"Johnson blockiert das Parlament? Dann blockieren die Briten eben die Straßen", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Die Opposition wird versuchen, den Brexit zu verschieben", so die Schlagzeile von L'Echo. Aber, fügt De Morgen hinzu: "Die Opposition in Großbritannien ist gespalten".
Nach wie vor herrscht Unruhe in Großbritannien, nachdem Premierminister Boris Johnson dem Parlament ja eine Zwangspause verordnet hatte. Landesweit gingen Menschen auf die Straße, um gegen den Schritt zu protestieren. Den allgemeinen Tenor veranschaulicht ein Foto auf Seite eins von L'Echo: Zu sehen ist ein Demonstrant, der ein Schild in der Hand hält mit der Aufschrift "Wir sind jetzt eine Diktatur".
De Standaard denkt bei alledem an die Queen, die inzwischen 93 ist: "Boris und Andrew haben Elisabeth den Urlaub verhagelt", schreibt das Blatt. Boris Johnson, weil er die Königin ja dazu genötigt hat, das Parlament in die Zwangspause zu schicken. Und mit "Andrew" ist ihr zweiter Sohn gemeint, der in den USA in einen Sexskandal verstrickt ist.
Der Staatsvandalismus des machiavellistischen Erpressers
Wir sehen hier eine Spielart der Theorie vom Verrückten, analysiert L'Echo. Die geht ursprünglich auf den früheren US-Präsidenten Richard Nixon zurück. Grob zusammengefasst: Man vermittelt den Eindruck, dass der Regierungschef geistig unzurechnungsfähig ist und entsprechend zu allem imstande.
Das soll den Gegner in Angst und Schrecken versetzen. Aus Sicht von Boris Johnson stand ihm da aber das Parlament im Weg. Dann hätte die "Strategie des Verrückten" nicht gegriffen. Dass er dafür die Demokratie aushebelt, ist ein krasser Fall von Staatsvandalismus und ein gefährlicher Präzedenzfall. Und die EU ist jetzt konfrontiert mit einem machiavellistischen Erpresser. Mehr denn je sollten die Europäer Block bilden und dem "Verrückten" nicht nachgeben.
Sonderpreis in der Kategorie "Alles ist erlaubt"
Het Laatste Nieuws hingegen kann dem Ganzen offensichtlich auch Positives abgewinnen. Jetzt mal ehrlich: Glaubt irgendjemand, dass die Briten in den nächsten Wochen in einer Diktatur aufwachen?
Man kann Johnson nämlich auch zugutehalten, dass er jetzt endlich mal den Gordischen Knoten durchgehauen hat. Wenn eine Akte wie der Brexit bis in alle Ewigkeit mitgeschleppt wird, dann ist das nämlich mindestens genauso giftig für die Demokratie.
Natürlich wird ein "No deal"-Brexit in einer ersten Phase für Chaos sorgen. Das sollte sich aber doch schnell wieder einpendeln. Für alle Beteiligten ist es jedenfalls besser, wenn der Brexit irgendwann mal über die Bühne ist.
Le Soir sieht das ganz anders: Seit einigen Monaten müssen wir erschrocken und gelähmt zusehen, wie diverse politische Verantwortliche – meist begleitet von vulgärem Gepolter – rote Linien überschreiten. Und das Schlimmste ist: Sie tun das angeblich in Namen des "Volkes".
Boris Johnson ist da nur der jüngste Eintrag in einer Liste, auf der auch schon die Namen Trump, Salvini und Bolsonaro stehen. Johnson verdient allerdings noch den Sonderpreis in der Kategorie "Alles ist erlaubt". Der Mann, der sich als das Megafon des Volkes sieht, knebelt die Repräsentanten eben dieses Volkes, wenn es ihm gerade nötig erscheint.
Wir befinden uns jetzt an dem kritischen Punkt, an dem Demokraten aufstehen müssen, um die Prinzipien und Institutionen der Demokratie zu verteidigen. Das ist der wertvollste Dienst, den man dem "Volk" erweisen kann.
"Wer anderen eine Grube gräbt..."
Der Name Salvini ist schon gefallen, viele Zeitungen blicken heute auch nach Italien, wo eine neue Regierung in der Mache ist. "Giuseppe Conte, der Unbekannte, der zum starken Mann Italiens geworden ist", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. Giuseppe Conte ist der alte und wohl auch neue italienische Ministerpräsident.
Der Parteilose galt bislang als Strohmann der Fünf-Sterne-Bewegung, die ja nach dem Ausstieg der rechtsextremen Lega jetzt mit der Mitte-Links-Partei Partito Democratico (PD) koalieren will. "Conte soll schon wieder das Undenkbare hinbekommen", schreibt dazu De Tijd auf seiner Titelseite.
Für Matteo Salvini gilt wohl das Sprichwort: "Wer anderen eine Grube gräbt...", meint La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Der Rechtsextremist ist so etwas wie der begossene Gärtner der italienischen Politik. Indem er eine Regierungskrise provoziert hat, wollte er Neuwahlen erzwingen; in der Überzeugung, dass er die dann mit fliegenden Fahnen gewinnen würde. Jetzt findet er sich plötzlich ohne Neuwahlen in der Opposition wieder.
Das zeigt auf der einen Seite die doch bemerkenswerte Wendigkeit der italienischen Politik. Andererseits kann man sich an den fünf Fingern abzählen, dass wir Salvini nicht zum letzten Mal gesehen haben. In jedem Fall wird man wachsam bleiben müssen.
Salvini reagiert auf seine eigene Fehlkalkulation, wie Populisten es immer tun, analysiert Het Belang van Limburg: Man nimmt die Opferrolle ein. In Großbritannien sehen wir eine andere Spielart des Populismus'. Was alle Scharlatane und Demagogen aber verbindet, ist die Verachtung, die sie den Grundregeln der repräsentativen Demokratie entgegenbringen. Allen voran dem Respekt Minderheiten und politischen Gegnern gegenüber.
Der nüchterne und ganz und gar nicht charismatische Giuseppe Conte ist plötzlich der neue Held Italiens, bemerkt Gazet van Antwerpen. Erst hat er Salvini im Parlament kühl und souverän die Leviten gelesen. Und jetzt baut er an einer Koalition ohne die rechtsextreme Lega. In gewisser Weise könnte dieser Conte der politischen Klasse in Belgien als Vorbild dienen. Hierzulande sind wir ja von wirklichen Regierungsverhandlungen noch weit entfernt.
Roger Pint