"Reise in die undurchsichtigen Tiefen der wallonischen Interkommunalen", titelt La Libre Belgique. "Wie lange noch, Di Rupo?", fragt sich De Morgen.
Viele Zeitungen beschäftigen sich auch heute noch mit den Nachwehen der Publifin-Affäre. La Libre Belgique geht auf gleich zehn Seiten der Frage nach, ob es noch andere Publifins gibt. Und die Zeitung hat "fünf Fälle, die Fragen aufwerfen" entdeckt. Darunter ist unter anderem Ores, der Betreiber der Strom- und Gasnetze.
Bei Ores und einer Tochtergesellschaft gibt es insgesamt über 100 bezahlte Mandate, wie bei Publifin bestehen innerhalb von Ores auch etwas dubiose Ausschüsse, deren Zielsetzung jedenfalls laut La Libre Belgique nicht so ganz klar ist. Die Wallonische Region hat ja als Konsequenz aus dem Publifin-Skandal eine große Aufräumaktion angekündigt. Unter anderem hat der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette versprochen, dass hunderte von Mandaten insbesondere bei den Interkommunalen ersatzlos gestrichen werden sollen.
Welche Zukunft für Publifin?
Was gerade in Lüttich immer noch schockiert, das ist der Mangel an Schuldbewusstsein, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Es gibt immer noch Leute, die den Wirbel so gar nicht verstehen wollen, die die Empörung über die überzogenen Sitzungsgelder nicht nachvollziehen können, die eindeutige Interessenkonflikte für Petitessen halten. Jetzt zeigt sich: Wenn Menschen zu lange in einem geschlossenen politischen System agieren, dann stellt sich eine Werteverschiebung ein, Normabweichung wird zur Norm. Insbesondere diese Leute müssen exemplarisch bestraft werden.
Der starke Mann in Lüttich, Jean-Claude Marcourt, zeigt sich in Interviews mit Le Soir und L'Écho in jedem Fall einsichtig. "Ich kann die Kritik an der PS verstehen", sagt Marcourt in Le Soir. Denn in der Tat: Gerade für Sozialisten muss Ethik wie eine zweite Haut sein. Und es stimme ihn besonders traurig, dass gerade seine Heimatregion jetzt derart negative Schlagzeilen mache.
In L'Écho denkt der wallonische Wirtschaftsminister laut über die Zukunft des Medien- und Energieunternehmens Nethys nach. Seine, für sozialistische Verhältnisse fast schon gewagte, Idee: "Warum bringen wir nicht einen Teil von Nethys an die Börse?", fragt sich Marcourt. Man müsse jetzt jedenfalls die Gelegenheit beim Schopf packen, um das Unternehmen gegebenenfalls neu aufzustellen.
Welche Zukunft für die PS?
In Flandern beschäftigen sich einige Zeitungen dagegen eher mit der Zukunft der PS. Für De Morgen ist Elio Di Rupo inzwischen ein Parteivorsitzender auf Abruf. Di Rupo habe zu zaghaft auf die Publifin-Affäre reagiert. Als Aufräumer sei er nicht mehr glaubwürdig, da er ja schon vor zehn Jahren zur "Jagd auf Profiteure" aufgerufen hatte - wie man heute sehen kann mit eher durchwachsenem Erfolg. Und der sich anbahnende Krieg mit der Lütticher PS-Sektion ist auch noch nicht gewonnen. "Gefährliche Zeiten für Elio", so jedenfalls das Fazit von De Morgen.
Für De Standaard besteht sogar die Gefahr, dass die PS in ihrer Gesamtheit zum Auslaufmodell wird. Nach gefühlt Jahrzehnten an der Macht ist wohl bei so manchem der Eindruck entstanden, dass die führende Rolle der PS zu einer Art Naturgesetz für die Ewigkeit geworden ist. Und bis vor Kurzem war es ja auch so, dass alle Skandale von der Partei scheinbar abperlten, verbrannte Sozialisten konnten jederzeit durch Leute aus einem scheinbar unerschöpflichen Reservoir von jungen Akademikern ersetzt werden. Diesmal kann es aber anders kommen. Fast überall in Europa sind die Sozialisten schon in der Versenkung verschwunden. Und auch in Belgien steht mit der PTB ein extremlinker Herausforderer in den Startlöchern.
Welche Zukunft für die Demokratie?
Het Laatste Nieuws beschäftigt sich in einem überlangen Kommentar mit der Beziehung zwischen dem Bürger und der Politik. Für das Blatt tun sich da inzwischen Abgründe auf. Die Skandale Publifin und Kasachgate sind da nur die letzten in einer quasi endlosen Serie von Sargnägeln. Da muss man sich inzwischen eine Frage stellen: Ist man heutzutage schon ein Populist, wenn man behauptet, dass Politiker sich erst um sich selber kümmern und dann erst um die Bürger? Wer kann einem noch diesen Eindruck verdenken? Nicht vergessen: Schon 1991 gab es den ersten "Schwarzen Sonntag", als seinerzeit der rechtsextreme Vlaams Belang den Durchbruch schaffte. Seither ist die Kluft zwischen dem Bürger und der Politik eher noch größer geworden. Bis der Tag kommt, an dem dieser Graben nicht mehr überbrückt werden kann.
Ist der Populismus zwangsläufig die Zukunft der Demokratie?, fragt sich seinerseits L'Avenir. Nach Publifin und Kasachgate besteht tatsächlich die Gefahr, dass der Populismus jetzt die Oberhand gewinnt. Auch Politikwissenschaftler, die bislang nicht als Unglückspropheten bekannt waren, sind mehr und mehr pessimistisch. Einziger Hoffnungsschimmer: Es gibt innerhalb der Zivilgesellschaft immer noch viele engagierte Menschen, die von einem demokratischen Elan angetrieben werden.
Welche Zukunft für die "Nationale Fußballarena"?
"Der Bau des Nationalen Fußballstadions entwickelt sich zum Rennen gegen die Zeit", schreibt derweil Le Soir auf Seite eins. Der Gemeinderat von Grimbergen hat jetzt die Prozedur jedenfalls erstmal ausgebremst. Der Gemeinderat stimmte gegen die Abtretung eines kommunalen Weges, der über das Gelände verläuft, auf dem die neue Arena entstehen soll. Das Pikante: Besagtes Wegerecht ist quasi "virtuell", besteht eigentlich nur auf dem Papier. Dort, wo der Pfad verläuft, befindet sich jedenfalls im Moment ein Parkplatz. "Die UEFA muss sich jedenfalls Sorgen machen", notiert De Standaard. Durch die neuerliche Verzögerung wird die Zeit nämlich knapp; wenn bei der EM im Jahr 2020 einige Spiele in Brüssel stattfinden sollen, dann muss das Stadion bis dahin jedenfalls fertig sein.
Für De Morgen sind die Macher des Projekts die neuerliche Verzögerung selber schuld. Die Stadt Brüssel und auch der Baupromotor Ghelamco gehen mit fast beispielloser Arroganz zu Werke. Haben sie immer noch nicht verstanden? Vergleichbare Bauprojekte in Flandern wie der Autobahnring um Antwerpen oder das Einkaufszentrum Uplace haben es doch längst gezeigt: Der Bürger akzeptiert nicht mehr eine von oben herab diktierte Politik.
L'Écho versteht seinerseits die Welt nicht mehr. Da malen Politiker plötzlich das idyllische Bild eines Fußpfades, man hört schon fast die Vögelchen zwitschern. Und dann führt man sich vor Augen, dass sie diese romantische Szene eigentlich auf dem Parking C auf dem Heysel abspielt, im wahrsten Sinne des Wortes in einer Betonwüste. Apropos Weg: Belgien scheint einmal mehr auf dem Weg ins Reich der Absurdität zu sein. Die neue Fußballarena hat mehr verdient, als ein Erste-Klasse-Begräbnis auf einem inexistenten Fußpfad.
Roger Pint - Bild: Laurie Dieffembacq/Belga