"Flämischer Festtag wird zum Albtraum für die N-VA", titelt De Standaard. "Flämischer Katastrophentag für die N-VA", heißt es bei De Morgen. "Neuer Skandal mit Callgirl für Kris Van Dijck fatal", so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg.
Der Rücktritt des N-VA-Politikers von seinem Posten als Parlamentspräsident dominiert heute die Schlagzeilen und Leitartikel der flämischen Presse. Auch die frankophonen Zeitungen greifen das Thema auf. Van Dijck hatte vergangene Woche zunächst mit 1,4 Promille einen Autounfall verursacht. Während seiner Rede beim flämischen Festtag gestern in Brüssel veröffentlichte die Zeitschrift P-Magazine dann neue Enthüllungen: Demnach hat Van Dijck mit einer Prostituierten nicht nur eine Beziehung gehabt, sondern ihr auch geholfen, Sozialleistungen zu beziehen.
Das Geld kam aus einem Fonds für Arbeitnehmer, die ihren Job verloren haben, erklärt Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. P-Magazine deutet an, dass es sich um Sozialbetrug handelte. Das ist noch kein Beweis, dass Van Dijck selbst an einem Betrug beteiligt war. Aber es entsteht zumindest der Eindruck der Parteilichkeit. Dazu dann die Angelegenheit mit der Alkoholfahrt. Nach den Wahlen vom 26. Mai war für viele Parteien klar, dass sie an Vertrauen eingebüßt haben. Anderthalb Monate später ist die Chance groß, dass das Vertrauen langfristig futsch ist. Der Skandal Van Dijck ist hier nur die Spitze des Eisbergs, stellt Gazet van Antwerpen fest.
Das Callgirl und die Familienpartei
Das Privatleben von Politikern geht niemanden etwas an, schreibt Het Nieuwsblad. Allerdings nur so lange es in diesem Privatleben keine Verbindungen zum Amt gibt. Und die Affäre von Kris Van Dijck mit dem Callgirl stinkt zum Himmel. Das ist jetzt nicht nur ein Problem für den zurückgetretenen Parlamentspräsidenten, sondern auch für seine Partei. Die N-VA inszeniert sich als Familienpartei. Geschichten von Prostituierten passen da ganz und gar nicht ins Bild. Noch dazu scheint es um Sozialbetrug zu gehen. Für eine Partei, die höchst empfindlich auf jegliche Art von Ausnutzung des Sozialstaats reagiert, ist das natürlich extrem unangenehm, stichelt Het Nieuwsblad.
Der Name des Callgirls taucht auch im Zusammenhang mit einem Erpressungsfall auf, erinnert sich Het Laatste Nieuws. Die Zeitung brachte die Story vor gut einem Monat. Schon damals war bekannt, dass Van Dijck mit der Frau zu tun hatte. Het Laatste Nieuws entschied sich damals, seinen Namen nicht zu veröffentlichen, weil sein Privatleben eben niemanden etwas anging. Nun ist aber bekannt geworden, dass es möglicherweise durchaus eine Verbindung zu Van Dijck als Politiker und nicht nur als Privatperson gibt. Das ändert natürlich alles, findet die Zeitung.
Bart De Wever in der Sackgasse
L'Avenir hält es für besonders skandalös, dass durch die Affäre und den Rücktritt jetzt mit Filip De Winter ein rechtsextremer Politiker zumindest übergangsweise den Vorsitz im flämischen Parlament übernimmt. Der Abgeordnete des Vlaams Belang rückt als erster Stellvertreter nach. Das Blatt schlägt damit die Brücke zu den laufenden Koalitionsverhandlungen in Flandern. Die Gespräche von N-VA-Chef Bart De Wever mit dem Vlaams Belang können nur in eine Sackgasse führen. Denn die anderen Parteien haben ihre Absicht, die extreme Rechte außen vor zu lassen, erneut bekräftigt. Dieser Cordon sanitaire wurde diese Woche zudem auch im Europaparlament bestätigt: Die pro-europäischen Fraktionen verbündeten sich, um rechte Ausschuss-Vorsitzende zu verhindern, hebt L'Avenir hervor.
Schwarze Schafe und christliche Fundamentalisten
La Libre Belgique richtet den Blick nach Frankreich, wo auch ein Parlamentspräsident seinen Hut nehmen musste. François de Rugy soll mit öffentlichen Geldern private Luxusessen veranstaltet haben. Derlei Geschichten sind Wasser auf die Mühlen der Populisten. Nein, natürlich sind nicht alle Politiker verdorben, wie es so oft heißt. Aber es reichen einige wenige schwarze Schafe, um den Ruf zu ruinieren, betont La Libre.
Ebenfalls nach Frankreich blickt La Dernière Heure: Vincent Lambert ist am Donnerstagmorgen gestorben, nachdem die Maschinen, die ihn elf Jahre lang künstlich am Leben gehalten hatten, abgestellt wurden. Sein Tod setzt einem langen medizinisch-rechtlichen Streit ein Ende. Seine Frau hatte schon lange gefordert, die lebenserhaltenden Maßnahmen des Komapatienten einzustellen. Doch dessen ultra-katholische Familie stemmte sich dagegen. Wenn diese traurige Angelegenheit jetzt wenigstens dazu führt, dass von nun an jeder rechtzeitig klare Anweisungen für einen solchen Fall hinterlässt, dann wäre der Tod von Vincent Lambert immerhin nicht umsonst gewesen, hofft La Dernière Heure.
Le Soir bezieht eindeutig Stellung und kritisiert unter anderem, dass die katholischen Fundamentalisten in Frankreich die Mediziner nun wegen Mordes an Vincent Lambert verklagen wollen. Genau wie auch schon bei den Gesetzen zur künstlichen Befruchtung und zur Homo-Ehe, die in Frankreich so schwer durchzusetzen waren, zeigt sich auch hier, dass Frankreich noch einen langen Weg vor sich hat, hält Le Soir fest.
Peter Esser