"Kehrtwende: Erste Tote in unserem Land", titelt De Morgen. Das Coronavirus beherrscht auch heute wieder die Schlagzeilen und Leitartikel der belgischen Tageszeitungen.
Het Laatste Nieuws kommentiert: Covid-19 ist kein Witz, nirgendwo. Es ist eine weltweite Bedrohung, die keinen Scherz, kein Herunterspielen und auch keine Relativierung mehr erlaubt. Jetzt müssen Virologen, Ärzte, Politiker und alle anderen Bürger einen kühlen Kopf bewahren. Keine Schwarzmalerei, aber tun, was getan werden muss. Ohne zu übertreiben, aber auch ohne zu hadern. Im Sinne der Allgemeinheit, aus Solidarität, alle zusammen. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt für politische Uneinigkeit, Spitzfindigkeiten und zivilen Ungehorsam. Jetzt gilt es, zuzuhören und tun, was von uns verlangt wird.
Schwarzer Peter-Spiele und falsche Kritik
Ähnlich sieht es auch Gazet van Antwerpen: Es ist jetzt nicht der Moment für hitzige Diskussionen darüber, wie es anders oder besser hätte gemacht werden können. Der Versuch, politisches Kapital aus der Situation zu schlagen, ist jetzt verpönt. Wir stehen da, wo wir stehen – und wir müssen da durch. Wir Belgier sind Meister im Relativieren und Umschiffen von Regeln und Gesetzen. Aber sollten wir uns jetzt nicht für einmal verantwortlich und solidarisch zeigen, um die Verbreitung des Virus zu begrenzen, und vor allem, um Todesopfer zu vermeiden?
Auch De Morgen appelliert: Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben und Zuständigkeiten streng nach Vorschrift und nicht mehr als nötig auszuüben. Wer will, kann jetzt alle zuständigen Behörden zusammenbringen, um so zu einer gemeinsamen, klaren Politik zu kommen.
De Tijd stellt fest: Die Kritik, dass die Regierung das Coronavirus dramatisiere, ist jetzt verstummt. Während in den vergangenen Tagen und Wochen zu hören war, dass es wie eine gewöhnliche Grippewelle wieder weiterziehen würde und die Föderalregierung Panikmacherei betreiben würde, kommt die Kritik jetzt vor allem von der anderen Seite. Jetzt heißt es, dass die Regierung das Virus nicht ernst genug nimmt, dass sie zu lange gezögert hat, Quarantänemaßnahmen zu verhängen. Diese Kritik ist aber etwas zu einfach, und zwar aus zwei Gründen: Eine landesweite Quarantäne, so wie in Italien, verursacht immense Kosten. Die Rechnung ist zwar kein schlagendes Argument, um drastische Maßnahmen zu verhindern, muss aber wohl bezahlt werden. Der zweite Grund ist, dass wir in dieser Krise noch immer viel zu wenig wissen. Da ist es besonders schwierig, eine Strategie auszutüfteln, die über Wochen funktioniert.
Wir haben es in der Hand
Verschiedene Zeitungen appellieren auch an den Bürgersinn. Beispielsweise Le Soir: Jetzt, wo sich unser Land mit den ersten Toten konfrontiert sieht und weitere Fälle in den nächsten Tagen kommen werden, erinnern wir uns an das, wovor die Wissenschaftler uns schon gewarnt hatten: Das Schlimmste steht uns noch bevor. Und wir haben nur eine Wahl: Handeln, ruhig bleiben und den Anweisungen der Behörden und Experten folgen. Diese retten Leben, indem sie die Ausbreitung begrenzen. Sie reduzieren den möglichen Druck auf die Krankenhäuser. Wir müssen jetzt Bürgersinn und Solidarität unter Beweis stellen. Mutig und verantwortungsbewusst sein, wie wir es schon seit Tagen auf beeindruckende Weise sind. Und besonnen unser Verhalten der Entwicklung der Situation anpassen.
Het Nieuwsblad schreibt: Es ist ein Schlüsselmoment für jeden von uns. Wir werden gemeinsam und jeder für sich mitbestimmen, wie sich die Krankheit in unserem Land, Region, Stadt, Gemeinde, Viertel, Nachbarschaft und Straße weiterentwickelt. Es ist der Moment, in dem wir selbst bestimmen, wie hässlich die Pandemie zuschlagen wird. Das kann die Regierung nicht. Das können die Behörden nicht. Und das können sogar die Experten nicht. Das haben nur wir selbst in der Hand.
Putin ändert die Spielregeln
La Libre Belgique kommentiert heute die Verfassungsänderung in Russland: Diese wird es Präsident Putin wohl ermöglichen, sich auch nach 2024 noch zwei Mal zur Wahl stellen zu können. Das wäre ihm laut bisheriger Verfassung nicht erlaubt gewesen. Die Zeitung schreibt, dass Putin sich bislang geschickt durchmanövriert, um innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens zu bleiben. Er selbst kritisierte sogar andere Führer, die sich an ihre Macht klammern, auch wenn sie damit riskieren, ihr Land zu zerstören. Über seine Zukunft wurde schon seit Monaten spekuliert. Es gab nie einen Zweifel darüber, dass er versuchen würde, seinen Einfluss zu behalten – die Frage war nur, wie. Als er im Januar überraschenderweise eine Verfassungsreform ankündigte, sahen viele ihn an der Spitze eines auf ihn zugeschnittenen Staatsrates.
Die Zeit nach 2024 nimmt aber jetzt eine neue Wendung. Putin erinnerte an die absolute Notwendigkeit der Machtkonzentration und dass Stabilität prioritär sei. Und zwischen den Zeilen gab er zu verstehen, dass er der Mann der Stunde sei. Man könnte seinen Gewaltstreich, die Opposition spricht von einem "Putsch", viel mehr als einen Faktor der Instabilität als der Stabilität verstehen. Zumindest entfernt er Russland noch weiter vom Weg zur Demokratie.
Volker Krings