"Der Kummer von Belgien", titelt Het Laatste Nieuws. "325 Tote, ein dramatischer belgischer Weltrekord", schreibt De Standaard auf Seite eins. "Warum hat Belgien die schlimmsten Sterberaten?", fragt sich La Dernière Heure.
Innerhalb von nur 24 Stunden sind in Belgien 325 neue Todesfälle in Folge einer Covid-19-Erkrankung registriert worden. Auf seiner Titelseite bringt Het Laatste Nieuws eine Auswahl von Fotos von Opfern. So bekommt das Drama ein Gesicht. 325 Tote, in keinem Land waren – gemessen an der Gesamtbevölkerung – mehr Opfer zu beklagen. Und insgesamt steht Belgien auf Platz drei in Europa.
Es sind die Alten- und Pflegeheime, die sich zum Epizentrum der Epidemie entwickelt haben. De Standaard bringt es grausam auf den Punkt: "Altenheime werden zu Sterbeheimen". "Dramatische Lage in den Altenheimen", schreibt auch das GrenzEcho auf Seite eins. "Medizinische Unterstützung für die Altenheime ist dringendst nötig", meint L'Avenir.
"Chronik einer angekündigten Katastrophe"?
"Der Kummer von Belgien", das ist auch der Titel des Leitartikels von Het Laatste Nieuws. Das ist im Übrigen in Flandern ein geflügeltes Wort, da es auch wortwörtlich der Titel des wohl bekanntesten Werkes des flämischen Schriftstellers Hugo Claus ist. "Der Kummer von Belgien", schreibt also das Blatt. 325 Tote. An nur einem Tag. Das ist verdammt viel Kummer. Ein trauriger belgischer Rekord. Spätestens jetzt zeigt sich: Wir waren nur unzureichend auf eine solche Krise vorbereitet. Und wir haben die Lage nach wie vor nicht unter Kontrolle. Das gilt zumindest für die Alten- und Pflegeheime.
Es wäre unfair, zu behaupten, dass hierzulande alles schiefgelaufen wäre. In den Krankenhäusern konnte eine Überlastung vermieden werden: Hier scheint sich die Kurve abzuflachen. Doch was hat man davon, wenn eben diese Kurve dafür in anderen Einrichtungen durch die Decke geht? Es sind zu viele Tränen, als dass man sie trocknen könnte.
"Wer ist schuld?", diese Frage liest man in vielen Zeitungen. Het Belang van Limburg mahnt aber zur Besonnenheit. Klar: Die Situation in den Alten- und Pflegeheimen ist besorgniserregend. Und hier wirkt das Ganze fast wie die Chronik einer angekündigten Katastrophe. Sind da Fehler gemacht worden? Ohne Zweifel! Doch liegt das leider in der Natur der Sache. In Krisensituationen macht man eben Fehler. Statt nach Schuldigen, sollten wir jetzt erstmal nach Lösungen suchen.
Andere sind nicht ganz so wohlwollend. In Flandern hat der zuständige Minister Wouter Beke die Alten- und Pflegeheime einfach nicht ausreichend vorbereitet, kritisiert etwa De Standaard. Beke hat die Lage mehrmals falsch eingeschätzt. Und die Politik läuft der Situation nach wie vor hinterher; immer noch ist man mindestens einen Schritt zu spät. Und, was das Schlimmste ist: Es gibt immer noch keinen Plan. Wenn wir irgendwann die Ausgangsbeschränkungen lockern wollen, dann muss sich nicht nur die Bevölkerung an die Regeln halten, dann muss auch die Krise in den Alten- und Pflegeheimen resolut angepackt werden.
Grenze zwischen Pech und Unvermögen erreicht
"Die Situation in den Alten- und Pflegeheimen ist ein einziger Skandal!", wettert auch L'Echo. Aber nicht nur hier lässt das Krisenmanagement der Regierung zu wünschen übrig. Der Mangel an Masken und Schutzkleidung ist nach wie vor flagrant. Die Testkapazitäten konnten trotz aller Versprechen immer noch nicht wesentlich aufgestockt werden. Während Länder wie Deutschland oder Österreich zeigen, dass es durchaus auch anders, besser geht. Wir können diese Krise nur in den Griff kriegen, wenn es einen gesellschaftlichen Konsens über die Ausgangsbeschränkungen gibt. Das geht aber nur mit einer klaren und gut kommunizierten Strategie. Davon sind wir aber leider noch meilenweit entfernt.
Je länger diese Krise dauert, desto offensichtlicher wird das Scheitern der Politik, so auch das gnadenlose Urteil von De Morgen. Wir sehen hier eine schier endlose Serie von Pleiten, Pech und Pannen. Bestes Beispiel ist die Schutzmasken-Seifenoper. Natürlich ist die Situation außergewöhnlich, natürlich ist der internationale Markt leergefegt. Und doch gibt es eine kritische Grenze zwischen brutalem Pech und politischem Unvermögen. Diese Grenze ist inzwischen erreicht.
"Man muss erst gehen lernen, bevor man läuft"
Einige Blätter blicken aber auch heute nach vorn, fragen sich, ab wann mit einer Lockerung der Ausgangsbeschränkungen zu rechnen ist. Und diese Frage haben sie der Frau gestellt, die mit darüber entscheiden wird: Die Antwerpener Professorin Erika Vlieghe ist ja die Vorsitzende der Arbeitsgruppe, die den Neustart vorbereiten soll. Wirklich optimistisch klingen ihre Antworten aber nicht: "Das Ganze wird sicher noch Monate dauern", sagt Dr. Erika Vlieghe auf Seite eins von Het Nieuwsblad. "Wir werden Wege finden müssen, um mit unserer Angst umzugehen", zitiert Gazet van Antwerpen die Professorin. "Es gibt keinerlei Garantie, dass wir irgendwann über einen Impfstoff verfügen werden", sagen Erika Vlieghe und auch ihr Kollege, der Virologe Marc Van Ranst, auf Seite eins von De Morgen.
Der Druck, der auf der Arbeitsgruppe lastet, der wird in den nächsten Tagen und Wochen wohl nur noch größer werden, orakelt Het Nieuwsblad. Schon jetzt ist unübersehbar, wie viele mit den Hufen scharren, um die Wirtschaft wieder hochzufahren. Die Politik hat nicht immer auf die Experten gehört, hat Warnungen der Wissenschaftler in den Wind geschlagen. Und auch mit Blick auf den Neustart steht zu befürchten, dass man irgendwann die Fachleute an die Seitenlinie schieben wird. Dabei sollten doch eigentlich die Sterberaten der letzten Tage eine Warnung sein. Ein Sprichwort sollte man sich da noch einmal in Erinnerung rufen und es auch beherzigen: "Man muss erst gehen lernen, bevor man läuft"...
Roger Pint