"Fraktionschefs streiten über Jobs", titelt Het Belang van Limburg. Die gestrige Aussprache in der Kammer zur Regierungserklärung von Charles Michel beschäftigt die Zeitung auch in ihrem Kommentar:
Immer wieder um Zahlen ging es gestern. Zahlen zu Jobs, die geschaffen wurden, und was für Jobs das eigentlich sind. Michel hatte sich noch damit gebrüstet, 60.000 Vollzeitjobs geschaffen zu haben. Raoul Hedebouw von der PTB nervte den Premier gestern so lange mit der Behauptung, dass das nicht stimme, bis Michel der Kragen platzte. "Populist, Populist!", brüllte Michel in Richtung Hedebouw. Der Höhepunkt einer zehnstündigen Debatte, nach der wir auch nicht schlauer sind als vorher. Aber immerhin wurde noch verkündet, dass bis zum Ende der Legislaturperiode noch einmal 40.000 neue Jobs kommen sollen. Hoffentlich spiegelt sich das auch in der Beschäftigungsstatistik wider. Denn diese ist seit Beginn der Regierung Michel noch nicht mal um ein Prozent gestiegen, hält Het Belang van Limburg fest.
Der neidische Blick nach Norden
De Morgen vergleicht die aktuellen Zustände in Belgien mit denen in den Niederlanden, wo die neue Regierung jetzt ihr Programm vorgestellt hat. Viele schauen neidisch auf unseren nördlichen Nachbarn. Denn dort wird jetzt investiert, wird die Gesellschaft vorangebracht. Zu schnell wird vergessen, dass die Niederlande dafür einen hohen Preis gezahlt haben, durch ein Tal der Tränen gegangen sind, und dadurch erst jetzt zum Vorreiter in Europa werden können, zum Beispiel bei den Bemühungen, den CO2-Ausstoß zu verringern. In Belgien hat keine Regierung den Mut, so tiefgreifende Reformen mit Langzeitwirkung zu beschließen. Hier wird auf den schnellen Erfolg gebaut. Schade!, findet De Morgen.
La Libre Belgique resümiert die bisherige Bilanz der Regierung Michel positiver: Die Erfolge können sich sehen lassen. Dabei hat dem Premier natürlich der internationale Kontext geholfen. Aber auch seine gut durchdachten Reformen. Michel weiß selbst, dass noch weitere Baustellen auf ihn warten. Angesichts der Wahlen, die in den kommenden zwei Jahren anstehen, ist allerdings die Frage: Wird Michel die Zeit und die Ruhe haben, diese Baustellen voranzutreiben? Die Chancen stehen gut. Denn der größte Störfaktor, den es geben könnte, die N-VA, hat auch erkannt, dass Erfolge im wirtschaftspolitischen Bereich zunächst mehr Wähler überzeugen, als Forderungen nach der Unabhängigkeit Flanderns, so sinngemäß La Libre Belgique.
Bart De Wever auf Wähler- und Partnersuche
Apropos Wahlen und N-VA: In Antwerpen haben sich Grüne und Sozialisten zu einem Bündnis für die kommenden Kommunalwahlen zusammengeschlossen. Ziel: Bürgermeister und N-VA-Chef Bart De Wever aus dem Rathaus zu vertreiben.
Dazu kommentiert Gazet van Antwerpen: Unsere Umfrage zu den Wahlabsichten zeigt, dass das Bündnis Groen-SP.A zurzeit einen leichten Vorsprung vor der N-VA hat. Für Bart De Wever ist das natürlich ein Problem. Er muss jetzt Partner suchen, denn die OpenVLD, die ihn bislang unterstützt, wird wohl zu schwach sein, um ihm das Weiterregieren zu ermöglichen. Wo kann Bart De Wever neue Wähler finden? Am rechten Rand hat er das Potential der N-VA schon ausgeschöpft. Noch weiter nach rechts kann er nicht gehen. Bleibt das Zentrum, mit der CD&V. Das wird schwierig, doch für einen so gewieften Politprofi wie Bart De Wever ist das sicher nicht unmöglich, glaubt Gazet van Antwerpen.
Katalanisches Katz-und-Maus-Spiel geht weiter
Zur Krise in Spanien meint Le Soir: So, wie die Lage sich entwickelt, scheint es auf eine komplette Demütigung der Katalanen hinauszulaufen. Schon die konfuse Rede des katalanischen Ministerpräsidenten Puidgemont am Dienstag war Ausdruck dafür. Er betonte immer wieder das "Recht der Katalanen, gehört und respektiert zu werden". Selbstbewusstsein sieht anders aus. Wenn sich Madrid jetzt weiter taub stellt, verschlimmert das die Lage noch mehr, die Demütigung wird noch größer. Hass und Rachsucht sind oft das Ergebnis von Demütigungen. Ein gefährliches Spiel, auf das sich Madrid dort einlässt, findet Le Soir.
Die Wirtschaftszeitung L'Echo stellt fest: Spaniens Ministerpräsident Rajoy hat natürlich das Recht auf seiner Seite. Aber er darf nicht vergessen, dass ihm in Katalonien Menschen gegenüberstehen. Menschen mit Hoffnungen und dem Drang zur Unabhängigkeit. Auch die Europäische Union sollte sich dieser Tatsache bewusst werden und das zum Anlass nehmen, in dem Konflikt zu vermitteln. Denn natürlich hat auch die EU Recht, wenn sie sagt, dass der Konflikt zunächst ein innerspanischer Konflikt ist. Aber nach der Gewalt vom vergangenen Sonntag ist diese Position fragwürdig. Auch die EU sollte erkennen, dass sie nicht nur aus Rechtstexten besteht, sondern eben auch aus Menschen, rät L'Echo.
L'Avenir schreibt: Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Madrid und Barcelona geht also weiter, eine Lösung wird immer schwieriger. Dabei wird sie schon von einigen Politikern in Spanien angedacht, nämlich: ein landesweites Referendum über eine Verfassungsänderung, die Spanien zu einem noch föderaler geprägten Staat machen würde, als Spanien heute schon ist. Zu einem Föderalstaat, in dem auch die Katalanen gerne leben würden. Belgien könnte hier, trotz aller Schelte, die wir oft ertragen müssen, als Vorbild dienen, meint L'Avenir.
Kay Wagner - Foto: Nicholas Maeterlinck/Belga