"Ein brüchiges Tarifabkommen wegen der Punkte Gehalt und Frührente", titelt Le Soir. "Flexiblere Frühpensionen stoßen auf Kritik", notiert Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Und L'Echo fragt: "Wie wird das Tarifabkommen am Ende aussehen?"
Arbeitgeber und Gewerkschaften haben sich im Tarifstreit auf ein Vorabkommen geeinigt. Die vorläufige Einigung muss noch von den Gewerkschaftsmitgliedern angenommen werden. Neben einer Lohnerhöhung von 1,1 Prozent sieht das Papier unter anderem eine Lockerung der Regeln bei der Frühverrentung vor.
L'Avenir reibt sich die Augen und fragt: Was ist denn da passiert? Plötzlich gibt es eine Einigung und noch vor einigen Wochen waren die Verhandlungspartner so untereinander zerstritten, dass die Gewerkschaften das Land mit einem Streik fast lahmlegten. Grund damals: Die Lohnerhöhung sollte nur 0,8 Prozent betragen. Jetzt finden die Gewerkschaften 1,1 Prozent gut. Durchgerechnet macht das rund fünf Euro im Monat mehr. Noch mal zum Mitschreiben: fünf Euro. Natürlich ist das auch Geld. Aber sind fünf Euro im Monat es wirklich wert, einen Streik vom Zaun zu brechen? Tarifverhandlungen sind nicht immer logisch. Sie folgen eigenen Prinzipien, die Außenstehende nicht immer nachvollziehen können, konstatiert L'Avenir.
Le Soir freut sich: Gewerkschaften und Arbeitgeber haben Reife gezeigt. Sie haben den sozialen Frieden bewahrt. In einer Situation, in der das Land keine Regierung hat, haben sie sich auf etwas geeinigt. Beide Seiten haben dafür Kompromisse gemacht. So etwas nennt man vernünftig. Unverantwortlich dagegen ist es, dass die flämischen Liberalen jetzt drohen, diese Einigung scheitern zu lassen: Sie wollen im Parlament gegen ein Abkommen stimmen, das die Regeln für die Frühverrentung lockert. Fakt ist: Die Regierung Michel hat es nicht geschafft, die Reform der Frühverrentung durchzubringen, bevor sie gestürzt wurde. Wenn jetzt die Sozialpartner so an die Sache herangehen, wie es ihnen passt, ist das ihr gutes Recht, findet Le Soir.
Het Laatste Nieuws notiert: Es entbehrt jeglicher Logik, die Regeln der Frühverrentung lockern zu wollen. Trotzdem haben sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeber sich darauf geeinigt, weil es beiden passt. Und weil sie nur zu gut wissen: Die Regierung kann sie daran nicht hindern. Die ist gerade nur geschäftsführend im Amt und hat als Regierung allein nicht die Mehrheit, die Tarifpartner von diesem Vorhaben abzuhalten, erinnert Het Laatste Nieuws.
Die Wirtschaftszeitung De Tijd schimpft: Sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeber haben da eine vollkommen falsche Entscheidung getroffen. Der Aufschrei von Open VLD und N-VA ist absolut berechtigt. Die Frühverrentung flexibler zu gestalten, ist ein falsches Signal. Die EU-Kommission ist unzufrieden mit Belgien, weil notwendige Reformen nicht abgeschlossen werden, um das Land fit für die Zukunft zu machen. In so einer Situation einen Schritt zurück zu machen, das ist zum Haareraufen, wettert De Tijd.
Die Kirche im Dorf lassen
Gazet van Antwerpen ist milder in ihrem Urteil und führt aus: Sicher, das war jetzt keine Top-Entscheidung, aber lassen wir mal die Kirche im Dorf. Diese Regelung wird nur ganz wenige Menschen betreffen. Von daher ist alles nicht so schlimm, wie jetzt von den Kritikern dargestellt. Besser wäre natürlich gewesen, die Sozialpartner hätten sich darum gekümmert, wie man Arbeiten mit über 60 Jahren attraktiv gestaltet und wirtschaftlich verträglich. Da wäre natürlich Kreativität gefragt gewesen und die Einsicht von beiden Seiten, dass Arbeiten über 60 Jahre hinaus unvermeidbar sein wird, kritisiert Gazet van Antwerpen.
Auch De Morgen findet: Dem Abkommen mangelt es an Visionen. Alle Vorschläge sind im Grunde nur kleine, letztlich unbedeutende Veränderungen. Modern und im Sinne der aktuellen Klimadebatte wäre es gewesen, die Anreize zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs für Arbeitnehmer deutlich zu erhöhen. Aber auch hier wurde leider mehr gekleckert als geklotzt, bedauert De Morgen.
Flandern braucht ein Gesamtverkehrskonzept
Zum Thema öffentlicher Nahverkehr kommentiert De Standaard: Das Nahverkehrsunternehmen De Lijn will von der nächsten flämischen Regierung eine Verdoppelung der finanziellen Mittel fordern. Damit will De Lijn den Wandel zu einem klimafreundlichen Nahverkehrswesen vollziehen.
Doch so einfach ist das nicht. Bevor für diesen Schritt die Mittel bereitgestellt werden, muss es ein Gesamtverkehrskonzept für Flandern geben: Alle Städte und Gemeinden müssen an einem Strang ziehen. Der gesamte öffentliche Verkehr in Flandern muss dann nämlich umweltfreundlich gestaltet werden. Da müssen dann auch Überlegungen zu Bahn, Wasserbussen, Fähren und Fahrrädern hinzukommen. Auch Platz für Fußgänger und so weiter. Und De Lijn selbst muss den Fahrermangel bei sich beheben, mahnt De Standaard.
Trump-Theater in Hanoi
Das GrenzEcho erwartet sich nicht viel vom heutigen Treffen in Hanoi zwischen US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und schreibt: Für Trump zählt bei diesem Theater, das er da im fernen Vietnam aufführen kann, nur, dass er davon ablenken kann, dass für ihn in Washington die Luft zunehmend dünn wird. Wenn es innenpolitisch brenzlig wird, gilt immer noch als probates Mittel, außenpolitisch abzulenken. Notfalls durch Auftritte an der Seite von Diktatoren der übelsten Sorte, so das GrenzEcho.
Kay Wagner