"Allianz aus MR und N-VA unter maximalem Druck", heißt es auf der Titelseite von L'Echo. In den Leitartikeln der belgischen Zeitungen geht es heute oft um die Regierungskrise. Zur Erinnerung: Die N-VA fordert, dass Belgien den UN-Migrationspakt nicht unterzeichnet. Die Koalitionspartner, vor allem die MR und Premierminister Charles Michel, stehen aber fest zu dieser nicht-bindenden Vereinbarung.
Die Glaubwürdigkeit Belgiens hat gelitten
Die Zeitung L'Avenir sieht in dieser Debatte ein "Zurückrudern", das Belgien schwächt. Eine Sache ist sicher: Die N-VA und der Vlaams Belang sind gegen den Migrationspakt. Nicht sicher ist hingegen, ob Premierminister Charles Michel in gut zwei Wochen die Anweisung geben wird, den Pakt dennoch zu unterzeichnen. Aber der Text ist seit zwei Jahren bekannt. Belgien hat bei der UN angekündigt, ihn zu unterzeichnen. Es ist ein bisschen spät, um zurückzurudern.
Und selbst wenn der Pakt am Ende unterschrieben wird, die Glaubwürdigkeit von Belgien wird gelitten haben. Und ein Land, das nicht glaubhaft ist, ist geschwächt, warnt L'Avenir.
Für die N-VA ist die Krise hinsichtlich der Wahlen ein Risiko, meint De Standaard. Schließlich ist bekannt, dass der Text des Migrationspaktes seit zwei Jahren in verschiedenen Formen bei Migrationsstaatssekretär Theo Francken auf dem Tisch liegt. Aber es stärkt ihn, dass die Debatte nun in Europa überall aufkommt. Die Revolte gegen Migration hat rechts begonnen, und drängt nun wegen des Migrationspaktes in das Herz der europäischen Zentrumsparteien, etwa die CDU in Deutschland.
De Standaard kann dem Ganzen aber auch etwas Gutes abgewinnen: Es ist bemerkenswert, dass die Gegner diesen nicht-bindenden Pakt viel ernster nehmen als die Befürworter. Was wir unterzeichnen, müssen wir respektieren und ausführen, scheint die Botschaft zu sein. Vielleicht formt sich daraus am Ende tatsächlich Unterstützung für die multilaterale Weltordnung, hofft die Zeitung.
"Gelbe" Revolution?
Auch Flandern bekommt mittlerweile die Wut der Protestbewegung "Gilets Jaunes" zu spüren. Dieser Unzufriedenheit widmet sich Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Mit weniger Diesel, mehr Solarstrom und weniger Holz im Ofen will die Regierung die grüne Wende schaffen. Das ist auch richtig.
Aber es bleibt das Gefühl in der Bevölkerung, dass manche dazu mehr beitragen müssen als andere. Dadurch hat sich viel Druck aufgebaut. Es bleibt abzuwarten, ob die Bewegung der Gelbwesten nicht doch eine Eintagsfliege ist, oder ob sie sich auch in Flandern weiter ausbreitet - aber dieser Aufstand hat schon jetzt gezeigt: Die Unterstützung für die Klimaziele ist brüchig, stellt Het Nieuwsblad fest.
"Kommt jetzt die gelbe Revolution?", fragt das GrenzEcho. Man kann täglich in den Zeitungen nachlesen, wie massive Feldzüge gegen fossile Energieträger geführt werden. Aber wer 1.000 Euro verdient, kann sich keinen Tesla leisten. So fühlt man sich schnell angehängt und als Opfer von Globalisierung, Digitalisierung und Modernität.
Die Situation, die wir gerade durchleben, hat viele der Zutaten, aus denen Revolutionen erwachsen. Unsere Politiker wären gut beraten, das zu beherzigen und nicht ganze Teile der Bevölkerung auszugrenzen, statt zu versuchen, ihre wahren Beweggründe zu verstehen, findet das GrenzEcho.
Auch De Morgen äußert ein gewisses Verständnis für die Demonstranten und schlägt die Brücke zur Vergütung von Politikern. Sollte man einer Obrigkeit vertrauen, die den Dieselpreis besteuert, um die Umwelt zu retten, und gleichzeitig Flugreisen mit niedrigen Sätzen auf Kerosin billig hält? Sollte man einer Obrigkeit vertrauen, die dreckige und uralte Turbomotoren als Notgeneratoren einsetzt, um Versäumnisse in der eigenen Energiepolitik zu maskieren?
Und die Gelbwesten stellen noch eine weitere unangenehme Frage, die der Zuwendungen für Politiker. Belgische Politiker verdienen viel. Wahrscheinlich ein bisschen zu viel. Aber das Problem liegt eher darin, dass es viel zu viele Politiker gibt. Politiker können gut verdienen, denn sie haben oft außerordentliches Talent und außerordentliche Verantwortung. Aber nicht jeder in den Parlamenten dieses Landes leistet außerordentlich viel, meint De Morgen.
Zweifelhafte Kronzeugenregelung
La Libre Belgique kommt auf die jüngsten Entwicklungen im Footballgate-Skandal zu sprechen. Der Spielerberater Dejan Veljkovic wird ja voraussichtlich als Kronzeuge in der Angelegenheit aussagen. Dafür kommt er mit einer Bewährungsstrafe und einem Bußgeld glimpflich davon.
Ziel der Kronzeugenregelung ist es, feststeckende Ermittlungen voranzubringen. Und das dank der Aussage von Beteiligten, die als einzige in der Lage sind, Licht ins Dunkel zu bringen. Ist das in der Fußballgate-Affäre wirklich der Fall? Mehrere Anwälte glauben, dass das nicht so ist, und kritisieren die Staatsanwaltschaft hart. Ihrer Einschätzung nach dient die Anwendung der Kronzeugenregel hier den Interessen von Herrn Veljkovic.
Das grundsätzliche Problem der Kronzeugenregel ist zum einen die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Zum anderen fürchtet mancher, dass dem Kronzeugen so lediglich die Möglichkeit gegeben wird, alte Rechnungen zu begleichen, schließt La Libre Belgique.
Peter Eßer