"200 Menschen auf der Liste von Visa-Betrug", titelt De Morgen. "Francken ist politisch verantwortlich für Visa-Schummelei", so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg. "Die Visa-Affäre, die Francken in Schwierigkeiten bringt", heißt es auch bei La Libre Belgique auf Seite eins.
Der N-VA-Politiker Melikan Kucam, Gemeinderat in Mechelen, soll rund 200 humanitäre Visa an Flüchtlinge aus Syrien verkauft haben. Bis zu 10.000 Euro pro Visum soll er verlangt haben. Als politisch Verantwortlicher gerät der ehemalige N-VA-Asylstaatssekretär Theo Francken immer weiter unter Druck.
Dazu kommentiert De Morgen: Francken kann froh sein, dass er nicht mehr der Regierung angehört. Denn wenn er das noch täte, müsste er zurücktreten. Ganz klar. Denn er war es, der die Möglichkeit, humanitäre Visa zu vergeben, erweitert hat. Dass dieses System anfällig für Betrug ist, liegt auf der Hand. Doch Francken hat nichts dafür getan, das System gut zu kontrollieren. Selbstbereicherung auf dem Rücken von sozial Schwachen, das ist wie der Samusocial-Skandal. Nur mit Flüchtlingen statt mit Obdachlosen. In Flandern statt in Brüssel. Und mit den flämischen Nationalisten statt der frankophonen Sozialisten, poltert De Morgen.
De Standaard hält fest: Der mörderische Krieg in Syrien hatte den Druck auf Francken erhöht, mehr humanitäre Visa auszustellen. Die Maßnahme war durchaus lobenswert. Doch der Fehler lag darin, wie Francken sie dann in die Praxis umgesetzt hat. Sein Kabinett legte einfach die Regeln fest, Transparenz gab es nicht. Und er vertraute eher den Listen eines Mannes seiner eigenen Partei, als den formellen Prozeduren. Klientelismus nannte man das in den besten Tagen des CVP- und PS-Staats. Francken kann sich glücklich schätzen, dass er nicht mehr Teil der Regierung ist, urteilt auch De Standaard.
De Tijd findet: Der Skandal ist nicht auf die N-VA beschränkt. Vielmehr offenbart er die Probleme, die es bei der Asyl- und Einwanderungspolitik in Belgien gibt. Der Staat hat die Kontrolle verloren. Es ist dringend nötig, dass der Staat diese Kontrolle zurückerlangt und dann eine klare Politik definiert wird. Der Bürger muss vor die Wahl gestellt werden, mit welchen Methoden wir welche Menschen zu uns kommen lassen. Für diese Methoden muss es dann auch durchsetzbare Kontrollen geben. Nur so können Betrug und Menschenschmuggel wirksam bekämpft werden, glaubt De Tijd.
Noch 71 Tage ...vielleicht
Zum Thema Brexit notiert Le Soir: Das größte Problem ist, und das wird jetzt gerade immer deutlicher, dass die Briten noch keine Antwort auf die Frage gefunden haben, welchen Platz sie in Europa und der Welt einnehmen wollen. Auf der einen Seite wollen sie eine Art europäisches Singapur sein: größtmögliche Freiheiten für den Finanzsektor, Handelspartner für die ganze Welt, gleichzeitig aber auch alle Vorteile des europäischen Binnenmarkts – so, als ob Großbritannien Teil der Union wäre. Doch das geht eben nicht. Hier Entscheidungen zu treffen, das müssen die Briten selbst machen. Die EU kann Großbritannien bei seiner Selbstfindung nicht helfen, zeigt sich Le Soir überzeugt.
Die Wirtschaftszeitung L'Echo zählt: Noch 71 Tage dauert es, bis Großbritannien aus der EU austritt. Wird es wirklich dazu kommen? Das ist alles andere als sicher. Vielleicht wird die EU den Briten einen Aufschub gewähren. Doch der wird auch nicht ewig währen. Spätestens Anfang Juli, wenn das neugewählte Europaparlament zusammentritt, wird sie enden. Dem neuen Parlament werden britische Abgeordnete nicht mehr angehören. Keiner weiß zurzeit, was bis dahin passieren wird. Aber eines ist schon klar: Einen glücklichen Brexit wird es nicht mehr geben, bedauert L'Echo.
Chapeau
La Libre Belgique beschäftigt sich mit dem Rücktritt von Benoît Lutgen als Präsident der CDH und schreibt: Keiner hat Lutgen zu diesem Rücktritt gezwungen. Er hat sich selbst dazu entschlossen, schon jetzt zurückzutreten, bevor sein Mandat im Herbst automatisch auslaufen würde. Lutgen ist also keiner derjenigen Politiker, die sich mit aller Macht an ihren Posten klammern – er kann loslassen. Lutgen hat erkannt, dass er sich nicht noch einmal in die Schlachten eines Wahlkampfs werfen sollte, dass andere besser dafür gerüstet sind, um die Kampagne erfolgreich für seine Partei zu gestalten. Vor dieser Entscheidung ziehen wir unseren Hut: Man braucht Mut, um zu kämpfen – aber auch Mut, um darauf zu verzichten, bewundert La Libre Belgique.
Ein atypisches Juwel
Der Fußballspieler Hans Vanaken von Meister FC Brügge ist gestern mit dem Goldenen Schuh als bester Spieler der nationalen Meisterschaft ausgezeichnet worden. Diese Auszeichnung ist verdient, kommentiert dazu Het Laatste Nieuws. Vanaken ist der Architekt des Spiels von Brügge, hat mit der Zeit seine Nachlässigkeiten hinter sich gelassen und sorgt für geniale Momente.
La Dernière Heure meint: Mit Vanaken hat ein atypischer Fußballer den Goldenen Schuh gewonnen. Genial im Spiel, ist er nach außen hin bescheiden geblieben. Starallüren sind ihm fremd. Er hat sich langsam auf das Niveau entwickelt, auf dem er jetzt spielt. Mit 27 Jahren ist er ein Juwel für seinen Club geworden. Aber fast schon zu alt, um international noch die ganz große Bühne betreten zu können, analysiert La Dernière Heure.
Kay Wagner