"Ein Wiederanfang voller Zweifel", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Wie die Unternehmen und Geschäfte im Mai neu starten werden", so die Überschrift bei La Libre Belgique. "Noch keine Spur von den Contact Tracers", so derweil die Schlagzeile bei Het Nieuwsblad.
Am Montag beginnt die erste Phase der Lockerung der Coronavirus-Schutzmaßnahmen. Zunächst mit der Wiederöffnung der Betriebe, eine Woche später sollen dann die Geschäfte folgen. Und überall wird von den Menschen gefordert, sich umsichtig zu verhalten, um sich und andere vor dem Coronavirus zu schützen.
Wenn alles mit dem Plan der Regierung glattgeht, könnten selbst Cafés und Restaurants am 8. Juni wieder aufmachen, erinnert La Dernière Heure in ihrem Leitartikel. Eine wiedergewonnene Freiheit, wenn auch mit Einschränkungen. Diese Freiheit werden wir aber nur genießen können, wenn in den kommenden Wochen Disziplin das Gebot der Stunde bleibt. Der kommende Montag ist nur ein kleiner Schritt, der viel größere folgt mit der Wiederöffnung der Geschäfte. Hier gilt es, auf die Einhaltung der Regeln zu achten, zu vermeiden, dass alle gleichzeitig in die Läden stürmen und vielleicht auch manchmal auf nicht-essentielle Einkäufe zu verzichten, wenn die Schlangen zu lang werden. Sonst droht uns eine neue Corona-Welle. Und damit würde jede Hoffnung auf eine quasi-totale Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen bis zum 8. Juni zunichte gemacht. Es liegt in unserer Hand, die Disziplin ist die Grundbedingung für unser aller Freiheit, so der Appell von La Dernière Heure.
Ein nachhaltiger und lokaler Konsum ist Pflicht
De Standaard blickt ebenfalls auf die Rückkehr vieler Belgier an ihre Arbeitsstellen. Jede Person, die wieder zur Arbeit gehen kann, ist eine Person weniger in Kurzarbeit, ein vermiedenes Armutsrisiko und ein Stück wiederhergestellte Kaufkraft. Aber dieser erste Schritt zur Lockerung der Corona-Beschränkungen, das Neustarten des Wirtschaftsmotors des Landes ist anfällig und verletzlich. Unsichere Personal- und Grundstoffverfügbarkeit und vor allem die Nachfrage sind große Fragezeichen. Und ohne Nachfrage sieht es für die Zukunft vieler Betriebe düster aus. Die hängt vom Verbraucher ab, der damit zu einem großen Teil mitverantwortlich dafür sein wird, wie schnell die Wirtschaft wieder auf die Beine kommen wird. Damit wird Konsum zu einer ökonomischen Notwendigkeit. Und dafür zu sorgen, dass dieser Konsum nachhaltig und so lokal wie möglich ist, das ist mehr denn je eine politische Tat - und auch eine moralische Pflicht, findet De Standaard.
De Tijd gibt zu bedenken, dass die Zahlen aus den Krankenhäusern zwar Grund zum Aufatmen geben, die aus der Wirtschaft aber nicht. Montag werden viele Betriebe wieder hochgefahren, in der Hoffnung, sich wieder mit einer Welt zu vernetzen, wie wir sie vor der Corona-Krise kannten. Aber das wird nicht immer klappen: Nicht alle Kunden werden zurückkehren, nicht alle Angestellten werden wie früher arbeiten können und es wird nicht immer genug Geld da sein, um die Maschinen wieder in Gang zu setzen. Die Frage ist also, wie die Regierung verhindern kann, dass das belgische Wirtschaftsgeflecht in den kommenden Wochen zerreißt. Für den Horeca- und den Event-Sektor werden bereits jetzt bleibende Schäden befürchtet. Und die entsprechenden Maßnahmen, die muss eine Minderheitsregierung treffen, deren Corona-Sondervollmachten Ende Juni ablaufen. Mit den Infizierten-Zahlen mag es aufwärts gehen, aber die wirtschaftlichen Trümmer, die müssen noch geräumt werden, stellt De Tijd fest.
Belgien braucht einen "neuen Pakt"
Der 1. Mai findet zwar auf den Titelseiten der Zeitungen kaum statt, aber durchaus in den Leitartikeln. Es wäre verlockend, die 1.-Mai-Reden als inhaltlich altbekannt abzutun, meint etwa La Libre Belgique. Aber bei all den zu Genüge bekannten grundsätzlichen parteilinien-bedingten Unterschieden kann man auch festhalten, dass es durchaus Gemeinsamkeiten gibt. Und die könnten als Fundament für einen zukünftigen Konsens dienen. Wir spüren es tief in uns drin, dass wir verändert aus dieser Krise herauskommen werden: solidarischer, weniger gestresst, offener. Und auch die Politik sollte sich verändern. Ist es denn wirklich unmöglich, Männer und Frauen mit guten Absichten zu finden, die der belgischen Gesellschaft ein neues Projekt anbieten können - jenseits von Parteien und Spaltungen? Ohne ein solches wird Belgien schnell wieder in die alten Blockaden zurückfallen, befürchtet La Libre Belgique.
Auch L'Echo fordert angesichts der nach wie vor bestehenden Notwendigkeit einer neuen, vollwertigen Regierung, dass die Politiker über sich selbst hinauswachsen und ihre Partei-Anliegen mal beiseite lassen sollten - im kollektiven Interesse. Denn Belgien braucht einen neuen "nationalen Pakt", ist L'Echo überzeugt.
Ein "vor" und "nach" auch für die Politik
Mit der Frage, ob es ein "vor" und "nach" Corona geben wird, beschäftigt sich Le Soir in seinem Kommentar. Die Krise kann eine Chance sein, aber wenn man sie nicht anpackt, riskiert man, dass sie tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und auch auf jeden Einzelnen haben wird. Vor diesem Hintergrund kann man es nur begrüßen, dass die Politik ihren Willen bekundet hat, diese Auswirkungen zu begleiten und Veränderungen antizipieren beziehungsweise selbst anstoßen zu wollen. Dafür brauchen wir dann aber auch ein "vor" und nach", was die Art und Weise angeht, wie hierzulande Politik gemacht wird.
Was bringt es, eine "andere Politik" zu versprechen, wenn wir schon im Sommer wieder das gleiche Spektakel zu sehen bekommen, das schon Hunderte Tage andauerte und kein Ergebnis brachte? Und das Ganze auch noch, während die Bürger immer noch Sicherheitsabstände wahren müssen, nicht reisen dürfen und weiter Masken tragen werden, um nicht selbst zu einem Fall für die Sterbestatistiken zu werden, warnt Le Soir.
Boris Schmidt