"Phase 2 wurde aktiviert", titelt L'Avenir. "Phase 2 der Lockerungen ist eingeleitet", schreibt auch La Libre Belgique. La Dernière Heure ist bildlicher: "Belgien legt den zweiten Gang ein", so die Schlagzeile...
Der Nationale Sicherheitsrat hat ja gestern grünes Licht gegeben für die zweite Phase der Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen. Ab Montag darf diese Phase 2 also wie geplant in Kraft treten. "Wieder in die Schule und zum Frisör", so fasst das GrenzEcho die wichtigsten Maßnahmen zusammen. "Endlich wieder zum Frisör", jubelt fast schon Het Laatste Nieuws. "Und wir sind bereit für den Neustart", sagen zwei Frisöre auf Seite eins von Gazet van Antwerpen. Darüber hinaus werden ja auch Märkte wieder stattfinden dürfen; allerdings gilt eine Höchstgrenze von 50 Ständen. Und auch gewisse sportliche Aktivitäten unter freiem Himmel werden unter Auflagen wieder erlaubt.
Aber "was ist mit den Kindern?", fragt sich De Morgen. In der Tat: Die Kinder kommen in alledem doch ziemlich zu kurz. Spielplätze zum Beispiel bleiben geschlossen.
Ein großes Fragezeichen steht auch noch hinter der Frage, wie wohl der diesjährige Sommerurlaub aussehen wird. "Das wird kein normaler Sommer", orakelt schon Het Belang van Limburg. Premierministerin Sophie Wilmès hat das zwar nur angedeutet, klar ausgesprochen hat es aber die EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Urlaub im Ausland wird, wenn überhaupt, dann nur begrenzt und unter Auflagen möglich sein. Het Nieuwsblad zählt derweil die Tage ab: "Noch 24 Tage und 15 Stunden bis wir frühestens neue Lockerungen kriegen", schreibt das Blatt auf Seite eins.
Mit dem Timing stimmt etwas nicht
Einige Leitartikler sehen die Beschlüsse des Nationalen Sicherheitsrates kritisch. Nach der Pressekonferenz überkam so manchen ein mulmiges Gefühl, meint etwa Het Nieuwsblad. Man hat den Eindruck, dass mit dem Timing etwas nicht stimmt. Die Zügel werden zu schnell gelockert. Und die Logik hinter den Lockerungen ist nicht mehr nachvollziehbar. Das hat damit zu tun, dass die Politik sich zunehmend Freiheiten nimmt und nicht mehr ausschließlich den Empfehlungen der Experten folgt. Nur: Damit geht Transparenz verloren. Es gibt keine wirklich plausiblen Begründungen mehr für die Entscheidungen. Die wirken immer mehr wie das Resultat von Lobbyarbeit und politischem Kuhhandel. Damit riskiert der Nationale Sicherheitsrat seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen.
Das GrenzEcho wünscht sich mehr Empathie. Den Wissenschaftlern kann man mit Verstand – und etwas Phantasie – folgen. Das reicht aber nicht, um ein Land durch eine solch schwierige Phase zu führen. Da braucht es, neben Verstand, auch Bauch- und Fingerspitzengefühl. In Ostbelgien etwa wird der Ruf nach einer Normalisierung, auch an den Grenzen, immer lauter. Zu allem Überfluss poppen abstruse Theorien auf. So entsteht ein gefährliches Gemisch aus Protest und lang gehegtem Groll.
Ein Ausdruck der Höflichkeit
De Morgen vermisst eine klare Linie: Auf der einen Seite ist da Premierministerin Sophie Wilmès, die einen quasi paternalistischen Ton angeschlagen hat. So vermittelt sie den Eindruck, dass alle an einem Strang ziehen und dass der Weg aus der Krise quasi vorgezeichnet ist. Das steht aber in schrillem Kontrast zu der Unverbindlichkeit der eigentlichen Maßnahmen. Schutzmasken sind und bleiben in vielen Fällen nur "wärmstens empfohlen". Wenn das so ist, warum sagt man nicht einfach, dass sie Pflicht sind? Da muss man endlich Klartext reden. Oder wird es auch bald heißen, dass das Zahlen der Steuern lediglich "wärmstens empfohlen" ist?
Le Soir scheint seinerseits Verständnis aufzubringen. Die Lockerungen zu beschließen, das ist ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite: die Volksgesundheit; auf der anderen Seite: die Gefahr, dass die Medizin am Ende schlimmer ist als die Krankheit. Und da kann man schlichtweg nicht alle glücklich machen. Immerhin hat die Premierministerin da keine falschen Hoffnungen verbreitet: Bis zum 30. Juni bleiben alle Kultur- oder Sportveranstaltungen verboten; und auch der Sommer wird weit weg sein vom "alten Normal". Dann wissen wir wenigstens Bescheid. Diese Ehrlichkeit ist in diesen Corona-Zeiten ein Ausdruck von Höflichkeit.
Wiedereröffnete Schulen: Anwesenheit sollte Pflicht sein
Het Laatste Nieuws beschäftigt sich mit der geplanten teilweisen Wiedereröffnung der Schulen. Vier von zehn flämischen Eltern sind besorgt; auf frankophoner Seite sind es sogar sieben von zehn. Viele von ihnen wollen ihre Kinder denn auch am Montag nicht in die Schule schicken. Hier zeigt sich ein Riesenproblem: Viele Menschen vertrauen dem Staat offensichtlich nicht mehr. Der Politik ist es nicht gelungen, zu überzeugen. Hinzu kommt: Wer die Schulen öffnet, der muss klar machen, dass das alternativlos ist. Fazit: Meine Damen und Herren Politiker: Überzeugen Sie uns; und konfrontiert zugleich die Menschen mit ihren Pflichten. All das ist im Sinne der Kinder und Jugendlichen.
Denn: Laut Experten ist der Schaden, der durch geschlossene Schulen entsteht, größer als das derzeitige Risiko, scheint Gazet van Antwerpen einzuhaken. Schule ist von wesentlicher Bedeutung für das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen. Das gilt erst recht für Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen.
"Jeder für sich" war bisher die Maxime
De Tijd blickt voraus auf die Urlaubsmonate: Der Sommer 2020 wird ganz anders aussehen, in ganz Europa. Weniger Bewegungsfreiheit, weniger Mobilität. Die Selbstverständlichkeit des Massentourismus, die gibt es nicht mehr. Wenn man überhaupt das Flugzeug nehmen kann, dann wird das mit strengen Kontrollen einhergehen. Vielleicht wird es auch so etwas wie einen "Covid-Pass" geben. Aber, wir dürfen nicht vergessen, dass der weltweite Flugverkehr erheblich zur Verbreitung des Virus beigetragen hat. Dennoch: Bislang stehen hinter dem Sommer 2020 noch zu viele Fragezeichen.
Genau hier muss die EU ihren Mehrwert unter Beweis stellen, fordert L'Echo. Hier geht es doch im Wesentlichen um Absprachen zwischen den EU-Staaten, innereuropäische Koordination. Und das ist doch quasi per Definition der Bereich, in dem die EU Führungsstärke und Effizienz an den Tag legen muss. Bislang galt hier die Maxime: "Jeder für sich". Die EU-Kommission muss jetzt entschlossen und verbindlich die Länder dazu bringen, das europäische Spiel wieder mitzuspielen...
Roger Pint