" Katalanische Wut", titelt Gazet van Antwerpen. "Aufstand in Barcelona", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Ein Gerichtsurteil hat die katalanische Bombe scharf gemacht", schreibt De Standaard auf Seite eins.
Der Oberste Gerichtshof in Madrid hat am Montag neun der zwölf angeklagten katalanischen Separatisten zu hohen Haftstrafen verurteilt. Ihnen war unter anderem "Aufruhr" und "Rebellion" vorgeworfen worden. Im Mittelpunkt standen die Ereignisse vom Herbst 2017. Nach einem illegalen Referendum proklamierte die damalige katalanische Regionalregierung die Unabhängigkeit der Region, die letztlich aber ohne Folgen blieb. Die damaligen politisch Verantwortlichen wurden dafür jetzt zu neun bis 13 Jahren Haft verurteilt. "Schwere Strafen, massive Proteste", so fasst es denn auch De Morgen auf seiner Titelseite zusammen. Het Laatste Nieuws zieht eine erste Bilanz: "50 Verletzte bei heftigen Protesten in Katalonien".
"Schäm' dich, Spanien!"
Viele Leitartikler gehen mit dem Urteil hart ins Gericht. "Schäm' dich, Spanien!", wettert etwa Het Laatste Nieuws. 13 Jahre Gefängnis? Ein solches Strafmaß verbindet man in der Regel mit Schwerkriminellen. In Spanien ging's aber lediglich um eine gewaltlose Aktion, die allenfalls überhastet durchgeführt wurde und mit der Verfassung kollidierte. Die Europäische Union darf ein solches Urteil nicht durchgehen lassen. Gegen Ungarn und Polen laufen Rechtsstaatsverfahren. Und das vollkommen zu Recht. Doch was ist mit Spanien? Wird hier mit anderen Maßen gemessen? Interessant wird sein, wie die nächste EU-Kommission mit diesem Thema umgehen wird. Der dafür zuständige neue Justizkommissar wird nämlich kein Geringerer sein als Didier Reynders.
Zugegeben, die Separatisten haben viele Fehler gemacht, meint auch De Morgen. Neun Politiker für Jahre ins Gefängnis zu stecken, das stellt den spanischen Rechtsstaat aber in ein fragwürdiges Licht. Es entsteht der Eindruck, dass der spanische Zentralstaat einer Minderheit seinen Willen aufzwingt, unter anderem durch ein Urteil, dessen Unabhängigkeit in Zweifel gezogen werden kann.
"Dummheit, Starrsinn und Brutalität"
Das Madrider Urteil muss bei Demokraten einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, glaubt auch La Dernière Heure. Der zentrale Anklagepunkt lautete "Aufruhr". Im restlichen Europa hat man dieses Wort zumindest in einem strafrechtlichen Zusammenhang wohl seit dem Mittelalter nicht mehr gehört. Gewählte Volksvertreter müssen dafür also jetzt ins Gefängnis. Wenn die belgische Justiz ähnliche Maßstäben anlegen würde, dann säßen wohl die Verantwortlichen der N-VA auch schon längst hinter Gittern.
De Tijd macht einen ähnlichen Vergleich. Man stelle sich vor: Die Polizei fällt in die Amtsräume der flämischen Regierung in Brüssel ein, beschlagnahmt Dokumente und verhaftet amtierende Minister. Zwei Jahre später werden neun gewählte Politiker für bis zu 13 Jahre weggesperrt. Allein dieses Gedankenexperiment macht die Wut vieler Katalanen nachvollziehbar. Was aber nicht heißt, dass man den katalanischen Separatisten dafür inhaltlich auf der ganzen Linie Recht geben muss. Sie haben eindeutig gegen die geltende Verfassung verstoßen. Außerdem hat ihnen das, im Übrigen illegale, Referendum keine ausreichende Legitimität für ihren Schritt gegeben. Der katalanische Traum von Unabhängigkeit geriet damit letztlich zum undurchdachten politischen Abenteuer, vergleichbar mit dem Brexit. Der spanische Staat reagiert darauf aber mit einer Mischung aus Dummheit, Starrsinn und Brutalität. Madrid mag da die Verfassung vor Augen haben, das Urteil ist dafür immer noch unverhältnismäßig.
Dialog statt Macho-Gehabe
"Unverhältnismäßig und kontraproduktiv", präzisiert De Standaard. Glaubt man in Madrid ernsthaft, dass man damit jetzt das katalanische Problem gelöst hat? Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die katalanischen Separatisten durch dieses Urteil abschrecken lassen, die geht gegen Null. Vielmehr werden sich viele noch dazu ermuntert sehen, ihr Engagement mit doppelter Kraft fortzusetzen. Mit diesen drakonischen Strafen ist eine Lösung in dem Konflikt weiter entfernt denn je. Und in Spanien droht jetzt ein Klima zu entstehen, wie es auch schon in Großbritannien herrscht; in dem es unmöglich geworden ist, vernünftige Argumente auszutauschen und nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen.
Im Grunde haben hier beide Lager verloren, glaubt Le Soir. Die Separatisten haben definitiv den falschen Weg gewählt. Und der spanische Staat verhängt drakonische Strafen gegen Politiker, die eigentlich nur den Willen ihrer Wähler umsetzen wollten. Aber apropos: Es gibt noch eine andere Minderheit, über die man selten redet. Was ist mit den knapp 50 Prozent der Katalanen, die gegen die Unabhängigkeit gestimmt haben? Ihnen wurde die angebliche Unabhängigkeit auch gegen ihren Willen aufgezwungen. Um das katalanische Problem zu lösen, müssten die Katalanen also eigentlich damit beginnen, über den künftigen Status ihrer Region erstmal unter sich zu debattieren.
Dazu passt auch der Leitartikel von Het Nieuwsblad. "Hoffentlich ziehen auch die flämischen Politiker ihre Lehren aus der Geschichte", meint das Blatt. Die wichtigste Lektion: Einen politischen Konflikt löst man durch Dialog an einem Verhandlungstisch. Und dann sucht man nach einem Kompromiss, der irgendwie die Interessen aller widerspiegelt. Macho-Gehabe wie in Spanien kann nur in einem Drama enden.
Syrien - Wo ist Europa?
Viele Zeitungen blicken auch nach Syrien. Dort herrscht ja inzwischen das nackte Chaos. "Jetzt zieht die Armee von Assad in den Krieg gegen die Türkei", schreibt L'Echo auf Seite eins. Nachdem die USA die Kurden fallengelassen hatten, haben die Kurden jetzt ein Abkommen mit dem Regime von Baschar al-Assad geschlossen. Jetzt entwickelt sich das Ganze also endgültig zu einem Krieg zwischen zwei Staaten... "Im Kriegszustand", schreibt denn auch das GrenzEcho. "Der türkische Angriff auf Syrien kann auch negative Folgen für belgische Unternehmen haben", bemerkt dazu De Tijd. Der Punkt ist: Die USA und auch andere Länder drohen mit Sanktionen gegen die Türkei. Sollte die türkische Wirtschaft crashen, dann hätte das Folgen für ganz Europa.
"Wo ist Europa in dem Ganzen?", fragen sich L'Echo und Het Belang van Limburg. In dem syrischen Drama zeigt die EU einmal mehr ihre Machtlosigkeit. Europa überlässt Autokraten wie Erdogan oder Putin das Feld. US-Präsident Donald Trump allein liefert täglich den Beweis, dass die EU dringend auf eigenen Füßen stehen muss.
Roger Pint