"Nationale Einheit um Sophie Wilmès lässt schon die Flügel hängen", so die Überschrift heute bei La Libre Belgique. Und De Standaard drückt es so aus: "Im Juni ist es vorbei mit den Vollmachten für Wilmès". Beide Zeitungen beschäftigen sich in ihren Leitartikeln mit der Tatsache, dass mehrere Parteien jetzt schon angekündigt haben, die Vollmachten, die die Minderheitsregierung Wilmès zur Bekämpfung der Corona-Krise bekommen hat, im Juni nicht verlängern zu wollen.
Schnelle Verhandlungen
De Standaard stellt fest: Der Countdown hat begonnen. Die Unterstützung schmilzt dahin, eine Verlängerung im Juni scheint ausgeschlossen. Das Experiment dieser liberalen Regierung, aufgefüllt mit ein paar flämischen Christdemokraten, verläuft im Sande. Die Vorstellung, dass dieses hässliche Entlein sich zur eleganten Ballerina entwickelt, gehört ins Reich der Märchen.
Was als wackeliges Experiment begann, bleibt auch jetzt eine bizarre Konstruktion. Keine Vollmachten bedeutet eine Vertrauensabstimmung, und damit das Ende der Regierung Wilmès. Ende Juni erhält die Politik eine neue Chance, um eine schlagkräftige Regierung zu bilden, die das Leben im Corona-Zeitalter steuern muss. Die Verhandlungen dazu können nicht schnell genug beginnen.
Zweifellos wird es Stimmen geben, die sagen, man solle noch warten, und die Mannschaft nicht austauschen, solange es stürmt. Wir sind gespannt, wie die Kommentare sein werden, wenn das Schiff mit Mann und Maus untergegangen ist, schreibt De Standaard.
Revolver an der Schläfe
La Libre Belgique erinnert daran, warum Sophie Wilmès überhaupt belgische Premierministerin geworden ist. Sie hatte die nötige Courage, sich dieser Aufgabe anzunehmen, nachdem Parteivorsitzende, Informatoren, Preformatoren und Beauftragte zehn Monate damit verbracht hatten, sich zu zanken, den unmöglichen Kompromiss zu finden, um den Weg aus einer tiefen politischen Krise zu finden.
Wilmès fehlt es an Erfahrung, das stimmt. Kein Charisma? Je nachdem. Sie mag keine Kritik? So wie viele andere auch. Aber sie ist da, arbeitet Tag und Nacht und sie hat einen scharfen Sinn für den Staat.
Man muss wissen, sie lebt quasi mit dem Revolver an der Schläfe. Man wartet auf den kleinsten Fehler. Denn ihre belgische Seite ist unerträglich, für all die Nationalisten, die davon träumen, sie in ihr Kämmerlein zurückzuschicken und Politik zu machen wie davor.
Vertrauen ist endlich
Für De Tijd ist der wahre Grund für das Ende der Vollmachten politisches Misstrauen. Der Hintergrund ist, dass die zweite Phase im Kampf gegen Corona begonnen hat, die sich politisch völlig von der ersten unterscheidet. Während damals jeder zum selben politischen Standpunkt gezwungen wurde, kommen jetzt politische Entscheidungen auf uns zu.
Wie weit geben wir unsere Privatsphäre auf, für die Volksgesundheit der anderen? Wie bekommen wir das wirtschaftliche Leben wieder in Gang, ohne daraus Planwirtschaft zu machen? Wie erhalten wir das Gute, das uns diese Krise gebracht hat?
Mehr Home office, weniger Staus, mehr Online-Handel. Ermutigen wir das Kapital, weil Investitionen nötig sind, oder besteuern wir es, weil das Haushaltsloch zu groß ist? Braucht es eine Sparpolitik in diesem Land, in dem jeder zweite Euro, der an den Staat geht, in die hochgeschätzte Soziale Sicherheit und Gesundheitsversorgung fließt? Oder werden wir Weltmeister in Sachen Steuerdruck?
Aber vor allem: Nicht nur die Vollmachten sind endlich, auch das Vertrauen. Dass jetzt die Messer gewetzt werden, bedeutet, dass wir im September wieder zurück zur Normalität kommen. Und das heißt zurück zur Krise, die nach den Wahlen vom Mai 2019 ausbrach.
Trop is te veel
Mit Blick auf den Ausstieg aus dem Lockdown geht Het Laatste Nieuws mit der Regierung hart ins Gericht: Zugegeben, es ist für niemanden einfach, und Regieren in Corona-Zeiten ist für alle das erste Mal. Das sind alles mildernde Umstände, aber "trop is te veel", genug ist genug.
Was ist das für eine Regierung, die mehr Angst vor ihrem eigenen Schatten hat, als vor dem Virus selbst? Was sind das für Liberale, die den Mittelstand und alle anderen Unternehmer vor allem als Bedrohung für die Volksgesundheit und nicht als Lebensader unserer Wirtschaft und Staatsfinanzen sehen?
Wie jetzt? Wir müssen Tag für Tag die Krankenhausneuaufnahmen einschätzen, bevor wir grünes Licht geben? Wie jetzt? Wir müssen abwarten, ob die Geschäfte am 11. Mai öffnen können? Die Regierung muss nicht abwarten. Sie muss selbst dafür sorgen, dass alle Geschäfte am 11. Mai wie auch immer öffnen können.
Sicher, für diejenigen die dort arbeiten. Und sicher für diejenigen, die dort einkaufen gehen. Wenn die Regierung das nicht mal mehr organisieren und garantieren kann, soll sie lieber gemeinsam zum Angeln gehen.
Zum Verständnis: Das ist kein Plädoyer dafür, ab dem 11. Mai alle Zügel loszulassen und alles kaputt zu machen, was wir gemeinsam aufgebaut haben, indem wir wochenlang diszipliniert zu Hause geblieben sind. Die Ratschläge der Experten sind Gold wert. Aber es ist die Pflicht der Politik, den wirtschaftlichen Schaden nicht unnötig groß werden zu lassen.
Die Helden in dieser Krise sind zahlreich, allen voran unser Pflegepersonal, findet Het Laatste Nieuws. Doch auf seine Weise ist auch jeder Unternehmer, ob klein oder groß, ein Held, der Risiken auf sich nimmt, und nicht nur sich selbst bezahlt, sondern auch andere finanziert. Das verdient Respekt, und zwar mehr als den, den die Politik ihnen derzeit zuteil werden lässt.
Volker Krings