"Die Corona-Krise nähert sich dem Siedepunkt", titelt Het Nieuwsblad und fasst die Lage damit treffend zusammen. Gleich zwei Ereignisse haben gestern das allgemeine Panikgefühl noch verstärkt. "Ganz Italien ist abgeriegelt", schreibt zunächst De Standaard auf Seite eins. "Ganz Italien unter Quarantäne", so die Schlagzeile von Le Soir. Het Laatste Nieuws entscheidet sich für den Begriff "Lockdown".
Nachdem die italienische Regierung am Montag zunächst Norditalien abgeriegelt hatte, wurde die Maßnahme jetzt auf das ganze Land ausgeweitet. 60 Millionen Menschen sind aufgerufen, zu Hause zu bleiben. So will man versuchen, die Ausbreitung des Coronavirus doch noch in den Griff zu bekommen. Offensichtlich ist das Gesundheitssystem in Italien mehr und mehr überfordert. "Aus den norditalienischen Krankenhäusern erreichen uns dramatische Bilder", berichtet De Standaard alarmiert im Innenteil. Die Hospitäler können dem Ansturm von Patienten kaum noch standhalten.
Die Titelseite von Het Laatste Nieuws ist zweigeteilt, auf der unteren Hälfte prangt in fetten Buchstaben: minus 7,58 Prozent. Das ist der Verlust, den der Bel20-Index allein am gestrigen Montag verzeichnet hat. Weltweit sind die Finanzmärkte eingebrochen. "Die Börsen sind im Würgegriff der Corona-Panik", so die plastische Schlagzeile von Het Belang van Limburg. Einige Blätter werden präziser: "Der Corona-Crash ist der schlimmste Bel20-Einbruch seit 2008", bemerken La Libre Belgique und L'Echo. "Innerhalb nur eines Tages sind in Belgien 50 Milliarden Euro in Rauch aufgegangen", stellt Gazet van Antwerpen fest. De Tijd fasst den Blick weiter: "Minus 25 Prozent innerhalb von 16 Börsentagen: Der schwerste Schlag in der Geschichte des Bel20". Die Schlagzeile von De Morgen liest sich wie ein Fazit: "Die Welt hat Angst vor Corona und vor einer Rezession".
Ein "perfekter Sturm"
Der Titel des Kommentars von Le Soir erinnert an ein Klagelied: Ein schwarzer, so schwarzer Montag. Die Börsen sind abgeschmiert, Italien wurde vollständig unter Quarantäne gestellt; "Land außer Betrieb" könnte man sagen. Hinzu kam gestern noch ein morbider Spannungsmoment: Der Gesundheitszustand eines belgischen Corona-Patienten hat sich dermaßen verschlechtert, dass einige schon seinen Tod vermeldet hatten. Schlussendlich wurde das aber von der Gesundheitsministerin dementiert. Wir schauen verdattert auf die Welt, wie sie aus den Fugen gerät. Und niemand weiß, ob beziehungsweise wann es gelingt, das Virus aufzuhalten.
Wir brauchen einen Impfstoff, meint De Morgen. Einen Impfstoff vor allem gegen die Panik, präzisiert das Blatt. Es fegt ein "perfekter Sturm" über den Globus. Alle nötigen Faktoren kommen hier zusammen. Rezessionsängste infolge der Covid-19-Epidemie und dann noch der Streit zwischen den beiden großen Erdölproduzenten Saudi-Arabien und Russland, den diese ausgerechnet jetzt austragen müssen. Resultat: Der Ölpreis krachte um 30 Prozent in den Keller. Das mag für günstigere Kraftstoffpreise sorgen. Für einmal ist das aber keine gute Neuigkeit. Das Ganze sorgt nämlich für eine globale Panikreaktion. Die Unruhe an den Börsen mag vielleicht nachvollziehbar sein, ist dafür aber immer noch nicht rational. Jetzt gibt es nur noch eins: Die Welt muss zusammenstehen, um zu verhindern, dass noch weitere Dominosteine umfallen.
Auch De Tijd spricht von einem "perfekten Sturm". Das gilt vor allem für die EU-Kommission, auf die die schlechten Neuigkeiten von allen Seiten einprasseln. Flüchtlingschaos an der griechisch-türkischen Grenze, damit verbunden die Angst vor einer neuen Flüchtlingskrise. Dritter Quälgeist: die Erinnerung an die Finanzkrise von 2008. Obendrauf dann noch das drohende Brexit-Chaos und der Streit über den Finanzrahmen. Viel schlimmer geht wirklich nicht.
Die Gefahr eines Déjà-vus
Wir müssen jetzt vor allem ein wachsames Auge auf die Banken haben, empfiehlt L'Echo. Die Finanzmärkte sind enormen Erschütterungen ausgesetzt. Im Auge des Orkans ist der Bankensektor. Der ist das Rückgrat unserer Wirtschaft. Das erste, was die Europäische Zentralbank tun muss: Sie muss die Banken stützen. Das zum einen direkt, indem man etwa Strafzinsen aussetzt; und dann auch indirekt, indem man ein Hilfspaket für die Unternehmen schnürt, um Kreditausfälle zu vermeiden. Das wäre zumindest ein erstes Sicherheitsnetz, um Vertrauen zu schaffen.
Auch La Libre Belgique warnt vor den wirtschaftlichen Folgen, insbesondere des gestrigen Erdbebens an den Finanzmärkten. Spätestens jetzt ist das Wort "Börsenkrach" in aller Munde, und damit verbunden gleich auch das andere Schreckgespenst: Rezession. Experten sind der Ansicht, dass wir vor einer neuen großen Krise stehen. Das Drehbuch kennen wir noch: Der Finanzkrise von 2008 folgte die Schuldenkrise von 2012, und parallel folgte der wirtschaftlichen Krise eine soziale. Die Gefahr eines Déjà-vus ist groß. Jetzt kann man nur hoffen, dass zentrale Akteure einen kühlen Kopf bewahren.
"Wo wart Ihr, als wir leiden mussten?"
Und Belgien? Belgien steckt nach wie vor bis zum Hals in einer innenpolitischen Dauerkrise. Die CD&V hat am Montag die Aussichten auf eine Vivaldi-Notregierung zerschossen. Der König hat die Mission der Beauftragten Sabine Laruelle und Patrick Dewael noch einmal um eine Woche verlängert. Dies ausdrücklich verbunden mit dem Auftrag, eine Notregierung auf die Beine zu stellen.
Die Brüsseler Politik scheint nicht mehr mitzubekommen, was im Rest der Welt so alles passiert, stellt Het Belang van Limburg kopfschüttelnd fest. Die CD&V bleibt stur bei ihrer Haltung, klammert sich an die N-VA. Eben diese N-VA will nach wie vor die Zukunft des Landes zum Wahlkampfthema machen. Es sei denn, eben dieses Land säuft ab infolge des drohenden wirtschaftlichen Tsunamis.
Het Nieuwsblad und Het Laatste Nieuws üben harsche Kritik an der CD&V. "Die Welt steht in Flammen, und Belgien steht mit Eselsohren da", wettert Het Laatste Nieuws. Mit Politikern, die offensichtlich immer noch keine Dringlichkeit sehen. Das gilt in erster Linie für die CD&V, die partout bei ihrer Haltung bleibt – lächerlich, pathetisch, pathologisch. Mit ihrer Mitgliederbefragung hat sich die Partei ein Armutszeugnis ausgestellt, meint auch Het Nieuwsblad. Von einer Parteispitze erwartet man einen Plan, eine Vision, über die dann im Nachhinein die Mitglieder befragt werden. Die CD&V hat den Karren vor den Ochsen gespannt. Televoting, das ist aber nur etwas für Unterhaltungsprogramme.
Das ganze Schauspiel ist regelrecht erschütternd, meint Le Soir, absurd und kindisch. Es kommt der Tag, da werden Bürger und Unternehmen von der Politik Rechenschaft verlangen, nach dem Motto: "Wo wart Ihr, als wir leiden mussten?"
Roger Pint