"Wohnst du noch oder lebst du schon?" Wer hätte gedacht, dass der bekannte Werbespruch eines schwedischen Möbelriesen alle mehr oder weniger durchdachten Wahlslogans überflügeln würde - wenn auch in leicht abgewandelter Form: "Wohnst du noch hier oder lebst du schon … woanders?"
Über die wochenlange Soap um Julie Taton mag sich ganz Belgien amüsiert haben. Hier kurz der Plot: In seiner Selbstgefälligkeit gefiel es dem MR-Chef Georges-Louis Bouchez, die frühere "Miss Belgien" und TV-Moderatorin Julie Taton vor den Kommunalwahlen in seiner Stadt Mons als "Ass im Ärmel" zu platzieren. Das ist gängige Praxis.
Schon im Frühjahr hatte sich Julie Taton bei den Kammerwahlen prominent im Hennegau aufstellen lassen, obwohl sie dort nicht wohnt, sondern in Wallonisch-Brabant. Das wird bei jenen Wahlen auch nicht verlangt, der Wähler macht sich nur was vor. Bei der Gemeinderatswahl aber müssen die Kandidaten dort gemeldet sein, wo sie sich aufstellen lassen. Ein kurzfristiger Tapetenwechsel kann da oft Wunder wirken.
Nur dass etwas genauer hingeschaut wurde und Frau Taton sich bei dem Manöver wohl nicht allzu geschickt angestellt hatte. So flog die schöne Strategie dem Hütchenspieler Georges-Louis Bouchez um die Ohren. Er hatte sich verzockt! Und auch nicht gerade ein Belobigungsabzeichen für die frischgebackene Kammerabgeordnete …
Ostbelgien erlebte nun den Fall Julie Taton "verkehrt". Nicht dass hier ein vielversprechender externer Kandidat auf einen aussichtsreichen Posten "gebeamt" worden wäre. Das Gegenteil war der Fall: Der beliebte Kelmiser Schöffe Mirko Braem ist in die Nachbargemeinde umgezogen. Ein gewöhnlicher Vorgang, wie er laufend dazu führt, dass Mitglieder in Gemeinderäten ausscheiden und ersetzt werden. Im vorliegenden Fall waren ihm und seinem Umfeld aber offenbar die Konsequenzen nicht bewusst. Oder sie haben auf Zeit gespielt. Oder darauf, dass so etwas in anderen prominenten Fällen auch keine große Rolle gespielt haben mochte.
Wir wissen es mangels einer verbindlichen Stellungnahme (noch) nicht. So oder so verlangt es wegen seiner exponierten Stellung nach einer klaren, eindeutigen Antwort.
Stattdessen ist aus einem gewöhnlichen Vorgang das geworden, was man einen "Fall" oder eine "Causa" oder eine "Affäre" nennt. Mit Vermutungen, Schutzbehauptungen, Schuldzuweisungen - bis hin zu der gewagten Behauptung, jemand habe bei der Feststellung der Wohnsituation besonderen Eifer walten lassen: Am eigentlichen Grund der Feststellung führt das vorbei.
Nix Hütchenspiel. Die Karten müssen auf den Tisch. Dass sich ein anderer exponierter Kandidat bemüßigt fühlt, die eigene Wohnsituation per Pressemitteilung offenzulegen, fällt unter die Rubrik "Ostbelgien, wie es leibt und lebt". Nach dieser Provinzposse ist die eine oder andere Entschuldigung fällig.
Alle, die schadenfroh triumphieren, weil sie sich etwas geschickter angestellt haben als die geprellten Kandidaten, sollten sich nicht zu früh freuen. Die wichtigste Währung in diesem Geschäft ist Glaubwürdigkeit.
Stephan Pesch
Zum Glück gibt es Polizei und Justiz. Das bremst etwas den Machthunger.
Die beiden oben genannten Fälle sind gute Beispiele dafür, dass die Politik selbst schuld ist an ihrem schlechten Image und nicht etwa irgendwelche Verschwörungstheoretiker oder Putin-Freunde.
Guter und wichtiger Kommentar Herr Pesch, viele Leser würde interessieren, was hiermit gemeint ist:
Auszug Artikel vom: 23.09.2024
"Im Anschluss kam der Gemeindewahlvorstand zusammen. In einer ersten Sitzung am 17. September kam man zu demselben Schluss: nicht wählbar. Offenbar wurde in den Stunden danach Druck auf einige Entscheidungsträger ausgeübt."
Der Vorstand wurde ja ausgetauscht durch altbekannte Gesichter der CSP.