"De Wever legt vorgezogene Neuwahlen auf den Tisch", heißt es bei de Tijd. "Vorgezogene Neuwahlen: Die N-VA macht Druck", so die Schlagzeile von Le Soir. "Bart De Wever tritt auf das Gaspedal", titelt De Morgen. Die neuesten Manöver der N-VA sind heute auch Thema zahlreicher Leitartikel.
Die N-VA-Politiker Bart De Wever und Jan Jambon haben gestern eine wahrhaftige Medienoffensive gestartet, um maximalen Druck auf Premierminister Charles Michel auszuüben. Die beiden haben klargemacht, dass die aktuelle Minderheitsregierung immer noch auf den ehemaligen Partner N-VA angewiesen ist, analysiert Gazet van Antwerpen. Reformen soll es nur nach den Vorstellungen der N-VA geben. Mehr noch: Die Unterhändler der N-VA sollen Charles Michel "bestimmte Wünsche" unterbreiten. Die Regierung nach dem Austritt der N-VA soll die gleiche sein wie davor.
Zu diesem Schluss kommt auch Het Nieuwsblad: Vor allem in der Migrationspolitik soll die Regierung keinen Millimeter vom bisherigen Kurs abweichen. Die Regierung Michel II soll eine Marionette der N-VA sein – oder sie soll nicht sein, spitzt der Leitartikler zu.
Flexit statt mehr Föderalismus
Wir sind also wieder zurück bei der Föderalismus-Debatte, stellt De Morgen fest. Für die N-VA ist der Föderalismus ein institutioneller Allesreiniger. Er entfernt alle Flecken im Staatskleid. Aber schauen wir uns die Fakten an. Konnte der Föderalismus das Land vor dem Konflikt über den UN-Migrationspakt bewahren? Nein. Die belgischen Teilstaaten hatten alle ihr Mitspracherecht bei der Ausformulierung dieses Textes. Auch Flandern.
Auch bei den europäischen Klimaabsprachen hat der Föderalismus nicht geholfen. Im Gegenteil: Es ist international beschämend, mit vier Klimaminister keine ehrgeizige Klimapolitik auf die Beine stellen können.
Wenn die N-VA es wirklich ernst meint mit der flämischen Souveränität, dann hat sie nur eine Wahl: den Flexit. Raus aus Belgien, raus aus der Europäischen Union und raus aus den Vereinten Nationen, giftet De Morgen.
Euch der Norden, uns der Süden
Le Soir setzt zunächst zu einem Rundumschlag gegen die belgische Politik an, um am Ende ebenfalls vor allem die N-VA als Schuldige auszumachen. Diese Woche hat sich der Totalausfall des föderalen Belgiens offen gezeigt. Bei der Klimakonferenz in Kattowitz hat unser Land sich geweigert, sich zu den Vorkämpfern gegen den Klimawandel zu gesellen. Es war ein ausgestreckter Mittelfinger Richtung Premierminister Charles Michel, für den das Klima ein Kernthema ist.
In Brüssel ist der Premier unterdessen wieder einmal zur Geisel von Bart De Wever geworden. Der N-VA-Chef hat am Freitagabend klargemacht, dass Charles Michel zwei Optionen hat: Entweder er macht, was Antwerpen ihm diktiert, oder er ruft Neuwahlen aus. Die flämischen Nationalisten haben so eine weitere Nord-Süd-Fraktur geschaffen. Belgien ist angeblich auch geteilt, was seine Werte angeht. Und ganz demokratisch scheinen Bart De Wever und die Seinen jetzt das Finale in Form der Wahlen zu erwarten. Eine Regierungskoalition mit der PS könnte die Teilung besiegeln: Euch der Süden, uns der Norden, prophezeit Le Soir.
De Tijd sieht zumindest die Forderung der N-VA nach Neuwahlen als gerechtfertigt an. Der Wille Reformen durchzuführen, kann keine Ausrede dafür sein, die Frage nach der Legitimität der aktuellen Regierung unter den Teppich zu kehren.
Das Szenario von vorgezogenen Neuwahlen wird realistischer, auch wenn niemand im Parlament das möchte. Ist das richtig? Ja, alleine schon um festzustellen, dass an dieser Regierungskrise nichts Gutes dran ist, meint De Tijd.
Dringender Reformbedarf
La Libre Belgique kommentiert die Proteste der Gelbwesten. Die Bewegung möchte ja auch heute wieder in Brüssel auf die Straße gehen.
Zunächst kann die Brüsseler Zeitung sich einen Seitenhieb in Richtung Flandern nicht verkneifen: Die Bewegung der Gelbwesten hat in Flandern keinen Erfolg. Das Problem der niedrigen Kaufkraft bereitet den Flamen kaum Sorgen. Was ist es dann? Das Klima? Ja. Aber das Thema, das sie am meisten beschäftigt, ist die Einwanderung. Einige finden, dass man zuerst den ärmsten Flamen helfen sollte und erst dann Menschen aus anderen Ländern.
America First – Vlaanderen eerst. Das ist keine Wertung, nur eine Feststellung.
Glaubt man den sozialen Netzwerken, trägt der Süden Belgiens hingegen gelb. Die Gelbwesten protestieren gegen einen Verlust der Kaufkraft. Und ja, es gibt Armut. Aber die Bewegung besteht größtenteils aus Menschen, die nicht die Ärmsten sind, sich aber so fühlen. Die Bewegung richtet sich mehr und mehr gegen den Fiskus. Aber Steuergelder finanzieren staatliche Dienste und Sozialhilfe. Sollte man also die Steuern senken oder sich doch lieber den strukturellen Ursachen der Arbeitslosigkeit, der sozialen Unsicherheit und Ausgrenzung annehmen?, fragt La Libre Belgique rhetorisch.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt Het Belang van Limburg im Zusammenhang mit den gestrigen Gewerkschaftsstreiks. Wer heute die Schuld den Gewerkschaften gibt, spielt ein gefährliches Spiel. Die Gewerkschaften und ihre Aktionen sind ein Symptom aber nicht die Ursache. Natürlich machen sie Lärm und setzen mit viel Tamtam die Regierung unter Druck, aber es gibt reale Probleme, die angegangen werden müssen.
Ehrgeizige Reformen sind deshalb in der Tat nötig und zugleich muss dabei die Kaufkraft der Menschen beachtet werden, schließt Het Belang van Limburg.
Peter Eßer