"Rassismus - Ist Belgien besser als die Vereinigten Staaten?", fragt L'Echo auf seiner Titelseite. "#Black Lives Matter Belgium", so die Überschrift bei De Standaard. Und De Morgen schreibt auf Seite eins: "Koloniale Denkmäler von Wilrijk bis Diksmuide - Und Sie dachten, dass Leopold II. schon schlimm war?".
De Standaard stellt sich in seinem Leitartikel die Frage, warum die Statuen von Leopold II. solange unbehelligt stehen bleiben durften. Im Gegensatz zu den Südstaaten gibt es hierzulande keine lebendige, tiefverwurzelte rassistische Bewegung. Die Antwort lautet, ehrlich gesagt: vor allem aus Desinteresse. Wenn man sich die Statuen genauer anschaut, sind sie eigentlich unerträglich. Für die große Mehrheit der Bevölkerung ging es hier nicht mehr um die Glorifizierung des Königs. Die Geschichte war irrelevant geworden. Deswegen durften ihre Denkmäler auch stehen bleiben. Das war ein Fehler. Es waren die Afrobelgier, die die Wunden der eingefrorenen Geschichte wieder aufgerissen haben. Diese junge Generation von Aktivisten muss gegen die Trägheit der Gesellschaft kämpfen. Vielleicht wird es diesmal sogar einen Durchbruch in Sachen Geschichtsbewältigung geben. Und viele werden dann schnell die Seite umblättern wollen. Aber sobald die Geschichte einmal Fahrt aufgenommen hat, bleibt nichts mehr beim Alten, gibt De Standaard zu bedenken.
Nicht stichflammenartig, sondern täglich und überall
Der Tod eines unschuldigen Mannes in den USA war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat - und die Welt gezwungen hat, sich mit den Fehltritten der Vergangenheit und der Gegenwart auseinanderzusetzen, stellt Het Belang van Limburg fest. Standbilder zu entfernen, bedeutet nicht, dass damit die Schandtaten der Vergangenheit verschwinden.
Und das Verbot beliebter Fernsehserien, weil sie angeblich rassistisch sind, schießt vollständig über das Ziel hinaus. Das kann nämlich nicht zu weniger, sondern zu mehr Unverständnis und Rassismus führen. Wenn es uns ernst ist mit unserer kollektiven Verantwortung, müssen wir die Dinge gründlicher angehen. Zum Beispiel durch Pflichtunterricht über Leopold II. und seine Taten. Oder indem wir die Königsfamilie und die Regierung überzeugen, mehr zu tun, als sich wie gewöhnlich bei den Kongolesen zu entschuldigen. Und es muss eine gründliche, öffentliche Debatte über Segregation und Rassismus geführt werden. Das alles darf nicht stichflammenartig passieren, sondern jeden Tag und überall, wünscht sich Het Belang van Limburg.
Das neue Modewort lautet "Kontextualisieren"
Wenn die Kämpfer für eine gute Sache es übertreiben mit ihrem Aktivismus, besteht die Gefahr, dass sie die anfängliche Sympathie der breiten Bevölkerung verlieren, warnt auch Het Laatste Nieuws. Schnell kann es passieren, dass die Menschen dann beschließen, dass die Schwarzen es jetzt bitte auch nicht wieder übertreiben sollen. Wenn Anti-Rassismus in eine blinde Abrechnung mit allem, was weiß und westlich ist, ausartet - inklusive Büchern, Serien und Filmen - dann könnte die Black Lives Matter-Bewegung leider zu mehr unterschwelligem Rassismus führen. Lasst uns Leopold II. also von seinen öffentlichen Sockeln holen und mit Erklärtafeln ins Museum stellen. Und damit sollte es gut sein. Gerne können wir mit einem gebeugten Knie unsere Solidarität bekunden. Aber kollektiv auf beiden Knien eine Schuld bekennen und alles verbrennen, was wir zuvor liebgewonnen hatten? Nein! Das muss aufhören!, fordert Het Laatste Nieuws.
In die gleiche Richtung argumentiert auch La Dernière Heure. So wie in den 1950er Jahren überall nach Kommunisten Ausschau gehalten wurde, sucht man jetzt allerorten nach rassistischen Ideen. Deswegen hat der amerikanische Sender HBO den Klassiker "Vom Winde verweht" aus dem Programm genommen. "Kontextualisieren" ist das neue Modewort. Aber nur, weil man den passenderen Ausdruck "Zensur" nicht in den Mund nehmen will. Kino darf nie zum Opfer von Revisionismus und Zensur werden, mahnt La Dernière Heure.
Die Wirtschaftszeitung L'Echo beschäftigt sich mit Rassismus in Unternehmen: Auch wenn wir niemanden unter Generalverdacht stellen wollen, muss man festhalten, dass es in der Personalpolitik oft zu Diskriminierungen kommt. Zum Beispiel beim Jobinterview oder bei Beförderungen. So wie es eine gläserne Decke für Frauen gibt, gibt es auch eine für Menschen mit Migrationshintergrund. Es ist nicht zu rechtfertigen und dennoch eine Realität: Bei gleicher Qualifikation zieht der Bewerber mit ausländischen Wurzeln oft den Kürzeren. In vielerlei Hinsicht sind Unternehmen pragmatisch und dynamisch. Beim Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus vermisst man diese Charakteristiken aber oft, beklagt L'Echo.
Wir selbst müssen es anpacken.
Gazet van Antwerpen greift in seinem Kommentar die flämische Diskussion um die sogenannten Praxistests auf. Mit solchen Tests soll Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt aufgespürt werden. Natürlich sollen Vermieter selbst aussuchen können, wer in ihrem Haus wohnen darf. Die Ablehnung von Bewerbern, die kein Wort Niederländisch oder Englisch sprechen, ist nicht per se rassistisch. Vielleicht will der Vermieter einfach jemanden, mit dem er ohne Barrieren kommunizieren kann. Und ein arbeitsloser Marokkaner ist in Sachen Zahlungszuverlässigkeit in den Augen des Vermieters vielleicht eine schlechtere Wahl als ein arbeitender Belgier.
Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass sehr viele Marokkaner in Belgien ausgezeichnet Niederländisch sprechen, einen festen Job haben und einfach nur das Beste aus ihrem Leben machen wollen. Und trotzdem stoßen sie in unserem Land zu oft auf eine Mauer aus ungerechten Vorurteilen und "Angst vor dem Fremden". Ja, es ist gut, wenn die Behörden nach neuen Wegen suchen, um Diskriminierung zu bekämpfen. Aber es sind vor allem wir selbst, die hier anpacken müssen. Und wir können damit beginnen, uns gegenseitig als Menschen zu sehen - nicht als Vertreter einer ethnischen Gruppe oder Religion, empfiehlt Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt