der Lockerungen. Grund ist die zuletzt wieder steigende Zahl der Neuansteckungen. Der Nationale Sicherheitsrat wollte sich also noch eine Woche Zeit geben, um die Entwicklung zu beobachten. "Die Lockerungen landen im Kühlschrank", so denn auch die Schlagzeile von Het Belang van Limburg. "Angesichts des Risikos eines Wiederaufflammens lockert der Nationale Sicherheitsrat erstmal gar nichts mehr", schreibt La Libre Belgique.
Stattdessen gab es einen flammenden Appell der Premierministerin an die Bürger: "Sophie Wilmès plädiert für mehr Bürgersinn", notiert Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Vorsicht, um eine zweite Welle zu verhindern", titelt L'Avenir. La Dernière Heure formuliert es salopper: "Aufpassen, dass wir es jetzt nicht vermasseln".
"Nicht bereit für eine mögliche zweite Welle!"
Vielleicht sind das die Vorboten der befürchteten zweiten Krankheitswelle, sorgt sich Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Hoffentlich ist das nicht so! Aber, wenn es so ist, dann haben wir ein Problem. Dieses Land ist nämlich nicht vorbereitet auf eine zweite Welle. Nur ein Beispiel: Im Moment ist es offenbar nicht möglich, die Neuinfektionen geographisch genauer einzugrenzen; Krankheitsherde sind also nur schwer zu ermitteln. Und, wenn man dieses - und andere - Probleme lösen will, dann verheddert man sich schnell in dem Wirrwarr an Zuständigkeiten in diesem komplizierten Staatsgefüge. Ein einheitliches Kommando fehlt immer noch, dabei ist das so wichtig für ein effizientes Krisenmanagement. Die besorgniserregenden Zahlen sollten auch ein Ansporn für die Politik sein, dieses Land besser auf eine zweite Welle vorzubereiten, wann immer sie auch kommen mag...
Kopfschütteln auch bei Gazet van Antwerpen. Wie kann es sein, dass es immer noch nicht möglich ist, Krankheitsherde geographisch einzugrenzen? Nur so kann man doch ein Wiederaufflammen der Epidemie wirkungsvoll eindämmen. Dafür gibt es wohl zwei Gründe. Erstens funktioniert die Kontaktpersonennachverfolgung vielerorts immer noch nicht richtig. Und zweitens: Oft stehen Datenschutzbedenken im Weg. Die Tracer etwa dürfen die Menschen, die sie anrufen, nicht fragen, wo sie leben, oder wo sie sich möglicherweise angesteckt haben. Das im Namen des Schutzes der Privatsphäre. Während die Googles und Facebooks dieser Welt alles über uns wissen. Komische Leute, diese Belgier...
"Schlechte Schüler, oder vielleicht eher schlechte Lehrer?"
La Dernière Heure will sich denn auch den Schuh nicht anziehen lassen. Die Premierministerin hat gestern erneut für mehr Bürgersinn plädiert. Doch müssen wir uns wirklich Vorwürfe gefallen lassen? Ist es die Schuld der Bürger, wenn an einem Tag zwei Mal die Regeln verändert werden? Ist es die Schuld der Bürger, wenn nicht genug Tests zur Verfügung stehen? Es ist ein bisschen einfach, immer nur die Bürger an den Pranger zu stellen. Oder, anders gefragt: Sehen wir hier schlechte Schüler, oder vielleicht doch eher schlechte Lehrer?
Apropos: Die Politik hatte sich ja auch harsche Kritik von den Virologen gefallen lassen müssen. Anscheinend hat das dafür gesorgt, dass zwischen den Politikern und den Gesundheitsexperten das Tischtuch inzwischen zerrissen ist. "Beim Nationale Sicherheitsrat hat es gestaubt", weiß etwa De Morgen. "Da wurden harte Worte gesprochen", berichtet auch Het Laatste Nieuws.
Die Politiker haben offensichtlich die Nase voll von den Damen und Herren Virologen, konstatiert Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Und, ehrlich gesagt, verwunderlich ist das nicht. Vor allem in Flandern sind die Wissenschaftler inzwischen zu Stars geworden. Und manche verhalten sich auch entsprechend. Das sorgt für eine Polarisierung zwischen der Politik und den Wissenschaftlern. Die Medien sind nicht ganz unschuldig daran, sie haben letztlich die Virologen aufs Podest gestellt. Hier muss wieder Ruhe einkehren. Alle sollten zusammen gegen die Epidemie kämpfen, nicht gegeneinander...
Endlich geschlossen für Steuergerechtigkeit!
Zweites großes Thema in den Leitartikeln in das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Fall Apple. Der amerikanische Technologie-Gigant hat seinen Prozess gegen die EU-Kommission gewonnen. Demnach muss der Konzern 13 Milliarden an Steuererleichterungen doch nicht an den irischen Staat zurückzahlen.
Die EU hat eine vielleicht entscheidende Schlacht verloren, glaubt L'Echo. Und ganz überraschend ist das nicht. Die Kommission Juncker hatte versucht, das Wettbewerbsrecht als Hebel zu benutzen, um gegen Steuervermeidung vorzugehen. Das war riskant. Nur hatte man keine andere Wahl, weil ein einheitliches Steuerrecht in der EU am Einstimmigkeitsprinzip scheitern würde. Stattdessen machen sich die Staaten lieber weiter gegenseitig Konkurrenz und überbieten sich mit Steuergeschenken.
Die EU muss sich dringend neue, einheitliche Regeln geben, hakt De Tijd ein. Wir brauchen neue Waffen, denn es geht längst um mehr, nämlich um die Frage, wie -genauer gesagt- wo Internetkonzerne künftig besteuert werden sollen.
Für diesen Rückschlag die EU-Kommission verantwortlich zu machen, das wäre zu kurz gegriffen, meint auch Le Soir. Es sind die Mitgliedstaaten, die ihre bisherige Haltung aufgeben müssen. Gemeinsam müssen sie das Übel anpacken, das all unsere Gesellschaften zerfrisst, eben die Tatsache, dass die großen Konzerne so gut wie keine Steuern zahlen. Die Mittel sind bekannt, jetzt braucht es nur noch den Willen.
...denn hier geht es um die Demokratie!
Und das "jetzt erst recht", findet De Standaard. Die allgemeine Steuerungerechtigkeit war ja schon längst ein Problem. Nur jetzt, in Corona-Zeiten, jetzt wird es zum Knackpunkt. Auf der ganzen Welt sind die Staatsfinanzen im blutroten Bereich. Irgendeiner wird die Rechnung am Ende bezahlen müssen. Es wäre nicht normal, wenn ausgerechnet die Multinationals, die größtenteils noch von der Krise profitiert haben, wenn die sich am Ende nicht beteiligen müssten.
Wir dürfen denselben Fehler nicht zweimal machen, warnt auch De Morgen. Man sollte die Bürger nicht für blöd verkaufen. Die ungerechte Art und Weise, wie die Finanzkrise vor 10 Jahren gemanagt wurde, die ist nicht ohne Folgen geblieben. Konkret: Das hat für eine Radikalisierung an der Wahlurne gesorgt. Deswegen sollten die Staaten EU-Vorschläge über Steuergerechtigkeit beim nächsten Mal nicht wieder weglachen. Für die Politik und die Demokratie ist es von existentieller Bedeutung, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt...
Roger Pint