Im Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft war bis diese Woche und damit ausgerechnet in der hier betriebsamsten Zeit des Jahres, der Haushaltswoche, eine Doppelausstellung des Aachener Künstlers Detlef Kellermann zu sehen: mit dem Titel "Kinderrechte/Menschenpflichten" -als Spiegelbild, wenn nicht Voraussetzung zu den noch in dieser Woche erinnerten Menschenrechten.
So wie diese Menschenrechte sind auch die Menschenpflichten in einer Allgemeinen Erklärung festgehalten. Darin heißt es in Artikel zwölf unter anderem: "Jeder Mensch hat die Pflicht, wahrhaftig zu reden und zu handeln. Niemand, wie hoch oder mächtig auch immer, darf lügen." Da steht aber auch: "Niemand ist verpflichtet, die volle Wahrheit jedem zu jeder Zeit zu sagen."
An den drei Tagen oder Abenden Haushaltsdebatte war diese Woche oft wechselseitig die Rede von Täuschung, von Vermischung, von Augenwischerei, von Irreführung, von Glaubwürdigkeit, von Schönreden, von Verschweigen … ja, sogar von einer oscarreifen Vorstellung. Wissentlich gelogen - davon gehen wir aus - hat wohl keiner der Abgeordneten und Minister. Die Frage ist, ob sie zu jeder Zeit (uns allen) "die volle Wahrheit" gesagt haben.
Einvernehmen herrschte immerhin darüber, dass "den Menschen reiner Wein eingeschenkt" werden müsse. So formulierte es der Ministerpräsident am Montag, in einer Deutlichkeit, die frühere Reden vermissen ließen.
"Jemandem reinen Wein einschenken" ist eine Redewendung aus Zeiten, wo Wirte wegen knapp bemessener Vorräte ihren Wein streckten, den Kunden also etwas vormachten. Genau das Gegenteil ist hier verlangt, gerade wenn die Zeiten schlechter sind und die Vorräte knapp bemessen.
Der "Musterschüler" oder "Klassenbeste" DG könne sich nicht mehr alles leisten, gaben die Vertreter von Regierung und Parlamentsmehrheit zu. Und sparen könne man eben nicht, "ohne dass die Menschen es spüren". Spürbar wird das aber nicht über angekündigte "Sparpakete". Spürbar wird das jetzt, wenn die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst auf den variablen Teil der Jahresendprämie verzichten müssen. Spürbar wird das im nächsten Jahr, wenn steigende Kosten nicht aufgefangen werden können, weil Mittel nicht erhöht werden. Und hier sprechen wir ja nur von einer politischen Ebene im komplizierten Belgien.
Zum Sparen gehöre Mut, war auch zu hören. Nein, Mut braucht es nicht beim Sparen. Mut braucht es bei der Wahl der Sparmaßnahmen und beim Vertreten der getroffenen Entscheidungen.
Vieles deutet darauf hin, dass bei der Wählerschaft flache, unterhaltsame Argumente verfangen. Der vor zwei Monaten gestorbene Sprachkritiker Uwe Pörksen war optimistischer. In seinem Grundlagenwerk über die politische Rede schrieb er: "Die Mündigkeit des Publikums wird maßlos unterschätzt." Das entlastet nicht etwa die Politik. Es nimmt sie in die Pflicht.
Stephan Pesch
Groß was zu beklagen gibts wenigstens hier nicht!
Bis auf auch meine allgemeine All-Mensch-Unvollkommenheit und kleinere Arten der Normal-Meinungsverschiedenheit wird die DG-Regierung-Paasch mein Vertrauen behalten.