Haushaltsdebatten gehören unbestritten zu den Höhepunkten in den unterschiedlichen Volksvertretungen. Ob sie nun im Palast der Nation in Brüssel ausgetragen werden oder im Gemeindehaus von Thommen. Schließlich werden dort politische Weichen gestellt, Visionen beziffert oder Sparziele verteidigt. Es geht ums große Ganze. So auch diese Woche wieder, an vier Abenden im PDG. Live und in Farbe zu verfolgen im Videostream des Parlaments.
Wegen der Vielzahl von Themen und des dafür nötigen Zeitaufwands sind solche Debatten für Außenstehende mäßig spannend. Schon weil man auch den Ausgang vorhersagen kann, ohne sich zu sehr aus dem Fenster zu lehnen. Im PDG war klar, dass die neue, satte Mehrheit aus ProDG, CSP und PFF locker ausreicht, um den Entwurf der Regierung anzunehmen - da lässt sich ein Krankheitsfall verkraften.
Auch die Argumente, die Mehrheit und Opposition austauschen, sind wenig überraschend. So macht dann oft der Ton die Musik: eine schlüssige Argumentation oder ein im wahrsten Sinne treffendes Wort. Auch davon gab es in diesem Jahr ... streckenweise herrschte aber gähnende Langeweile.
Die Abgeordneten mögen mir diesen Seitenhieb nachsehen: Aber wenn sie auf der einen Seite über die Lesekompetenz der ostbelgischen Schüler diskutieren (und mir ist klar, was damit gemeint ist), sollten sie zumindest eine gewisse Vorlesekompetenz zeigen. Sicher spielt bei mancher Jungfernrede Lampenfieber eine Rolle. Aber selbst erfahrene Politiker tun sich schwer, mit ihrem Vortrag tatsächlich zu überzeugen. Das war schon in der Antike eine Grundkompetenz. Vielleicht sollte neben Lesen, Schreiben, Rechnen in der Schule auch diesem Aspekt (wieder) mehr Raum gegeben werden.
Inhaltlich war das allermeiste, wie gesagt, bekannt. Und der Zufall im Kalender wollte, dass die Haushaltsdebatte auf den Tag genau ein halbes Jahr nach den Wahlen vom 9. Juni gestartet ist. Der Wahlkampf und die Koalitionsbildung sind aber noch nicht verarbeitet. So persiflierte Vivant penetrant den Wahlkampfslogan des Wahlgewinners ProDG ("Gut für unsere Heimat!"). Die CSP kaprizierte sich nach wie vor "aufs Wesentliche". Und die SP leckt die Wunden ihres Rausschmisses.
Ob aus Effekthascherei, aus verletzter Eitelkeit oder schlicht aus Erschöpfung: Kurz vor Schluss verschärfte sich der Ton deutlich ... vielleicht auch zur Unterhaltung der rund drei Dutzend Youtube-Watcher.
Wichtiger waren die zentralen inhaltlichen Botschaften: dass auch unabhängig vom Defizitverfahren der Europäischen Union gespart werden muss; dass Ausgaben auf Nutzen und Opportunität geprüft werden sollten; und dass die Weichenstellung, von der ich eingangs sprach, nicht nur für einen Haushaltsplan oder nur bis zum nächsten Wahltermin reichen darf.
Und wo auch bei dieser Haushaltsdebatte wieder nach Herzenslust zitiert wurde, sei den alten und neuen Abgeordneten (und ihren mutmaßlichen Redenschreibern) als erbauliche Lektüre Kurt Tucholsky empfohlen mit seinen "Ratschlägen für einen schlechten Redner". Zur Entspannung am dritten Advent.
Stephan Pesch
Kurt Tucholsky: "Ratschläge für einen guten Redner":
Hauptsätze, Hauptsätze, Hauptsätze.
Klare Disposition im Kopf ‐ möglichst wenig auf dem Papier.
Tatsachen, oder Appell an das Gefühl. Schleuder oder Harfe.
Ein Redner sei kein Lexikon. Das haben die Leute zu Hause.
Der Ton einer einzelnen Sprechstimme ermüdet; sprich nie länger als vierzig Minuten.
Suche keine Effekte zu erzielen, die nicht in deinem Wesen liegen.
Ein Podium ist eine unbarmherzige Sache ‐ da steht der Mensch nackter als im Sonnenbad.
Merk Otto Brahms Spruch: Wat jestrichen is, kann nich durchfalln.