"Regierung startet mit Verzögerung", titelt De Morgen. "Startschuss für Regierung Jambon I in Flandern", verkündet La Libre Belgique auf ihrer Titelseite. "CD&V tut sich schwer mit der Abschaffung der Wahlpflicht", so die Schlagzeile von De Standaard.
Die Verhandlungspartner zur Bildung einer neuen flämischen Regierung aus N-VA, CD&V und OpenVLD hatten sich am Sonntag zu einer angeblich letzten Gesprächsrunde versammelt. Bei Andruck der Zeitungen waren diese Gespräche noch nicht beendet. Trotzdem gehen einige Leitartikler bereits auf den Inhalt des möglichen Regierungsabkommens ein.
Het Nieuwsblad schreibt: In den vergangenen Wochen wurde immer wieder betont, dass unter dem Ministerpräsidenten Jambon ein neues Flandern entstehen werde. Ob das so sein wird, müssen wir abwarten. Viel deutet jedoch darauf hin, dass es mehr oder weniger beim Status quo bleibt. Sogar die Provinzen sollen auf Bitten der CD&V bestehen bleiben. Vor allem ist noch nichts darüber bekannt, wie die wirklich wichtigen und drängenden Problemen angegangen werden sollen. Was passiert bei der Bildung? Wie wird der Lehrermangel bekämpft? Verkehrspolitik, Klimadiskussion, Arbeitsmarkt, fehlende Plätze in Altersheimen: Hier wird sich zeigen, was die neue Koalition leisten will. Hier muss sie liefern, fordert Het Nieuwsblad.
Schlechte Idee von schlechten Verlierern
Bereits vor Ende der Koalitionsverhandlungen ist bekannt geworden, dass die neue Regierung die Wahlpflicht bei Gemeinde- und Provinzwahlen abschaffen will. De Morgen findet das eine schlechte Idee und führt aus: Befürworter dieses Vorschlags sagen, dass der einzelne Bürger frei entscheiden soll, ob er seine demokratische Rechte ausüben möchte oder nicht. Das hört sich vielleicht ganz gut an, führt in der Praxis aber dazu, dass die Gesellschaft gespalten wird. Die weniger gebildeten Bürger, die sich weniger für Politik interessieren, werden nicht mehr zur Wahlurne gehen. Diese Bürger wählen bevorzugt radikale Parteien. Man muss in dem Vorhaben dann auch eine Maßnahme gerade gegen diese radikale Parteien sehen, die bei den vergangenen Wahlen ja deutlich zugelegt hatten. N-VA, CD&V und OpenVLD dagegen hatten Stimmen verloren. Sie wollen sich durch die Neuerung wieder mehr Prozentpunkte sichern. Eine schlechte Maßnahme von schlechten Verlierern, urteilt De Morgen.
De Standaard sieht das genauso und notiert: Wenn dir das Ergebnis nicht passt, ändere die Spielregeln. Nach diesem Prinzip wollen die neuen Regierungsparteien das Wahlrecht ändern. Dabei gibt es kein besseres System, als die Wahlpflicht. Es ist nicht zu viel verlangt von den Bürgern, sie zu einer Stimmabgabe zu zwingen. Denn das sorgt dafür, dass das Wahlergebnis die höchste Repräsentativität erlangt, die möglich ist. Dass diese Wahlpflicht jetzt auf Gemeinde- und Provinzebene abgeschafft werden soll, sorgt allerdings bei der CD&V auch für Unmut. Aber das ist wohl der Preis, den die Partei dafür zahlen muss, dass sie ihre Forderungen nach Beibehaltung der Provinzen durchgesetzt hat, glaubt De Standaard.
Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen
Auch Gazet van Antwerpen notiert: Die N-VA weiß ganz genau, dass sie mit der Abschaffung der Wahlpflicht Unruhe bei der CD&V sät. Bei der CD&V sind gerade die aufstrebenden Kräfte gegen die Abschaffung der Wahlpflicht. Doch der N-VA ist das egal. Sie lässt ihre Muskeln spielen und muss das auch tun. Denn erstens ist sie mit Abstand die stärkste Kraft im neuen Dreierbündnis. Und zweitens muss sie alles tun, um sich gegen den aufstrebenden Vlaams Belang zu wehren, erinnert Gazet van Antwerpen.
La Libre Belgique weist darauf hin: Nachdem es jetzt auch bei den Flamen endlich mit der Regierungsbildung geklappt hat, bleibt nur noch die Föderalregierung zu schmieden. Das ist eigentlich die wichtigste Regierung. Doch dort tut sich am Wenigsten. Stillstand herrscht hier. Und das ist alles andere als gut. Denn das Haushaltsloch wächst ohne handlungsfähige Regierung immer weiter. Und das Defizit von heute sind die Steuern und Einsparungen von morgen, weiß La Libre Belgique.
Auch Het Laatste Nieuws warnt: Je länger es keine neue Föderalregierung gibt, umso größer wird das Haushaltsloch. Wenn die gewählten Politiker es nicht auf die Reihe kriegen, eine Regierung zu bilden, muss man vielleicht darüber nachdenken, den Haushalt aus den Befugnissen der Regierung herauszulösen. Denn ein funktionsfähiges Parlament haben wir ja. Auch das könnte einen Haushalt aufstellen und beschließen. Das Mandat der Bürger dazu hätte das Parlament zumindest. Und dem Land täte das gut, unterstreicht Het Laatste Nieuws.
Umstrittene Entscheidung
Der Gehilfe des Kindermörders Marc Dutroux, Michel Lelièvre, könnte am Montag aus seiner Haft entlassen werden. Das könnte ein Gericht am Montag entscheiden. La Dernière Heure kommentiert: Es ist kein Wunder, dass die Eltern der Opfer strikt gegen eine vorzeitige Haftentlassung von Lelièvre sind. Sie kritisieren das belgische Rechtssystem. Täter, die sich an Kindern vergangen haben, sollten von dem Recht auf vorzeitige Haftentlassung nicht profitieren können.
Man kann diese Eltern verstehen. Wer will schon gerne dem Menschen in Freiheit begegnen, der für den Tod seines Kindes verantwortlich ist, fragt rhetorisch La Dernière Heure.
Kay Wagner